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Die Außenseiter-Favoritin: Kerber in Wimbledon

Marko Langer
28. Juni 2019

“From Germany: Angelique Kärbärrr“, ruft der Sprecher im britischen Eastbourne. Dort bereitete sich die Deutsche auf Wimbledon vor. Dass die Titelverteidigerin Kerber dort Favoritin wäre, kann man nicht unbedingt sagen.

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WTA Premier - Eastbourne International Angelique Kerber
Angelique Kerber beim Vorbereitungsturnier in EastbourneBild: Reuters/Action Images/A. Couldridge

Wie gerne hätte ihr der Schlägersponsor vergangenen Monat noch eine neue Tasche spendiert. Denn neben ihrem Spitznamen "Angie" und den ebenfalls neben dem Reißverschluss eingestickten Symbolen eines Kängurus, des Big Bens und der Freiheitsstatue wäre noch gut Platz gewesen. Für einen Eiffelturm zum Beispiel. Der hätte aber nur dann auf die Schlägertasche gehört, wenn Angelique Kerber neben den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne (daher das Känguru), London (Big Ben, klare Sache) und New York (Freiheitsstatue) auch die French Open hätte gewinnen können. Doch daran war in diesem Jahr, auch gehandicapt durch eine Knöchelverletzung, nicht zu denken.

Serena Williams vom Platz geschickt

Also blieb es bei den drei Symbolen auf dem "Racket Bag", das die 31-jährige Deutsche in dieser Woche im britischen Seebad Eastbourne schulterte, um sich beim dortigen WTA-Turnier auf die wichtigsten beiden Wochen in ihrem Tennisjahr vorzubereiten. Dort, wo manchmal Möwen vom Kreidefelsen auf den Centre Court herüberfliegen. Mission Titelverteidigung, schreiben manche dieser Tage über Kerber und über die am kommenden Montag (1. Juli) beginnende Meisterschaft in Wimbledon. Andere erinnern sich daran, wie eindrucksvoll Angelique Kerber im vergangenen Jahr im Finale des traditionsreichen Londoner Turniers, das sich selbst mit britischem Understatement nur noch „The Championships" nennt, Serena Williams klar in zwei Sätzen mit 6:3, 6:3 vom Platz schickte.

Erstmal auf Betriebstemperatur

Wer Angelique Kerbers Auftritte in Eastbourne beobachtet, sucht nach jener dominanten, von sich selbst und ihrem Spiel überzeugten Wimbledon-Siegerin. Eher nachdenklich, manchmal mit überraschenden Fehlern auftretend, scheint die beste deutsche Tennisspielerin und gegenwärtige Weltranglisten-Fünfte selbst noch etwas auf der Suche, zum Beispiel nach dem idealen Bewegungsablauf auf dem britisch-kurzgeschnittenen Rasen. Auch wenn sie ihre ersten Gegnerinnen dort, die Australierin Sam Stosur, die Schwedin Rebecca Peterson und selbst die Rumänin Simona Halep ohne Satzverlust schlagen konnte. Dann steht sie im Endspiel von Eastbourne, weil ihre Gegnerin im Halbfinale wegen eines verknacksten Knöchels nicht antreten kann. Aus ihrem ersten Turniersieg nach dem Triumph in Wimbledon wurde jedoch nichts. Mit 1:6, 4:6 zog Kerber gegen die formstarke Weltranglisten-Dritte Karolina Pliskova aus Tschechien den Kürzeren.

Die Fans der deutschen Spielerin muss eine gewisse Nachdenklichkeit bei Angelique nicht beunruhigen. Wer sich mit der DTB-Chefin ("Head of Womens Tennis") Barbara Rittner über Kerber und deren Spiel unterhält, der erfährt stets, dass sich Angie "reinbeißen" muss in ein Turnier. Dass sie die ersten beiden Runden und dabei manchmal auch Zitterspiele überstehen muss, um auf Betriebstemperatur zu kommen.

WTA Premier - Eastbourne International Aryna Sabalenka
Auf dem Zettel vieler Experten: die Weißrussin Aryna SabalenkaBild: Imago Images/ZUMA Press/AFP

Gut, dass sich bei Kerber Eitelkeit in Grenzen hält. Sonst hätte sie sich vielleicht darüber ärgern können, dass der Oberschiedsrichter von Wimbledon Kerber vor der Auslosung "nur" auf Position 5 gesetzt hat. Titelverteidigerin hin, Titelverteidigerin her. Vier andere Damen haben nach dem bisherigen Saison-Verlauf einfach die bessere Bilanz - und bei der Aufzählung dieser Namen wird klar, welche - uncharmant ausgedrückt - harte Brocken Angelique Kerber auf den von ihr geschätzten Rasenplätzen vor sich hat: Ashleigh Barty (Australien), Naomi Osaka (Japan), Karolina Pliskova (Tschechien) und Kiki Bertens (Niederlande) stehen vor ihr – eine besondere Arithmetik wie bei den Männern, die gute Ergebnisse bei Rasenturnieren gesondert bewerten, gibt es im Damenfeld nicht. Und Kerbers Auslosung für Wimbledon hat es in sich. 

Außerdem: Was man seit dem Ende der Dominanz von Serena Williams im Damen-Tennis beobachten kann, dürfte auch das diesjährige Turnier an der Londoner Postadresse SW19 prägen. Eigentlich kann jede Spielerin jede andere Spielerin schlagen. DTB-Chefin Rittner hat zum Beispiel seit längerem die Weißrussin Aryna Sabalenka auf dem Zettel. Und auf einmal schauen viele Experten besonders aufmerksam auf die US-Amerikanerin Sofia Kenin, der auf Rasen allerdings nicht ganz so viel zugetraut wird.

"Es wird eine gute Woche werden", sagte Angelique Kerber selbst in Eastbourne vor der Kamera der Womens Tennis Association (WTA). Das Turnier dort sei ja immer ihre Vorbereitung für Wimbledon. Und wer dann gehofft hatte, dass Kerber ein wenig mehr Einblicke gewähren würde, hat die Deutsche in Interviews noch nicht erlebt. Stattdessen: ihr stets freundliches Poker-Face. "It's always really special", sagte sie noch zum Spiel auf Gras. Mehr nicht. "Angie" weiß, dass sie in Wimbledon momentan nicht Favoritin ist. Eher so etwas wie die Außenseiter-Favoritin. Vielleicht ist ihr das sogar ganz recht.