DFB-Stürmer Deniz Undav - plötzlich Nationalspieler
31. Mai 2024Deniz Undav genießt bei der Fußball-Nationalmannschaft jeden Moment. Bei Medienterminen der DFB-Auswahl im Trainingslager in Blankenhain sorgt er für gute Stimmung, seine Augen leuchten. Der Offensivspieler des VfB Stuttgart ist seit Sonntag mit dem Tross der DFB-Elf unterwegs und gehört zum Aufgebot für die bevorstehende Europameisterschaft in Deutschland. "Es gibt nichts Größeres, als eine EM zu Hause zu gewinnen und das ist das Ziel", sagt der 27-Jährige auf der Pressekonferenz im Medienzentrum in Blankenhain. "Ich hoffe, dass ich weiterhin diese Lockerheit habe, um meine Leistung zu bringen."
Undav lebt aktuell seinen Traum, denn sein Weg zum Nationalspieler ist alles andere als geradlinig verlaufen. Erst vor sechs Jahren schaffte der Angreifer den Sprung ins Profigeschäft und erst im März ist er unter Bundestrainer Julian Nagelsmann zum Nationalspieler geworden. 2018 unterschrieb Undav sein erstes Arbeitspapier im Profifußball beim SV Meppen in der 3. Liga. In der Jugend war er beim SV Werder Bremen als 15-Jähriger noch aussortiert worden.
Seine Karriere schien bereits beendet bevor sie überhaupt Fahrt aufgenommen hatte. Doch es kam anders, denn der Offensivspieler setzte sich durch. "Ich bin stolz auf meinen Weg. Ich glaube, ich habe viele Hürden überstehen müssen", so Undav und ergänzt: "Das hat mich zu einem Mann gemacht. Jetzt bin ich sehr stark bei dem, was ich sage. Aber ich habe auch nie meinen Spaß verloren."
Undav: "Ich wollte meinen Eltern nicht zur Last fallen"
Ein Leben als Profifußballer war für Undav, der in der Nähe von Bremen geboren wurde, zumindest in seiner Jugend kein wirkliches Thema. Mit 19 Jahren kickte er beim Regionalligisten TSV Havelse und begann nebenbei eine Ausbildung zum Maschinenführer. "Ich wollte meinen Eltern nicht mehr finanziell zur Last fallen, daher entschied ich mich für eine Ausbildung. So habe ich 600 Euro im Monat durch die Ausbildung bekommen, 400 Euro durch den Fußball. Das waren 1.000 Euro, rund 400 Euro gingen dann für die Miete weg. So habe ich das zwei Jahre lang dann durchgezogen", erinnerte sich Undav in einem Interview mit der SportBild.
Von Havelse ging es über Braunschweig nach Meppen, wo er Profi wurde. In seiner zweiten Saison als Profifußballer machte der Stürmer mit 26 direkten Torbeteiligungen in 27 Spielen auch international auf sich aufmerksam und wechselte ein Jahr später in die 2. belgische Liga zu Union Saint-Gilloise. "Meine zweite Saison in Belgien 2021/22 war der Wendepunkt", sagte Undav. "Bis dahin habe ich mich nicht wirklich wie ein Profi verhalten, erst da wurde es wirklich professionell."
Durchbruch in Belgien
Von Belgien ging es zum Premiere-League-Klub Brighton & Hove Albion. Die Zeit in England half Undav, seinen Weg im Profileben zu verfestigen. "Ich habe gemerkt, auf was es im Fußball ankommt: Du musst für das Team arbeiten, auch mal scheinbar unnötige Laufwege machen. Es hat drei, vier Monate gedauert, bis ich das realisiert habe", so Undav. "Ich wurde plötzlich viel effektiver und wertvoller für die Mannschaft."
Andere Vereine wurden auf den Fußballer aufmerksam und so landete er im Sommer 2023 als Leihspieler beim VfB Stuttgart. In der Bundesliga schaffte Undav seinen endgültigen Durchbruch und war mit 29 Torbeteiligungen in 32 Bundesligaspielen maßgeblich an der erfolgreichen Saison der Stuttgarter beteiligt.
Undav: "Versuche meinen Vater stolz zu machen"
Undav ist ein Teamspieler - auf und neben dem Platz. Egal ob bei einem Schulbesuch im Rahmen des Trainingslagers in Thüringen, auf dem Trainingsplatz oder bei Interview-Terminen - der 27-Jährige verbreitet gute Laune und eine Lockerheit, die dem ganzen DFB-Team helfen kann. Er trage das Herz auf der Zunge, charakterisierte Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß seinen Torjäger vor einiger zeit.
Fußball ist Undav wichtig, doch vor allem seine Familie steht immer im Mittelpunkt. Seine Eltern stammen aus Viransehir, einer Stadt im Südosten der Türkei. Vor allem sein Vater ist sein Vorbild, denn der habe dafür gesorgt, dass es ihm in seiner Kindheit an nichts gemangelt habe.
"Er hat zwei, drei Jobs gemacht, damit wir Kinder alles haben. Wenn wir etwas wollten, hat er alles dafür getan, hat Überstunden gemacht", sagte Undav in einem Interview mit dem DFB. "Ich versuche alles, um meinen Vater stolz zu machen. Er ist mit nichts hierher gekommen und hat etwas aufgebaut. Davor ziehe ich meinen Hut. Ich glaube nicht, dass ich das geschafft hätte."
Ein Traum geht in Erfüllung
Die gute Laune beim Nationalspieler, der beim Testspiel gegen Frankreich im März sein Debüt feiern konnte, ist verständlich. Denn seine Karriere gleicht einem Fußball-Märchen, das seinen Höhepunkt bei der Heim-EM in Deutschland nun erreichen könnte. "Ich habe erst vor sechs Monaten gemerkt, dass es nach oben gehen kann", sagt der Angreifer, der nie eine Ausbildung im Nachwuchsleistungszentrum durchlaufen hat. "Wer weiß, wenn ich die ganze Zeit im NLZ gewesen wäre, hätte ich vielleicht irgendwann keine Lust mehr auf Fußball gehabt und so habe ich den Spaß immer noch und versuche, jeden Moment zu genießen."
In den vergangenen Jahren habe er Selbstvertrauen gesammelt und gelernt sich durchzusetzen. "Ich kann Stürmer spielen, ich kann Zehner spielen", sagt Undav. "Jetzt will ich im Training zeigen, dass ich eine richtige Option sein kann. Ich hoffe, dass ich meine Einsatzzeiten kriege."
Beim öffentlichen Training in Jena genoss der 27-Jährige die Fan-Nähe, gab minutenlang Autogramme und machte Selfies mit den angereisten Kindern. Er ist beliebt und könnte nicht nur wegen seiner fußballerischen Qualitäten der Nationalmannschaft zu einer erfolgreichen Europameisterschaft und einem neuen Sommermärchen verhelfen. Ein weiterer Höhepunkt in seiner märchenhaften Karriere.