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Deutsche essen billig

14. Januar 2010

Die Ernährungsbranche ist einer der größten Industriezweige in Deutschland. Derzeit hat sie viel Grund zu klagen: Die Umsätze sind rückläufig und daher hofft man auf bessere Geschäfte auch im Ausland.

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Milchprodukte und Geldscheine (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Ob Milch, Wurst, Limonade, Pizza oder Schokolade - es geht immer noch etwas billiger. Insgesamt hat der deutsche Lebensmitteleinzelhandel 2009 zwölf massive Preissenkungsrunden durchgezogen. Die Deutschen geben nur noch rund elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Die Leidtragenden sind die produzierenden Betriebe, die der Marktmacht der Handelsriesen ausgeliefert sind.

So sank der Umsatz der deutschen Ernährungsindustrie 2009 auf 149,8 Milliarden Euro, das waren, so rechnet ihr Verbandsvorsitzender Jürgen Abraham vor, vier Prozent weniger als 2008. "Der Verbraucher hat nicht weniger Waren im Wert von 6,5 Milliarden Euro bezogen, sondern die Ernährungsindustrie hat das als Schmälerung ihrer Erlöse hinnehmen müssen." Das sei dramatisch für die 5800 Betriebe mit 530.000 Mitarbeitern, die unter dieser Situation eindeutig zu leiden hätten, so Abraham.

Eine Frau trägt jeweils eine Plastiktüte der Lebensmittel-Discounter "Lidl" und "Aldi" (Foto: dpa)
Die Deutschen geben nur noch elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausBild: dpa

Nicht nur die Ernährungsindustrie, auch die Agrarbranche stöhnt. Denn auch die Preise für Milch, Butter und Fleisch sind in Deutschland so niedrig wie nie zuvor. Daher kommt dem Export immer mehr Bedeutung zu. Durch die Wirtschaftskrise hat aber auch das Auslandsgeschäft gelitten. Deutsche Lebensmittel im Wert von rund 53 Milliarden Euro wurden 2008 ins Ausland exportiert. 2009 waren es rund fünf Prozent weniger. Angesichts des Preisverfalls im Inland ist das schwer zu verkraften.

Zweitgrößter Agrarproduzent in der EU

Derzeit werden knapp 20 Prozent aller in Deutschland hergestellten Fleisch- und Milchprodukte, sowie 12 Prozent aller Süß- und Dauerbackwaren ins Ausland verkauft. Agrargüter und Lebensmittel "Made in Germany" hätten im In- und Ausland einen hervorragenden Ruf und würden als nicht besonders teuer gelten, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner.

Deutschland ist der zweitgrößte Agrarproduzent in der EU nach Frankreich, auf Platz drei liegen die Niederlande. Bei der Erzeugung von Milch, Schweinefleisch, Kartoffeln und Raps sind deutsche Bauern in der EU sogar führend. 80 Prozent der deutschen Agrarexporte gehen in die Länder der Europäischen Union, in der Ernährungsindustrie sind es sogar 84 Prozent. Außerhalb der EU sind Russland, die Schweiz und die USA die wichtigsten Abnehmerländer.

Bauern beim Reisdreschen (Foto: dpa)
In Entwicklungsländern können heimische Produkte nicht mit billigen Agrarimporten aus Industrieländern konkurrierenBild: picture-alliance / OKAPIA

Bessere Geschäfte erhoffen sich die Deutschen in Zukunft in den Schwellen-, möglicherweise auch in den Entwicklungsländern. Doch dafür, so sagt Olivier de Schutter, der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung, müsste der Weltagrarhandel erst einmal grundlegend verändert werden. Das derzeitige Handelssystem, das den Verkauf von billigen Agrarprodukten aus den Industrieländern in den Entwicklungsländern begünstigt, schade mehr als es nütze. "Die Produzenten in den armen Ländern sind zum einen dadurch behindert, dass sie durch Zölle und andere Barrieren keinen Zugang zu den hochentwickelten Märkten der OECD-Staaten bekommen. Zum anderen ist der Wettbewerb auf ihren eigenen Märkten unfair und verzerrt, weil dort hoch subventionierte Lebensmittel aus den OECD-Staaten angeboten werden", so de Schutter.

Marktverzerrungen in den Entwicklungsländern

DBV-Präsident Gerd Sonnleitner (Foto: AP)
DBV-Präsident Gerd SonnleitnerBild: AP

So ist es beispielsweise in Kamerun mittlerweile billiger, importiertes Milchpulver zu verarbeiten als lokale Milch. In Bangladesh protestierten vor kurzem Bauern gegen den Verkauf von importiertem Milchpulver, weil es ihnen das Geschäft kaputt macht. Bauernpräsident Sonnleitner will von solchen Vorwürfen wenig wissen. "Wenn wir die eine Milliarde hungernde Menschen analysieren, dann sehen wir, dass in diesen Ländern meistens Bürgerkriege oder Krieg herrschen, maßloseste Korruption, kein Recht auf Eigentum, keine gesicherten Rechtsverhältnisse. Und dann finde ich es immer unfair, wenn behauptet wird, wir würden mit Agrarexport diese Länder kaputt machen." Es würden in der Regel nur kleine Mengen Agrarprodukte in Entwicklungsländer geliefert und zwar nur zur Hilfestellung oder zur Minderung von Notsituationen.

Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen Abraham (Foto: dpa)
Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen AbrahamBild: picture-alliance/ ZB

Jürgen Abraham, der Vorsitzende der deutschen Ernährungsindustrie, sieht das Thema differenzierter. Deutschland könne durchaus helfen, die Welternährung zu sichern und gleichzeitig Geschäfte machen. Stichwort: Export von Landtechnik. "Das heißt, wir müssen Menschen ins Ausland schicken, die es dort auf kleinen Flächen und in kleinen Gemeinschaften ermöglichen, dass sich dort erst einmal wieder selbst ernährt wird. Das sind kleine Strukturen." Allerdings müsse von politischer Seite dafür gesorgt werden, dass die Lage in den betroffenen Ländern stabilisiert werde. "Wenn es politisch dort nicht sicher ist und die haben Angst um Leib und Leben - wir hören ja so etwas immer wieder - dann ist es schwierig."

Autorin: Sabine Kinkartz

Redakteur: Dеnnis Stutе