Die Bishnoi
3. Mai 2012Balaram Bishnoi zeigt mit der ausgestreckten Hand auf den verdorrten Acker. "Es wächst nichts mehr hier, das Land ist tot. Ich habe Gemüse angebaut: Getreide und Sesam - alles Mögliche. Heute wächst hier nicht einmal mehr Gras. Das Land ist völlig ausgetrocknet". Balaram Bishnoi ist ein Bauer aus dem Dorf Doli in Rajasthan, im Westen Indiens. Abwässer der Textilindustrie haben sein Land ruiniert.
Mehrere hundert kleine und mittlere Textilbetriebe in der nahe gelegenen Stadt Jodhpur verschmutzen den Loni Fluss, die Lebensader der Region. Balaram und die anderen Bauern haben die Textilproduzenten verklagt und warten auf den Urteilsspruch.
Balaram selbst hat noch nie ein Lebewesen getötet oder einen noch grünen Baum gefällt. Er gehört zur religiösen Gruppe der Bishnoi. Sie gelten als die weltweit ersten Umweltschützer.
Umweltschutz als Religion
Die Geschichte der Bishnoi begann im 15. Jahrhundert. Nach einer schlimmen Dürre zog sich der Guru Jambeswar zum Meditieren zurück und hatte eine spirituelle Erleuchtung. Er verfasste 29 Regeln, die das Zusammenleben unter den Menschen und mit der Natur verbessern sollten. So kam der Name der Gemeinschaft zustande: Bish bedeutet 20 und noi neun - Bishnoi.
Heute leben rund eine halbe Million Bishnoi in Indien, der Großteil von ihnen in der Wüste im Bundesstaat Rajasthan. Pankaj Jain von der Universität Texas erforschte die Bishnoi und ihre Religion. "Sie sind eine Kaste innerhalb des Hinduistischen Kastensystems.", sagt Jain. "Sie sind strikte Vegetarier und töten keine Lebewesen. Die Natur ist ihnen heilig."
Der Wald in Khejarli, südöstlich von Jodhpur, ist der wichtigste religiöse Ort für die Bishnoi. Hier haben 363 von ihnen ihr Leben gelassen um Bäume zu beschützen, erklärt der Priester vor Ort, Shivdas Shastri. "Vor 200 Jahren befahl der König, den Wald zu roden um ein Fort zu errichten." Als die Männer des Königs kamen um die Bäume zu fällen, hätten die Bishnoi aus den umliegenden Dörfern protestiert, so Shivdas Shastri: "Sie haben gerufen: 'Wir werden sterben, aber wir lassen Euch die Bäume nicht fällen’". Der Priester betont, dass dieser historische Vorfall eine wichtige Rolle für den Umweltgedanken in der Gemeinschaft spielt.
Im Einklang mit der Natur
Antilopen, Rehe und andere wilde Tiere leben gemeinsam mit den Menschen in den Dörfern der Bishnoi. Manchmal, wenn ein Rehkitz die Mutter verliert, säugen es die Bishnoi Frauen. Diese Nähe zu den Menschen nutzen Wilderer aus.
Der Dorfbewohner Banaram Bishnoi ist erbost über Wilderer, die eine Gefahr für die bedrohten Arten der Region darstellen. "Manchmal schnappen wir die Jäger. Wir haben keine Waffen, aber das ganze Dorf kommt zusammen und gibt ihnen keine Chance zu entkommen." Er war Teil einer Gruppe, die einen Wilderer erwischt hatte. Sie schlugen ihn mit seinem eigenen Gewehr bis die Waffe zerbrach. Später ließ die Polizei ihn laufen.
Die Bishnoi mit ihrem strikten religiösen Glauben kämpfen einen ungleichen Kampf. Probleme wie die Umweltverschmutzung durch die wachsende Industrie bedrohen den Lebensraum der religiösen Ökoaktivisten. Für die gesamte Gemeinschaft ist es eine Herausforderung, ihren Weg in einer sich schnell verändernden Welt zu finden. "Es ist schwierig unseren Idealen treu zu bleiben", sagt Faglu Ramji. Er ist Vorsteher des Bishnoi-Dorfes Amliyavas. "Wenn wir sehen, wie schnell sich die Welt entwickelt, fühlen wir uns oft als Verlierer am anderen Ende."
Bedrohung von außen und innen
Manche Bishnoi allerdings nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand. Faglu Ramji zum Beispiel fährt mittlerweile Auto und betreibt ein kleines Transportunternehmen. Sein Sohn Bablu studiert in Jodhpur. "Ich will Beamter werden und dort für die Stadtverwaltung arbeiten, ich möchte nicht zurück aufs Land", sagt er.
Die Gemeinschaft der Bishnoi ist nicht nur bedroht von äußeren Umwelteinflüssen - sie verändert sich auch von innen heraus.