Goldene Berlinale-Kamera für Französin Agnès Varda
30. Mai 2018Mit 90 Jahren steht sie noch auf der Bühne, diesmal im Berlinale-Palast und nimmt eine Berlinale-Kamera entgegen, Auszeichnung des Festivals für diejenigen, die der Berlinale besonders verbunden sind. Viermal war Agnes Varda schon mit ihren Filmen im Wettbewerb. 1965 erhielt sie den Großen Preis der Jury für "Le Bonheur" (dt. Titel: "Glück aus dem Blickwinkel des Mannes"). Zuletzt hatte sie 2004 hier ihren den Kurzfilm "Le lion volatil" präsentiert.
Jetzt nimmt sie die "Kamera" aus den Händen von Berlinale-Chef Dieter Kosslick entgegen - und nicht nur das. Sie hat auch ihren neusten Film im Gepäck, der wird auf großer Leinwand im Berlinale-Palast gezeigt: "Varda par Agnè" ist eine Dokumentation über ihr Leben und ihr Werk.
Agnès Varda war immer schon eine Filmemacherin, die zwischen Dokumentation und Spielfilm pendelte. Sie ist eine europäische Film-Künstlerin, die sich dem Kommerzkino verweigerte, konsequent ihre eigene künstlerische Linie verfolgte. So überraschte es viele 2017 so manche, als die Oscar-Akademie beschloss, ausgerechnet der Autoren-Filmerin Agnès Varda einen Ehrenoscar fürs Lebenswerk zu verleihen: Varda und die glänzend-goldene Statuette aus Hollywood, die wie kaum ein anderer Preis für Glanz und Glamour steht - wie passte das zusammen?
Autodidaktin hinter der Kamera
Agnès Varda ist Tochter eines Griechen und einer Französin. Geboren wurde sie am 30. Mai 1928 in Brüssel. Aufgewachsen ist sie an der südfranzösischen Küste. Sie ist kein Kind des Kinos, sondern der Literatur, der Fotografie und der bildenden Kunst. Sie kam zum Kino mit nur wenig Erfahrung. Als sie 1955 ihren ersten Film "La Pointe Courte" auf die Leinwand brachte, soll sie zuvor erst zehn Filme im Kino gesehen haben. Eher interessierte sie sich für die großen Schriftsteller, Künstler und Fotografen. "Die Fotografie hört nicht auf, mir beizubringen, wie man Filme macht", hat sie später einmal gesagt.
Später wurde Agnès Varda aber dann doch zu einer Frau des Kinos. Eigentlich wie keine andere in Frankreich, dem Geburtsland des Kinos. Doch Varda stand lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen, Jean-Luc Godard und François Truffaut, Claude Chabrol, Jacques Rivette und Eric Rohmer. Sie galten als die Revolutionäre des Kinos, als Begründer der berühmten Nouvelle Vague, die zu Beginn der 1960er Jahre für eine Wiedergeburt des französischen Films gesorgt hatte. Von Varda war in diesem Zusammenhang weniger die Rede. Was auch daran lag, dass die 1928 geborene Filmemacherin nicht im Umkreis von Truffaut und Godard verkehrte, die über das Schreiben von Kinokritiken zum Film gekommen waren.
Eine experimentierfreudige Regisseurin
Dabei hätte die Film-Geschichtsschreibung allen Grund gehabt, Agnès Varda früh zu beachten, schließlich nahm ihr Debüt 1955 vieles vorweg, was ihre männlichen Kollegen ein paar Jahre später in heute berühmten Werken wie "Außer Atem" oder "Sie küssten und sie schlugen ihn" ausarbeiteten: eine unkonventionelle Dramaturgie, filmische Experimente mit Kamera, Schnitt und Montage, ein Zusammenspiel von Spiel- und Dokumentarfilm-Elementen. "All das Neue, womit die Nouvelle Vague die 'Tradition der Qualität' herausfordern wird, (ist) bereits in Vardas Erstling vorhanden: produktionstechnisch, in der Geisteshaltung und ästhetisch", skizzierten die Kritiker Miriam Fuchs und Norbert Grob später den Werdegang der Regisseurin.
Und in späteren Jahren wurde Agnès Varda dann auch dazugezählt, wenn von den großen französischen Kino-Erneuerern die Rede war - stets mit dem Zusatz: die einzige Frau der Nouvelle Vague. Dass Varda lange nicht so wahrgenommen wurde, lag vielleicht auch daran, weil sie eben eine Frau war: Das Schreiben über das Kino war ja auch eher Männersache. Das hat sich inzwischen geändert. Und so ist auch Varda in den letzten Jahren vielfach ausgezeichnet, geehrt und gefeiert worden.
Ein Oscar für die einzige Frau der Nouvelle Vague
Mit dem Oscar hatte Varda den meisten der Nouvelle-Vague-Heroen etwas voraus: Weder Chabrol noch Alain Resnais, weder Rohmer noch Rivette wurden mit der Trophäe bedacht. Einzig Truffaut bekam 1974 einen für seine "Amerikanische Nacht". Jean-Luc Godard wurde 2010 ein Ehrenoscar angetragen. Der bärbeißige Regisseur machte sich allerdings nichts aus der Auszeichnung, reiste nicht nach Los Angeles um sich die Statuette abzuholen: "Eine so lange Reise für ein Stück Metall?" Die damalige Reaktion des Regisseurs ist legendär.
Varda zeigte sich dem amerikanischen Filmpreis aufgeschlossener. Sie sei eine kleine Königin am Rande des Kinos, sagte sie in einem Interview. Dass man sie bei der Akademie in Los Angeles wahrgenommen habe, habe sie sehr berührt.
Die Regisseurin hatte sich in den 1960er Jahren, als sie mit ihrem Mann, dem Regisseur Jacques Demy, einige Jahre in den USA lebte und Filme drehte, beharrlich geweigert, kommerzielle Angebote der großen Filmstudios anzunehmen. Varda legte stets allergrößten Wert auf ihre künstlerische Unabhängigkeit. Hollywood wollte ihr das damals nicht gewähren.