Die doppelten Flüchtlinge aus Syrien
11. Februar 2013Ein Zimmer, eine winzige Küche, ein kleines Bad - das ist das neue Zuhause von Um Wajdi und ihrer Familie. Von der Decke blättert die Farbe ab. Auf dem Boden liegen ein grauer Teppichboden und dünne Schaumgummimatratzen, darüber zusammengelegte Wolldecken.
Seit Anfang Januar lebt die 43-jährige Frau mit ihrem Ehemann und zwei Söhnen, zwölf und 15 Jahre alt, im Palästinenserlager Shatila in Beirut. Ihre Wohnung in Yarmouk, dem größten Palästinenserlager in Syrien, existiert nicht mehr. Seit Monaten ist das Lager, südlich von Damaskus gelegen, Schauplatz von Kämpfen zwischen bewaffneten Aufständischen und der regulären syrischen Armee. Ein Teil von Yarmouk ist zerstört, dazu gehört auch die Wohnung dieser Familie.
Keine Lebensgrundlagen vorhanden
Das Wichtigste sei im Moment, genug Essen für die Kinder zu haben, das Zimmer zu heizen und Medikamente für ihren Jüngsten zu bekommen, der an einer Blutkrankheit leidet, sagt die zierliche Frau mit den langen schwarzen Haaren. In Syrien sei es billiger und leichter für sie gewesen, Medikamente zu bekommen.
Diese lebenswichtigen Dinge sind nicht selbstverständlich für Um Wajdi. Bei ihrer Ankunft bekamen die Flüchtlinge die bescheidene Zimmereinrichtung und Lebensmittel vom Volkskomitee in Shatila, das für die Verwaltung des Lagers zuständig ist. Das Volkskomitee verteilt Spenden, die es vom Internationalen Roten Kreuz bekommt. Und das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten UNRWA hat jedem Flüchtling, der aus Yarmouk kam, einmalig 40 Dollar und einen Lebensmittelgutschein in die Hand gedrückt. Zum Leben reichen diese Zuwendungen nicht, sagt Abu Wajdi.
"Allein die Miete für diese Einzimmerwohnung kostet monatlich 220 Dollar. Für dieses Geld hätten wir in Yarmouk in einem Schloss wohnen können, mit Essen und Trinken", erzählt Abu Wajdi. Hinzu kämen eine monatlische Elektrizitätsrechnung in Höhe von 60.000 Libanesischen Lira, rund 40 US-Dollar, und die Gebühren für den Aufenthalt im Libanon. Er gehe bei seinen Freunden betteln, um überleben zu können.
Resignation und Aussichtslosigkeit
Der Mittvierziger, der in Syrien als künstlerischer Direktor einer palästinensischen Folkloregruppe gearbeitet hat, wirkt resigniert. Sogar die PLO - die Palästinensische Befreiungsorganisation - helfe ihnen nicht, weil sie pleite sei, sagt Abu Wajdi. Arbeiten kann er nicht. Viele Berufe dürfen Paläsinenser im Libanon wegen der restriktiven Arbeitsgesetzte nicht ausüben.
Der Krieg in Syrien hat die Palästinenser aus Yarmouk zu doppelten Flüchtlingen gemacht. Die Großeltern von Um und Abu Wajdi stammen aus Nazareth, das heute in Nordisrael liegt. 1948 bei der Gründung des Staates Israel, wurden sie aus ihrer Heimat vertrieben und sind nach Syrien geflüchtet. Nun sind ihre Enkel wieder auf der Flucht.
Nach Angaben der UNRWA sind in den letzten Wochen mindestens 20.000 Palästinenser aus Syrien in den Libanon geflüchtet. Das UN-Hilfswerk erwartet, dass die Zahl noch steigen wird. Die meisten Flüchtlinge kommen bei Verwandten oder Bekannten in verschiedenen Palästinenserlagern im Zedernstaat unter. Abu Wajdi entschied sich für Shatila, weil er dort Freunde hat.
Erhöhte Mieten
Dieses Lager gehört zu den ärmsten und am dichtesten bevölkerten Stadtteile in Beirut. Ziad Hemmo vom Volkskomittee in Shatila sagt, dass das Lager eigentlich keine Kapazität mehr habe, zusätzliche Menschen aufzunehmen. Aber die Bewohner würden trotzdem Verwandte oder Bekannte bei sich wohnen lassen. Andere würden die Not der neuen Flüchtlinge ausnutzen und erhöhte Mieten verlangen. Hemmo hält eine regelmäßige finanzielle Hilfe für die Palästinenser aus Syrien für unumgänglich.
"Das größte Problem sind die Mieten. Damit hat sich noch niemand ernsthaft beschäftigt. Wir fordern, dass dieses Problem gelöst wird, aber niemand hat bis jetzt reagiert", sagt Ziad Hemmo. Darüber hinaus müsse es regelmäßige Hilfen für Kindermilch, Kleidung und Lebensmitteln geben. Jeden Monat oder alle zwei Monate ein Karton mit Reis und Zucker reiche nicht aus.
Fehlende Spenden
Die UNRWA, die für die Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien verantwortlich ist, ist überfordert. Hoda Samra vom UN-Hilfswerk in Beirut gibt zu, dass die bisherige Hilfe nicht ausreicht. Sie verweist auf die fehlende Finanzierung. In ihrem Notaufruf im letzten Dezember bittet UNRWA um 13 Millionen Dollar an Spenden, um palästinensische Flüchlinge, die von Syrien in den Libanon geflüchtet sind, zu versorgen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass das UN-Hilfswerk diese Summe in den kommenden Monaten zusammenbekommen wird. Bereits der erste Aufruf im vergangenen September brachte nicht den erhofften Betrag.
Samra rechnet damit, dass die palästinensischen Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren werden, sobald die politische Lage es erlaube. Abu Wajdi dagegen hält eine Rückkehr für unwahrscheinlich. Er ist davon überzeugt, dass die Palästinenser zwischen dem syrischen Regime und der Opposition zerrieben werden: "Beide Seiten werden uns beschuldigen nicht zu ihnen gehalten zu haben." Eine Zukunft für sich und seine Familie sieht er in Syrien nicht mehr.