Bayreuth 2010
24. Juli 2010Neben Prominenten aus Politik und Showbusiness sind Wagnerianer und andere Interessierte dabei, für die ein Traum in Erfüllung geht. Christian Thielemann, Dirigent der gegenwärtigen Produktion der Operntetralogie "Der Ring des Nibelungen", berichtet, dass diese Begeisterung von den Künstlern geteilt wird: "Man ist völlig fokussiert auf diese Wagner-Stücke." Höhepunkt des Festival-Sommers in Deutschland, renommiertestes Opernfest der Welt, Pilgerstätte der Wagnerianer, Megaereignis: Die Bayreuther Festspiele üben eine einmalige Faszination aus.
An diesem 25. Juli 2010 beginnen die 99. Bayreuther Festspiele mit einer Neuinszenierung von Richard Wagners romantischer Oper "Lohengrin". Regisseur Hans Neuenfels und Dirigent Andris Nelsons geben dabei ihre Bayreuth-Debuts. Ebenfalls auf dem Spielplan stehen "Parsifal", "Die Meistersinger von Nürnberg" und der Opern-Zyklus "Der Ring des Nibelungen" – allesamt Werke von Richard Wagner in bereits bekannten Produktionen.
Es begann mit einem Traum
"Richard Wagner schreibt Opern für ein Theater, das es nicht gibt", klagte ein Zeitgenosse. Anstatt an der Realität zu scheitern, realisierte Wagner seinen Traum, ein eigenes Festspielhaus. Ein Provisorium sollte es werden, dennoch wegweisend für das Theater der Zukunft. Genau das Gegenteil geschah: Richard Wagners Festspielhaus steht noch heute und ist einmalig geblieben.
Wagner-Sucht
Wagners Musikdramen sind komplex, vielschichtig, lang und erschließen sich dem Zuhörer erst nach wiederholter Beschäftigung mit der Handlung und der Musik. Für den 84-jährigen deutschen Schriftsteller Tankred Dorst und viele seiner Generation ist das Festspielhaus ein Anblick, der gemischte Gefühle hervorruft: "Dieser 'Grüne Hügel' ist natürlich ein ganz besonderer Platz, nicht nur aus Kunst-Gründen, sondern ist ja selbst ein Mythos, der zur deutschen Geschichte gehört, im Guten und mehr noch im Schlimmen. Wenn ich morgens zur Probe da hinauf fahre und sehe dieses Haus, dann fällt mir dieser Teil der deutschen Geschichte ein, dass das, was Wagner gemacht hat, noch mal eine andere Rolle gespielt hat, in der Nazizeit nachher."
Die Wagner-Dynastie
Richard Wagner war ein halbes Jahrhundert vorher gestorben, die damalige Festspielchefin Winifred Wagner war Parteimitglied und persönlich mit Hitler befreundet. Auch das gehört zur Festspielgeschichte. Seit Gründung der Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 wurden sie ausschließlich von Mitgliedern der Wagner-Familie geleitet. Zunächst war es Richard, dann seine Witwe Cosima, Sohn Siegfried, Schwiegertochter Winifred, die Enkel Wieland und Wolfgang und jetzt, seit 2008, die Urenkelinnen Eva und Katharina. Kein anderes Festival kann eine ähnliche Familiendynastie aufweisen.
Tradition und Revolution
Richard Wagner, vom deutschen Schriftsteller Thomas Mann als "wahrscheinlich das größte künstlerische Talent der Menschheitsgeschichte" beschrieben, polarisiert. Ob das Publikum im Festspielhaus "Bravo!" oder "Buh"! ruft, hängt nicht nur von den hohen Erwartungen oder von der Qualität der Aufführung ab. Jürgen Flimm, Regisseur der Bayreuther "Ring"-Produktion von 2000-2005, hat es so erfahren: "Das ist sehr interessant, dass die Leute in Bayreuth zu erhöhter Militanz neigen, und das ist manchmal etwas erschreckend. Es handelt sich um Theater und es handelt sich um Subjektives, was Leute auf der Bühne machen. Da kann man sagen, 'Das ist anders - das mag ich nicht', aber man kann nicht sagen, 'Das ist falsch'! Falsch und richtig gibt es in der Kunst nicht."
Mensch und Mythos
Richard Wagners Musik und sein Wirken haben Kultstatus erlangt. Das Ergebnis, so Jürgen Flimm: "Es gibt an einem Theater irrationale Schwingungen. Das ergibt dann irgendwie merkwürdige Energiefelder. Viel mehr hier als sonst wo. Das ist auch gut so. Das macht es auch spannend, selbstverständlich. Die Geschichte dieser Familie ist fast wie bei Shakespeare." Trotz der medialen Öffnung der Festspiele in den letzten zwei Jahren mit Public Viewing, Internetstream und Podcasts aus dem Festspielhaus, dürfte das Interesse gerade wegen der "irrationalen Schwingungen" fortbestehen. Zunächst am Eröffnungstag am 25. Juli mit Schaulustigen, Promis und Polizei-Aufgebot. Danach in 29 weiteren Vorstellungen bis zum 28. August, wo es dann tatsächlich um Richard Wagner und seine Musikdramen geht.
Autor: Rick Fulker
Redaktion: Gudrun Stegen