Die Angst vor einer Rückkehr der Atomwaffen
1. Februar 2019Atomkrieg und Lebensgefahr wirken auf der Waldheide weit weg. Eine feine Schneedecke bedeckt im Januar 2019 die Lichtung im Stadtwald des süddeutschen Heilbronn. Spaziergänger führen ihre Hunde über die Heide, der Schnee knirscht. Am 11. Januar 1985 war das Wetter ähnlich, aber sonst war alles anders. Damals war das Gelände ein Hochsicherheitstrakt der US-Armee und der Schauplatz eines fatalen Unfalls.
Larry Nichols war als US-Soldat in Heilbronn stationiert, als Mietglied der Nuklearen Einheit. Er wusste also, dass Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II in Bunkern auf der Waldheide lagerten. Sprechen durfte er darüber nicht. "Es war ein Unding, dass die Heilbronner nichts davon wussten. Mir hat das ganze Angst gemacht, weil ich wusste, was wir da haben", erinnert sich Nichols. Dann passierte etwas, dass plötzlich alles veränderte.
Ein Unfall, der die ganze Welt alarmierte
Nichols war an dem Tag des Unfalls nicht mehr Teil der Einheit an der Waldheide, war aber trotzdem in Heilbronn geblieben. Er erinnert sich noch genau, was seine Kameraden ihm damals erzählten. Als einige der Soldaten an einer Pershing arbeiteten entzündete sich Treibstoff und die Rakete explodierte. Drei Soldaten starben, 16 wurden zum Teil schwer verletzt. Der nukleare Sprengkopf war nicht in der Rakete, aber "ein Soldat dachte, dass es eine Atomexplosion ist", erinnert sich Nichols. "Und das alles auf dem Höhepunkt des kalten Krieges – die ganze Welt war alarmiert." Durch den Unfall erfuhren die Heilbronner erst offiziell, dass die Waldheide ein Pershing-Standort war.
Alfred und Susanne Huber sagen, sie wussten zu dem Zeitpunkt schon von den Atomraketen. Die Hubers waren Teil der Friedensbewegung und hatten gegen die Stationierung der Pershings in Deutschland demonstriert. Bei sich zu Hause in Heilbronn, aber auch bei den Großdemonstrationen mit bis zu einer halben Million Menschen in der Hauptstadt Bonn. "Unsere Forderung war immer: keine Bedrohung anderer und keine Gefahr für uns selbst", sagt Alfred Huber. Dass die Diskussion nun zurückkehrt, nennt Susanne Huber einen "Rückschritt".
Das Heilbronner Fukushima - Anfang vom Ende des Kalten Krieges?
Angst war damals "weit verbreitet" erinnert sich Alfred Huber. Zwar wollte die Friedensbewegung vor allem verhindern, dass andere "durch Heilbronn bedroht werden. Die Bevölkerung hat aber ebenfalls den Aspekt gesehen, dass wir als Raketenstandort auch ein Ziel sind".
Nach dem Unfall kippte die Stimmung endgültig. Konrad Wanner vom Heilbronner Friedensrat spricht von ihrem "Fukushima-Moment". Auf einmal waren vor Ort alle gegen die Raketen, nicht nur die Linken. Die Bevölkerung sei dadurch "aufgewacht", sagt Susanne Huber: "Der Unfall war eine Bestätigung, wie gefährlich das hier ist."
Auch Larry Nichols hält das Ereignis in der Waldheide für bedeutend, sogar für den "Anfang vom Ende des Kalten Krieges". Tatsächlich unterschrieben US-Präsident Ronald Reagen und Kreml-Chef Michael Gorbatschow im Dezember 1987 den sogenannten INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Force), der nukleare Mittelstreckenraketen wie die russischen SS20 und die amerikanischen Pershing II verbot. Und tatsächlich waren die ersten Raketen, die aus Deutschland abgezogen wurden, die aus der Waldheide im Jahr 1988. Jahre später waren dann auch die letzten Atomraketen auf deutschem Boden Geschichte.
Legende der Friedensbewegung kritisiert US-Präsidenten
Der SPD-Politiker Erhard Eppler war in den 80er-Jahren einer der prominentesten Vertreter der deutschen Friedensbewegung. Politik und Gesellschaft waren damals gespalten - Eppler war klar gegen die sogenannte Nachrüstung in Deutschland. Heute wäre der Protest gegen Atomraketen in Deutschland noch breiter, glaubt er.
Damals konnten Eppler und die Friedensbewegung die Stationierung von über 100 Pershing II Raketen in Deutschland nicht verhindern. Umso größer war auch bei ihm die Freude über den INF-Vertrag. Damit sei das Thema Mittelstreckenraketen erledigt, dachte er. "Offenbar hat es sich aber nicht erledigt. Was wir jetzt erleben, hat mit der puren Irrationalität eines Donald Trump zu tun. Man weiß nicht, was der für Absichten hat".
Mit friedlichen Mitteln Widerstand gegen neues Wettrüsten
Tatsächlich will US-Präsident Donald Trump Medienberichten zufolge an diesem Freitag entscheiden, ob er den INF-Vertrag kündigt. Seine Begründung: Russland habe neue Atomwaffen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern gebaut. Solche Raketen sind laut INF-Vertrag verboten. Die Sorge in Deutschland: Wie im Kalten Krieg könnten die USA auf die russischen Raketen mit eigenen Mittelstreckenraketen antworten wollen. Konrad Wanner vom Heilbronner Friedensrat sieht Parallelen zu den 1970er-Jahren: "Man hat auch damals der Sowjetunion vorgeworfen, sie würden hochrüsten und USA und NATO müssten nachziehen."
Am Standort von damals kann man heute die 21-jährige Grünen-Politikerin Isabell Steidel und ihre Freunde treffen. Steidel kann sich nicht vorstellen, dass auf dem Gelände einmal Waffen von einer solchen Zerstörungskraft lagen. Dass sie zurück kommen könnten macht ihr "total Angst". Eines ist für die junge Frau aber auch klar: Sollte es noch einmal Aufrüstungs-Pläne geben, würde sie "mit allen friedlichen Mitteln dagegen kämpfen". Der Heilbronner Friedensrat wäre dabei und auch der 92-jährige Erhard Eppler würde Widerstand leisten: "Das wird vielleicht andere Formen annehmen, aber selbstverständlich würde ich mich daran beteiligen."