Die EU und die Toten im Mittelmeer
11. Mai 2017Es sind diese Meldungen, die einfach nicht abreißen wollen: Flüchtlinge aus Nigeria, Guinea, Bangladesch vertrauen sich Schmugglern an, damit diese sie erst nach Libyen, dann nach Europa bringen. Doch der Weg über das Mittelmeer ist weit, die Boote seeuntüchtig und überfüllt. Viele kentern, Menschen ertrinken.
Gut 41.000 Flüchtlinge kamen in diesem Jahr bereits in Italien an, so die Internationale Organisation für Migration (IOM), 10.000 mehr als im Vorjahr. Über 1000 überlebten die gefährliche Überfahrt nicht. Dass es nicht mehr waren, ist vor allem der italienischen Küstenwache und freiwilligen Helfern zu verdanken, die fast täglich in Seenot geratene Menschen retten.
Beenden kann die EU dieses Drama noch immer nicht. "Nach der Schließung der türkischen Grenze zwingt man die Menschen quasi, sich Schleusern anzuschließen", meint Barbara Lochbihler, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament.
Türkei-Abkommen als Vorbild
Für die Flüchtlinge, die bislang über die Türkei auf die griechischen Inseln gekommen sind, hat die EU im vergangenen Jahr eine vermeintliche Lösung gefunden: Den Deal mit der Türkei. Demnach verpflichtet sich sich Ankara, die Grenzen zu schützen und gegen Schlepper vorzugehen. Im Gegenzug stellt die EU sechs Milliarden Euro zur Verfügung, um die Flüchtlinge in der Türkei zu versorgen. Trotz diverser politischen Probleme, die das mit sich bringt, lässt sich festhalten, dass das Abkommen seine Wirkung nicht verfehlt. Kaum ein Syrer schafft es mehr nach Europa.
Nach dem Vorbild dieser Vereinbarung will sich Brüssel nun auch mit den Maghreb-Staaten einigen - vor allem mit Libyen. Denn, wie zuletzt der österreichische Innenminister Wolfgang Sabotka feststellte, könne "eine Rettung auf offener See kein Ticket nach Europa sein." Die Gangart ist also klar: Man will die Menschen daran hindern, sich überhaupt auf den Weg über das Mittelmeer zu machen.
Eine schwierige Zusammenarbeit
Um "den Strom der Migranten aus Libyen zu managen", wie es die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ausdrückte, wurde bereits im Februar ein Zehn-Punkte-Plan erstellt. Dieser sieht unter anderem vor, die libysche Küstenwache besser auszubilden und auszustatten und Flüchtlinge in "angemessenen Aufnahmeeinrichtungen" unterzubringen.
Die Bilanz dieses Vorhabens ist ernüchternd. So sollte das Ausbildungsprogramm eigentlich schon im Frühjahr 2017 abgeschlossen sein. Bis dahin wollte man die Libyer in die Lage versetzen, ihre Hoheitsgewässer selbst zu kontrollieren. Bislang sind allerdings gerade einmal 100 Männer und Frauen ausgebildet worden. Und dass Libyen schon bald mit Booten und anderer Ausrüstung für den Kampf gegen Schleuserbanden versorgt werden kann, hält Bundesverteidigungsminister Ursula von der Leyen für unrealistisch. Die Frage der Ausstattung werde "noch tief im Maschinenraum der Europäischen Union" behandelt, hatte die CDU-Politikerin zuletzt erklärt. Prinzipiell liefere man Material nur an verlässliche Staaten.
"In dem Zustand, in dem sich Libyen jetzt befindet, ist das absolut keine Möglichkeit", betont Grünen-Politikerin Lochbihler. Sie erinnert daran, dass selbst Berichte aus dem Auswärtigen Amt auf "KZ-ähnliche Zustände" hingewiesen hätten, die in den Lagern vor Ort herrschten.
"Weit weg von der Realität"
Die politische Lage ist in Libyen denkbar schwierig: Nicht nur, dass es insgesamt drei Regierungen gibt - das Land ist seit dem Sturz des Langzeit-Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 tief gespalten. Warlords, Milizen und Terrorgruppen kontrollieren weite Teile des Landes.
"Die EU muss alles tun, und sie versucht es auch, Libyen zu einer Regierung zu verhelfen, die arbeiten kann. Aber nach eigener Einschätzung ist man da ganz am Anfang", sagt Barbara Lochbihler. Mit Blick auf sichere Aufnahmezentren meint die Grünen-Abgeordnete, dies sei "weit weg von der Realität".
Was also stattdessen tun? Lochbihler setzt auf ein bewährtes politisches Mantra: Fluchtursachen bekämpfen. "Man muss Friedensgespräche unter dem Dacht der UN unterstützen. Dann muss man die Länder unterstützen, die rund um Syrien herum - wie zum Beispiel der Libanon oder Jordanien - großzügig Flüchtlinge aufnehmen, sodass die Menschen dort ihre Kinder zur Schule schicken können, Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten und die Situation in den Lagern erleichtert wird, was zum Beispiel die Gesundheitsfürsorge angeht." Entsprechende Fonds, um Herkunfts- und Transitländer zu unterstützen, existieren bereits. Gleichzeitig gibt die Menschenrechtspolitikerin Lochbihler zu: Diese Maßnahmen wirken erst mittel-oder langfristig.
Legale Möglichkeiten
"Man müsste auf Möglichkeiten setzen, um Leute aufzunehmen, ohne dass sie diesen Weg der Schlepper durch Libyen nehmen müssen", empfiehlt Lochbihler deshalb. Sie nennt zum Beispiel Resettlementprogramme, die es bisher allerdings nur in kleiner Zahl gebe. Aktuell können theoretisch bis zu 20.000 Flüchtlinge direkt aus ihrem Herkunftsland in die EU einreisen - angesichts von weltweit über 65 Millionen Flüchtlingen ein Tropfen auf den heißen Stein. Alleine in Libyen halten sich laut IOM gut eine Million Menschen auf.
"Dass Menschen weiterhin die Route über das Mittelmeer nehmen, mit all den Risiken, die das mit sich bringt, zeigt, dass sie keine andere Optionen haben", meint Aspasia Papadopoulou von der übernationalen Nichtregierungsorganisation "European Council on Refugees and Exiles". Auch sie fordert legale Einreisemöglichkeiten.
In der EU sind diese Forderungen bislang jedoch nicht mehrheitsfähig. Die Mitgliedsstaaten gingen nur "sehr kleine Schritte", bemängelt Papadopoulou. Es fehle an politischem Willen. Die Konsequenzen tragen die Menschen, die irgendwo zwischen Libyen und Italien im Mittelmeer ertrinken.