Die erste Boygroup
29. Dezember 2012Wenn sie im schmelzenden Falsett "Veronika, der Lenz ist da" trällerten, ihr betörendes "Liebling, mein Herz lässt dich grüßen" anstimmten oder den "kleinen grünen Kaktus" stechen ließen, geriet das Publikum in Verzückung. Von Berlin bis München, von Amsterdam bis Paris riss man sich in den 1930er Jahren um die Auftritte der Gruppe. "Eine Zeitungsnotiz genügte: Die Comedian Harmonists kommen! Keine Reklame, nichts; wir waren sofort ausverkauft", erzählte Jahre später der Basssänger Robert Biberti.
"Schönklingende Stimme gesucht"
Angefangen hatte alles mit einer unscheinbaren Zeitungsannonce, die Harry Frommermann am 18.12.1927 im Berliner Lokal-Anzeiger aufgab: "Achtung. Selten. Tenor, Baß (Berufssänger, nicht über 25), sehr musikalisch, schönklingende Stimmen, für einzig dastehendes Ensemble unter Angabe der täglich verfügbaren Zeit gesucht."
Frommermanns Schauspielerkarriere war gerade gescheitert, weil man ihn aus der Schule geworfen hatte, jetzt wollte er sich als Musiker versuchen. Elf Tage später, am 29. Dezember, stellten sich rund 70 Männer zum Vorsingen in seiner winzigen Mansardenwohnung ein. In Zeiten der Wirtschaftskrise hofften sie alle auf einen Job; leider mangelte es den meisten Bewerbern erheblich an Talent. Harry Frommermann hatte die Hoffnung also schon fast aufgegeben, da stand plötzlich Robert Biberti in der Tür. Und der überzeugte nicht nur mit seiner beeindruckenden Stimme, sondern teilte auch Frommermanns Schwärmerei für das amerikanische Vokal-Quartett "Revellers". Diesem Vorbild wollten die beiden in einer deutschen Variante nacheifern.
Biberti warb für das neue Gesangsensemble zwei Chorkollegen an: den Bulgaren Ari Leschnikoff und den Polen Roman Cycowski, später stießen noch Erich Collin und der Pianist Erwin Bootz, den alle nur "der schöne Erwin" nannten, zur Singtruppe.
Niederlage und Triumph
Die erste Probe fand Anfang Januar 1928 in Frommermanns zugiger Berliner Dachwohnung statt. Doch ein erstes Vorsingen fünf Monate später in der "Berliner Scala" geriet zum Fiasko: Bedauerlicherweise, so befand der Betreiber, hätte er einen Vergnügungspalast; die Darbietungen des Sextetts seien "wohl mehr etwas für ein Beerdigungsinstitut".
Man ließ sich nicht entmutigen. Der mit dem jungen Harry verwandte Künstleragent Bruno Levy verschaffte der Truppe im Sommer ein zweites Vorsingen bei dem Berliner Varietékönig Erik Charell. Der erkannte das Potenzial der Truppe und engagierte sie für 120 Mark pro Abend - eine für damalige Verhältnisse ungeheuer hohe Gage. Am 28. September 1928 hatten die Comedian Harmonists dann im "Großem Schauspielhaus" den ersten Auftritt ihrer Karriere.
Von da an ging es steil bergauf. Tingelte man am Anfang noch mit drei oder vier Titeln von Varieté zu Varieté und war nur ein kleiner Programmpunkt jeder Revue, verlangte das Publikum bald nach mehr. Schon 1929 bot man den Comedian Harmonists auch in anderen deutschen Großstädten von Hamburg bis Köln lukrative Engagements an. Ihr erstes komplett abendfüllendes Konzert gaben sie in Leipzig – und verließen das Theater als gefeierte Stars. An die Premiere am 26. Januar 1930 erinnerte sich der Tenor Ari Leschnikoff 45 Jahre später so: "Dieses Schreien, dieses Toben des Publikums, also ich war baff. Ich habe geweint vor Freude."
Vom Höhepunkt des Erfolgs zum unerwünschten Element
Die nächsten Jahre waren ein einziger Triumphzug für die erste deutsche Boy Group. 1930 gaben die Comedian Harmonists ihr allererstes Auslandsgastspiel in Amsterdam und sangen erstmals auch in einem Film mit. Das Lied "Ein Freund, ein guter Freund" aus "Die drei von der Tankstelle" mutierte zum Gassenhauer schlechthin.
In einer Zeit, in der ein Viertel Pfund Leberwurst 12 Pfennig kostete, verdienten die jungen Sänger im Jahr 50 bis 60.000 Mark. Und sie genossen ihr Leben in vollen Zügen, fuhren große Autos und kokettierten mit der Damenwelt. Die dunkle Wolke, die über ihnen schwebte, ignorierten sie zunächst: 1933 hatten die Nazis die Macht ergriffen, und drei Mitglieder des Sextetts waren Juden.
Die Comedian Harmonists interessierten sich nicht für Politik und dachten wohl, ihre Popularität würde sie vor Repressalien schützen. Und doch wurden einige vertraglich vereinbarte Konzerte schon im selben Jahr abgesagt, weil Juden auf deutschen Bühnen unerwünscht waren. Im Mai 1934 kam es dann zum endgültigen Verbot. Ihr letztes Konzert gaben die Comedian Harmonists in München. "Mit welchen Gefühlen wir da auftraten, brauche ich Ihnen nicht zu sagen", erzählte Robert Biberti später. "Wir verbeugen uns und da bricht ein Orkan los, das gesamte Publikum erhebt sich, sie jubeln und trampeln, und wir stehen da oben wie die begossenen Pudel." Und der Bariton und spätere Kantor Roman Cycowski ergänzte: "Und wo wir fertig sind mit dem Konzert, schreien alle: Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!"
Der Bruch
Das Auftrittsverbot führte zum Streit, der vielbeschworene Zusammenhalt des Sextetts erwies sich als brüchig. Die drei nichtjüdischen Mitglieder der Gruppe forderten einen höheren Gage-Anteil, weil die anderen schließlich schuld daran seien, dass man in Deutschland nicht mehr auf die Bühne könne. Am Ende einigte man sich dann doch, dass jedem wie bisher ein Sechstel zustand. Von nun an hielt sich die Gruppe mit Auslandsauftritten über Wasser. Ihre Hits sangen sie mehrsprachig. In Italien brillierten die Comedian Harmonists mit der Ouvertüre zum "Barbier von Sevilla", auf dem Flugzeugträger "Saratoga" im Hafen von New York begeisterten sie 80.000 Soldaten der US-Flotte, und in Frankreich hatte man schon 1931 ihr "Voilà, Les Gars de la Marine", die "Liebe der Matrosen" frenetisch bejubelt.
Doch am Ende trennte sich die Gruppe. Biberti, Leschnikoff und Bootz blieben in Deutschland, die Juden Collin, Cycowski, Frommermann setzten sich ins Ausland ab und versuchten als "Comedy Harmonists" in Wien ihr Glück. Bootz und die beiden anderen nichtjüdischen Sänger tingelten mit drei Nachwuchskräften ebenfalls noch bis 1941 unter dem Namen "Meister-Sextett" durch Deutschland. Doch die lockere Musik der Truppe galt als "dem Wehrwillen abträglich" und wurde nun endgültig verboten.
"Für beide Teile, sowohl für die ausgewanderten als auch für uns, kam der alte Standard nicht wieder, was wohl daran lag, dass der menschliche Zusammenhalt nicht mehr da war", sagte Robert Biberti Jahrzehnte später. Alle sechs Sänger überlebten den Krieg, doch auch nach 1945 kam die legendäre Truppe nie mehr zusammen. Ihre Lieder aber sind bis heute unvergessen.