Dichter und Drogen
5. April 2006Ich erinnere mich noch genau an die Wirkung dieser Einspritzung. Plötzlich wurde ich ganz wach. Ein sonderbares schwer zu beschreibendes Glücksgefühl nahm von mir Besitz.
Das Morphium verleiht dem Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser im Ersten Weltkrieg Flügel: Sein Körper ist "ein einziges Lächeln", der Alltag wird bedeutungslos, die Welt sieht verändert aus.
Seit dem 19. Jahrhundert haben Schriftsteller diese andere Weltwahrnehmung ganz bewusst über Drogen gesucht - um sie dann zu beschreiben. Um neue poetische Wege zu finden. Die Dichter der Romantik waren die ersten, die auf diese Weise die mysteriöse Welt des Unbewussten erkunden wollten. So sind Novalis' "Hymnen an die Nacht" unter dem Eindruck von Opium entstanden. Im Drogen-Rausch erfand auch der Schotte Robert Louis Stevenson die gespaltene Persönlichkeit des "Dr. Jekyll und Mister Hyde". Und in Frankreich taten sich Dichter um Charles Baudelaire in einem Haschischclub zusammen.
Ode an das weiße Pulver
Im 20. Jahrhundert dann hieß die Modedroge der Künstler Kokain:
Den Ich-Zerfall, den süßen, tiefersehnten
Den gibst du mir ...
So bedichtete Gottfried Benn das weiße Pulver. Und William S. Burroughs sekundierte in seinem autobiographischen Roman "Junkie":
Wenn Gott jemals etwas besseres erschaffen haben sollte, dann hat er es für sich selbst behalten.
Nicht für sich behalten hat er jedenfalls LSD, Mescalin und magische Pilze, mit denen die Autoren der Hippie-Generation ihr Bewusstsein erweitern wollten.
Neue Erkenntnisse aus anderen Welten?
Sicher: Die Weltliteratur wäre um etliche Werke ärmer, hätten alle so bürgerlich diszipliniert und abstinent gearbeitet wie ein Thomas Mann. Aber wie weit reichte der Blick in andere Welten wirklich? Schon Baudelaire schränkte in seinem Poem über Haschisch ein:
Es offenbart dem einzelnen nichts als sich selber.
Und wie lässt sich das im Rausch Erlebte angemessen beschreiben? Was, wenn es, in nüchterne Sprache gefasst, einfach nur banal klingt? Der amerikanische Schriftsteller Aldous Huxley kam im Rausch zu der ihm selbst wenig poetisch scheinenden Einsicht:
Im Universum ist alles in Ordnung.
Pakt mit dem Teufel
Und schließlich: Wer wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, schließt einen Pakt mit dem Teufel. Heißt: Das Experiment mit Drogen zum Zwecke des besseren Schreibens führte nicht wenige Autoren geradewegs in die Sucht. Benjamin von Stuckrad Barre, prominenter Popliterat unserer Tage, bekannte 2004 in einem Zeitungsinterview, dass er sich mit Kokain an den Rand des Abgrunds brachte, nur um Stoff zu haben für einen lebensprallen Roman. Bis er - noch rechtzeitig - begriff:
Mein Arbeitsinstrument, das Gehirn steht auf dem Spiel.
Heute sei er froh, nichts von dem "Nonsense Gelalle", das er im Rausch verfasst hat, veröffentlicht zu haben.
Andere fanden keinen Ausweg mehr aus der Sucht. Georg Trakl, Klaus Mann, Hans Fallada, Jack Keruac, Joseph Roth und Irmgard Keun: Sie alle und viele andere starben an den Folgen ihres Alkohol- oder Drogenkonsums. Friedrich Glauser, den das Morphium mit 42 getötet hat, machte sich über den Ausgang keine Illusionen:
Alle Gründe, die man erfindet, um die Sucht zu entschuldigen, können sich literarisch und poetisch sehr gut machen. Konkret ist es eine Schweinerei. Denn man ruiniert sich sein Leben damit.