Die DDR im Jahre 1968
4. März 2010Das Jahr '68 in der Bundesrepublik ist vielfach beschrieben und auch im Kino gezeigt worden. Doch wie sah es in der DDR aus? Nach dem Roman "Boxhagener Platz" von Torsten Schulz hat Regisseur Matti Geschonneck ein breigefächertes Bild der DDR im Epochenjahr '68 entworfen. Zu sehen sind viele großartige Schauspieler in einem Ensemblefilm, den der Regisseur als "Berliner Heimatfilm" bezeichnet. Jochen Kürten traf Geschonneck - Sohn der Ostdeutschen Schauspielerlegende Erwin Geschonneck - während der Berlinale.
DW-WORLD: Um was ging es Ihnen in erster Linie? Um die Geschichte dieses Platzes und seiner Menschen oder um die Stadt Berlin?
Matti Geschonneck: Der Grund das Buch zu verfilmen war, dass dieser Roman voller wirklich sehr authentischer, humorvoller, witziger, kraftvoller Figuren ist. Er gibt mehr über Berlin und über diese Zeit als über den Boxhagener Platz Auskunft. Und es ist selten, dass ein Buch über Berlin geschrieben wird, wo sich lakonischer Humor mit einer so sehr differenzierten und interessanten Figurenzeichnung koppelt. Hinzu kommt: Wir haben Gott sei Dank noch diese Schauspieler, die das darstellen können. Und mit diesem Ensemble konnte ich diesen Film drehen.
War die Zeit um das Jahr '68 vielleicht auch interessant, weil über die DDR zwar relativ viel gemacht wird - Nachkriegszeit, Wendezeit -, aber über die Endsechziger eben nicht. Wollten Sie diesen grauen Fleck in der DDR-Geschichte ins Kino bringen?
Die Wahl das Jahr '68 zu nehmen war bestimmt ein Kunsttrick des Autors. '68 war ja für den Westen und auch für den Osten ein sehr markantes Datum. Im Westen waren die Studentenunruhen. Im Osten der Einmarsch der sozialistischen Bruderarmeen in die CSSR. Das waren schon politisch sehr markante Zeiten.
Und es gab ja - was wenige wussten - auch in der DDR einen passiven, aber auch einen aktiven Widerstand. Es gab Flugblattaktionen. Es gab Verhaftungen. Es gab Leute, die sich offen und direkt, aber auch indirekt, gegen den Staat wandten. Die Nervosität der Oberen war schon gewaltig damals. Im Westen ebenso. Zwar ganz anders geartet, es gab Vietnam, es gab Rudi Dutschke. Aber es waren überall turbulente Zeiten. Und die Nervosität war in beiden Gesellschaftssystemen immens damals.
Wollten Sie vielleicht auch einen Film abseits des gängigen DDR-Kino-Klischees machen, etwas neben Ostalgie-Klamotte und Stasi-Drama?
Es gibt ja einfach wenig Stoffe. Wenige Stoffe, die mich interessiert haben. Ich habe einige Stoffe, wo die DDR Thema war, angeboten bekommen. Das waren finstere Stasifilme. Und es waren eben tatsächlich Klamotten. Das hat mich so nicht interessiert. Das ist beim "Boxhagener Platz" ein bisschen anders, weil man neben der humorvollen, lakonischen Berlin-Darstellung dieser Zeit auch etwas über den damaligen politischen Knick erfährt.
Vor allem durch die Figur des Karl, des Alt-Spartakisten, den Michael Gwisdek darstellt. Durch ihn kommt eine sehr melancholische und auch politisch ernsthafte und ambivalente Figur in den Film. Die ist für mich ein sehr wichtiger Bestandteil gerade einer solchen Komödie. Denn da geht es um die "wahren", um die "echten Kommunisten". Das ist natürlich ein Ausdruck, den seine Figur gebraucht im Film. Er sagt das zu einem Jungen. Es ist schon eine sehr bittere Wahrheit darin verborgen. Diese Figur des Karl steht für mich für den Fall der DDR. Für das Scheitern eines ganzen Systems.
Warum bündelt sich in dieser Figur der Fall der DDR?
Karl ist nicht in der Partei, er lebt aber als Kommunist in der DDR! Das sind diese Widersprüche. Es gibt auch einen Nazi im Film. Natürlich gab es in der DDR eigentlich gar keine Nazis. Aber natürlich gab es trotzdem welche. Uns jungen Pionieren wurde gesagt, alle Nazis seien selbstverständlich in Westdeutschland. Es gab offiziell auch keinen Mord in der DDR. Es war ja ein glückseliges Land. Ein reines Land. Was natürlich großer Quatsch war.
Das Gespräch führte Jochen Kürten
Redaktion: Petra Lambeck