Die Angst vor der Sanktionsspirale
24. März 2014Entschlossen und energisch zeigt sich der US-Präsident auf seiner Europa-Reise: "Wir sind einig darin, dass Russland für sein bisheriges Handeln bezahlen muss", sagte Barack Obama in Amsterdam nach einem Treffen mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Gemeint sind härtere Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland. Von ihrer Wirksamkeit scheint Obama überzeugt zu sein. "Zunehmende Sanktionen werden erhebliche Folgen für die russische Wirtschaft haben."
Die europäischen Partner sind hingegen skeptisch. Schließlich könnten die Sanktionen einen negativen Einfluss auf ihre eigenen Wirtschaften haben, denn sie sind viel stärker mit Russland verbunden als die der Vereinigten Staaten. Ob die Tourismusbranche in Griechenland und Zypern oder die Finanzmetropole London: Die Europäer zeigen sich etwas zurückhaltender, was Wirtschaftssanktionen gegen Russland angeht.
Wenn das Kapital nicht mehr fließt
Auch in Deutschland fürchten die Unternehmen hohe Kosten, die durch schärfere Strafmaßnahmen entstehen könnten. Denn für die deutsche Wirtschaft steht einiges auf dem Spiel. Zumindest bekommt man diesen Eindruck, wenn man in den letzten Tagen den Vorständen von Großunternehmen aufmerksam zugehört hat. "Wir spüren bereits Belastungen durch den Wechselkurs des Rubel", sagte Opel-Chef Karl-Thomas Neumann der Branchenzeitung "Automobilwoche". Russland werde 2020 der größte Automarkt Europas sein. Und die Entwicklung bis dahin werde wie bei einem Marathon verlaufen - mit Höhen und Tiefen, sagt Neumann.
Und auch andere warnen: "Wer sich in der aktuellen Debatte für Sanktionen gegen Russland stark macht, spielt mit dem Feuer", sagt Martin Sonnenschein, Berater bei A.T.Kearney und zuständig für Zentraleuropa. "Die Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft und den gesellschaftlichen Wohlstand wären sicherlich fatal." Wer jetzt in Russland investieren wolle, müsse sicherlich hohe Risiken in Anspruch nehmen, sagt der Experte.
Die Krim-Krise - ein Eiertanz für die Wirtschaft. So gebannt man die politischen Entscheidungen verfolgt, man hofft, mit einem blauen Auge davon zu kommen. Ihre Erwartungen haben die Unternehmen, die nach Russland exportieren oder dort investieren, erst einmal zurückgeschraubt: "2014 sollte eigentlich ein wirklich gutes Investitionsjahr für deutsche Unternehmen in Russland werden", sagt Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), "doch nun werden Investitionen verschoben, manche werden gänzlich in die Tonne gesteckt. Kapital fließt ab. Und auch die deutschen Banken stufen Russland jetzt als riskanten Geschäftspartner ein und vergeben weniger Kredite." Man bereitet sich auf das Schlimmste vor und hofft auf das Beste, so scheint die Vorgehensweise ausländischer Unternehmen in Russland zu sein.
Ist die Angst berechtigt?
"Eigentlich ist die Bedeutung des Außenhandels zwischen Deutschland und Russland zu gering, um es zum Problem werden zu lassen", sagt der Finanzexperte Jürgen Pfister. Einzelne Unternehmen würden zwar sicherlich betroffen sein, aber gesamtwirtschaftlich sei das kein großes Risiko, so Pfister im DW-Interview.
So trägt Russland lediglich 3,8 Prozent zur deutschen Gesamtausfuhr bei. Der Export nach Russland für 2013 lag bei 38 Milliarden Euro bei einer Gesamtsumme von mehr als einer Billion Euro. Der Anteil bei Auslandsinvestitionen wird auf 1,8 Prozent beziffert.
Auch wenn die Zahlen für sich sprechen, Volker Treier vom DIHK sieht es nicht so gelassen und denkt über weitere Folgen möglicher Sanktionen nach: Als Volkwirtschaft könne es Deutschland weitgehend verkraften, "aber es fügt uns einen Schaden zu. Hierzulande hängt jeder dritte Arbeitsplatz vom Export ab." Würden weitere Wirtschaftssanktionen beschlossen, dann beträfe das knapp 400.000 Arbeitsplätze hier in Deutschland, sagt Treier.
Moskau gibt sich siegessicher
Russland gibt sich bislang unbeeindruckt von dem, was die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder in Den Haag planen. Der Chairman und größte Aktionär der russischen Bank Rossija, Juri Kowaltschuk, hatte am Sonntag erklärt, die US-Sanktionen hätten ihm mit seinem Institut sogar neue Kunden unter patriotisch gesinnten Russen gebracht. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte kürzlich öffentlich gesagt, er würde ein Konto bei der Bank eröffnen. Das in Sankt Petersburg ansässige Institut rät nach Angaben vom Montag, vorerst keine Zahlungen und Überweisungen mehr in Fremdwährungen auf Konten bei dem Geldhaus vorzunehmen. Überweisungen in Rubel seien dagegen unproblematisch.
Doch Russland ist auch verwundbar. Das Land wäre durch Einschränkungen der Handelsbeziehungen mit dem Westen erheblich betroffen, meint Jürgen Pfister. "Denn alle Einnahmen aus dem Export resultieren im Wesentlichen durch die Verkäufe an den Westen. Wenn das in Gefahr gerät, wäre auch der wirtschaftliche Aufschwung in Russland gefährdet, der ohnehin in den letzten Jahren sehr schwach ist", sagt der Experte.
Auch deswegen wird sich Russland zwei Mal überlegen müssen, ob und für wie lange es sich überhaupt leisten kann, den Gashahn abzudrehen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger rechnet im Zuge des Ukraine-Konflikts nicht mit einer Kappung der russischen Gaslieferung nach Europa. "Ich gehe nicht davon aus, dass die Russen ein Interesse daran haben", sagte der CDU-Politiker in einem am Samstag veröffentlichten Interview der "Wirtschaftswoche". "Gazprom ist an täglichen Verkaufserlösen interessiert", sagte er mit Blick auf den staatlich kontrollierten Monopol-Konzern. Russland brauche nicht nur die Erlöse, sondern auch Investitionen aus der EU. "Es wäre in seinem Sinne, dass deutsche Autos nicht nur in Ingolstadt oder Sindelfingen gebaut werden, sondern auch neue Standorte in Russland entstehen."
Sollten die Drohungen auf beiden Seiten verschärft werden, warten am Ende sicherlich mehr Verlierer als Gewinner. Experten appellieren daher zur Mäßigung. "Wenn sich Russland darauf beschränkt, die Krim zu annektieren, aber nicht darüber hinaus in der Ukraine weiter zu intervenieren, sollten wir von härteren Wirtschaftssanktionen Abstand nehmen", sagt Pfister. Das sei der pragmatische Ansatz, der einer Verschärfung der Krise entgegenwirkt. Ob sich beide Seiten daran halten?