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Die Deutschen in Venedig

Peter Claus2. September 2013

Auf den großen internationalen Festivals haben es deutsche Filme eher schwer. In Venedig ist es dieses Jahr ganz anders. Drei mit Spannung erwartete deutsche Beiträge prägten den Festivalauftakt.

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Der deutsche Regisseur und Autor Edgar Reitz auf dem Filmfestival von Venedig. Photo by Vision/Infophoto
Bild: picture-alliance/Infophoto

Venedig im Spätsommer. Die Lagunenstadt ist bis zum 7. September die Hauptstadt des Films. Strahlend laufen Hollywood-Stars wie George Clooney und Sandra Bullock über den roten Teppich. Neben Cannes und Berlin ist das Internationale Filmfestival von Venedig das wichtigste Festival der Welt. Doch Filme made in Germany sind auf dem Lido di Venezia eher die Ausnahme. Das war allerdings nicht immer so: 1992 feierte der deutsche Autor und Regisseur Edgar Reitz mit dem Mehrteiler "Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend" hier einen Triumph.

Sehnsucht nach der "anderen Heimat"

2013 ist er zurück. Sein neuer Film heißt "Die andere Heimat". Reitz erkundet darin nun schon zum vierten Mal das Leben in seiner Heimat, dem Hunsrück. Dieses Mal beleuchtet er den Alltag in dem von ihm erfundenen Dorf Schabbach kurz vor den revolutionären Ereignissen von 1848. Damals kämpften viele Deutsche für mehr Gleichheit, Freiheit und Einheit. Die Revolution scheiterte jedoch.

Im Zentrum von Reitz' Film steht der noch nicht einmal 20-jährige Jakob. Der Sohn des Dorfschmieds träumt wie viele seiner Zeitgenossen von einer Zukunft in Brasilien. Spannung erwächst vor allem aus der Frage, ob sich sein Traum erfüllt und er auswandern kann. Reitz hat wie in den anderen "Heimat"-Filmen in Schwarz-Weiß gedreht und betont mit gelegentlichen Farbtupfern besonders Schönes, etwa reife Kirschen am Baum. Das wirkt oft märchenhaft. Doch selbst Hungersnot und Armut wirken dadurch pittoresk. Reitz-Fans haben damit kein Problem, sie schwelgen. Es gab viel Beifall und Jubel in Venedig. Nicht wenige Besucher aber verließen das Kino noch vor dem Ende des vierstündigen Werks. Sie störten vermutlich formale Grobheiten wie zum Beispiel eine sehr vordergründige Musik und die vielen Erklärungen von Jakob als fast unentwegt zu hörendem Erzähler. So blieb das Publikumsecho insgesamt zwiespältig.

Jakob und seine Mutter Maria in einer Szene des Kinofilms «Die andere Heimat». Foto: Concorde Filmverleih 2013/Christian Lüdeke
Familienalltag im Jahr 1848: "Die andere Heimat" von Regisseur Edgar ReitzBild: picture-alliance/dpa

Deutsches Familiendrama im Wettbewerb

Auch der Autor und Regisseur Philip Gröning ist in Venedig schon bekannt. 2005 begeisterte er am Lido mit dem filmischen Essay "Die große Stille". Dieses Jahr hat es sein Spielfilm "Die Frau des Polizisten" in den Wettbewerb geschafft. Darin spiegelt Gröning mit großer Wucht Gewalt im häuslichen Kreis. Die Geschichte von Vater, Mutter, Kind ist stark stilisiert: Der Film ist in fast 60 sogenannte "Kapitel" unterteilt, Schrifteinblendungen geben einen herben Rhythmus vor.

Manche dieser Kapitel sind minimale Momentaufnahmen, andere dauern einige Minuten. Doch die Aufteilung führt zu nichts. Es ist nicht zu erkennen, was das soll. Rätselraten ist angesagt und das verstörte in Venedig viele. Wie bei Reitz' Film bleibt das Echo zwiegespalten. Einig sind sich alle darin, dass Philip Gröning kunstvolle Bilder komponieren kann. Sie spiegeln genau und eindringlich die körperlichen und seelischen Folgen von häuslicher Gewalt. Damit zeigt der Film familiäres Grauen, das oft verschwiegen wird. Doch das Kunsthandwerk wirkte auf einen Teil des Publikums sehr konstruiert und kühl. Wohl deshalb verließen Zuschauer das Kino vor Ende der Festival-Aufführung. Immerhin wird "Die Frau des Polizisten" auf dem Lido stark diskutiert.

Szene aus dem Film "Die Frau des Polizisten. dpa
Gewalt in der Familie: "Die Frau des Polizisten"Bild: picture-alliance/dpa

Schicksal der Wolfskinder

In der dem Nachwuchs vorbehaltenen Sektion "Orizzonti" ("Horizonte") stellte der deutsche Autor und Regisseur Rick Ostermann sein Spielfilmdebüt "Wolfskinder" vor. Es handelt vom Horror der Kinder und Jugendlichen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem damaligen Ostpreußen nach Litauen geflohen sind. In Wäldern und Sümpfen kämpfen sie ums nackte Überleben kämpfen. Eine tragische Geschichte, doch Ostermann gibt der Geschichte keine Fallhöhe und damit keine emotionale Erschütterung. Daher stößt der Film auch zunächst keine Diskussion über die vielen Schicksale der wirklichen „Wolfskinder“ jener Jahre an. Und deshalb wird in Venedig kaum über diesen Film geredet.

Eine Szene des Kinofilms «Wolfskinder» .Foto: Labiennale.org - (c) dpa - Bildfunk
Die "Wolfskinder" auf der Flucht vor der Roten ArmeeBild: picture-alliance/dpa

Stark im Gespräch war das deutsche Kino dagegen erst im August: beim Internationalen Filmfestival von Locarno. An den dortigen ungeteilten Zuspruch kann es in Venedig nicht anschließen. Quantitativ ist Deutschland bei diesem Festivaljahrgang in Venedig immerhin so kraftvoll vertreten wie lange nicht mehr. Das gilt sogar für den Auftritt auf dem roten Teppich: Von der würdevollen Eleganz eines Edgar Reitz kann sich selbst Hollywood-Star George Clooney noch etwas abgucken.