Weltkriegsschau in Bonn
24. November 2013"Die Jahre des Weltkrieges sind wie Fehlstellen, in denen es scheint, als hätten die Künstler aufgehört zu arbeiten." Was natürlich nicht stimmt, denn sie waren zum großen Teil sehr produktiv, ergänzt Angelica Franke. Fast drei Jahre hat sie mit dem Team der Bundeskunsthalle an den Vorbereitungen der Ausstellung gearbeitet. Ihnen fiel auf, dass in den gängigen Kunstgeschichten und Künstlerbiographien eklatante Lücken klaffen: Dort werden zumeist die Schaffensphasen bis 1914, dem Jahr des Kriegsausbruchs, und dann wieder die Zeit nach 1918 geschildert.
Das Ausmaß der Produktivität während des Ersten Weltkriegs war auch für den Kurator der Ausstellung, Uwe M. Schneede, überraschend. "Dass die Künstler an der Front und hinter der Front immer weiter gearbeitet haben, teils mit primitivsten Mitteln, ist erstaunlich. Fernand Léger, der keine Leinwände zur Verfügung hatte, schnitt Holzscheiben aus Bäumen heraus, um zu malen." Andere zeichneten auf Papier, malten Aquaralle. "So entstand international eine Fülle von Werken, von denen wir bisher noch gar nichts gewusst haben", resümiert Schneede.
Warum das Schicksal des Blauen Reiters beispielhaft ist
Wer verstehen will, wie der Krieg die Kunstwelt verändert hat, muss sich vergegenwärtigen, dass die Zeit vor 1914 die Hochzeit im Schaffen der internationalen Avantgarden war. Über die Grenzen von Ländern und Sprachen hinweg kooperierten die Künstler in internationalen Netzwerken. Zusammen machten sie sich auf die Suche nach neuen Darstellungsformen. Während die Künstler die Kunstwelt gemeinsam revolutionierten, lenkten Europas Politiker die Staaten auf Kollisionskurs.
Die Folgen sind bekannt: 17 Millionen Menschen ließen ihr Leben, viel mehr noch nahmen Schaden an Körper und Geist. Darunter auch einige Künstler der klassischen Moderne. Sinnbild für die zerstörerische Sprengkraft des Ersten Weltkrieges ist das Schicksal des vor 1914 führenden Kunstkollektivs Der Blaue Reiter: "Dem Blauen Reiter gehörten drei russische Künstler an: Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky und Wassily Kandinsky", erläutert Kunsthistoriker Schneede. "In München waren sie heimisch geworden, arbeiteten dort mit den deutschen Künstlern Franz Marc, August Macke und Gabriele Münter. Doch als der Krieg ausbrach, mussten sie als feindliche Ausländer Deutschland verlassen. Sie mussten fliehen. "Damit war die Gruppe auseinandergebrochen", so Schneede. August Macke fiel kurz nach Kriegsbeginn im Jahr 1914 in der Champagne. Franz Marc starb 1916 bei Verdun.
Aus Freunden werden Feinde
Der Krieg trieb einen Dorn in ihre Freundschaft. Franz Marc begrüßte den Krieg, nicht aus patriotischer Aufwallung, sondern weil er die bürgerliche Welt des alten Europas für verdorben hielt. Im Krieg sah er eine Kraft, die das Reine und das Neue hervorbringen würde. Als er dies in Briefen seinem Freund Kandinsky mitteilte, schrieb dieser kopfschüttelnd zurück: "Der Preis der Säuberung ist entsetzlich."
Auf russischer Seite zogen Kasimir Malewitsch und Wladimir Majakowskij in den Krieg und kämpften gegen Deutschland. Andere entzogen sich dem Krieg, in dem sie in neutrale Länder umsiedelten: Robert Delaunay ging nach Spanien, Hans Arp in die Schweiz.
Doch Begeisterung und Patriotismus versanken schnell in der Welt der Schützengräben. Vor allem an der Westfront glich der Krieg einer Apokalypse. Max Beckmann wurde 1915 Zeuge der ersten deutschen Chlorgasangriffe bei Ypern in Belgien. Wenig später erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Andere Künstler in Uniform wie Georges Braque oder Michail Larionow wurden schwer verwundet.
Auf der Suche nach neuen bildnerischen Mitteln
Die Zäsuren sind auch in den Bildern deutlich spürbar, schildert Uwe Schneede. "Ernst Ludwig Kirchner, der gar nicht an der Front war, sondern im Kriegsdienst, hat ein Selbstporträt geschaffen, in dem er sich selbst mit abgehackter rechter Hand, also der Hand des Malers, darstellt." Als ob der Künstler dem Betrachter sagen wolle, der Krieg habe ihn seiner Schaffenskraft beraubt.
Weil sie feststellten, dass ihre früheren Mittel nun nicht mehr angemessen waren, begannen sich die Künstler zu radikalisieren: George Grosz kam zu dem Schluss, eine hässliche Welt könne nur hässlich dargestellt werden. Kasimir Malewitsch fand die Antwort in vollständiger Abstraktion. Mit dem legendären Bild Schwarzes Quadrat legte er die Grundlagen für den so genannten Suprematismus.
Schöpferische Antworten auf die zerstörerische Kraft des Krieges
In Zürich entstand 1916 die Bewegung der Dadaisten als Antikunst, als ein Infragestellen alles Dagewesenen, als gemalten Zweifel. "Man möchte ja nicht wahrhaben, dass der Krieg Vater aller Dinge sei. Das behauptet diese Ausstellung auch nicht. Aber Fakt ist, dass Dada nur deshalb entstanden ist, weil Künstler als Kriegsflüchtlinge in die neutrale Schweiz gegangen sind und sich in Zürich getroffen haben", sagt Uwe Schneede.
Wieder andere zogen es vor, in eine andere (Bild-)Welt zu flüchten. "Giorgio de Chirico und Carlo Carrà haben sich in eine psychiatrische Militäranstalt in Ferrara begeben, um dem Krieg zu entfliehen und in Ruhe malen zu können. So sind große Werke der Pittura metafisica, der später der Surrealismus folgte, entstanden", erklärt der Kunsthistoriker.
"Wir wissen nicht, was gewesen wäre, wenn...", findet auch Angelika Franke. Aber auch für sie ist klar, dass Suprematismus, Dada und Surrealismus künstlerische Reaktionen auf den Krieg sind.