Deutschlandtrend: Punktabzug für Merkel
2. Juni 2016Die Unzufriedenheit steigt: 57 Prozent - fünf Punkte mehr als im Mai - äußerten sich im aktuellen Deutschlandtrend des Meinungsforschungsinstituts "Infratest dimap" unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Das spiegelt sich auch in der persönlichen Note für die Kanzlerin. Der Zustimmungswert für Angela Merkel sank innerhalb von vier Wochen um fünf Punkte auf jetzt 50 Prozent. Vor einem Jahr lag der Wert noch bei rund 75 Prozent.
Zur Erinnerung: Der Absturz begann mit der Flüchtlingskrise im Herbst 2015. Trotz aktuell sinkender Flüchtlingszahlen bessert sich der Wert nicht, im Gegenteil. Hier scheint Vertrauen bei den Wählern verloren gegangen zu sein. Noch immer sehen die Bürger mehr Nach- als Vorteile in der aktuellen Zuwanderung.
Brexit? Nein!
Auch wenn viele Deutschen mit ihrer Kanzlerin überkreuz liegen, beim Thema Brexit denkt die Mehrheit ähnlich wie Angela Merkel. Drei Viertel der Befragten wünschen sich eine Europäische Union mit Großbritannien als Mitglied.
Eine EU ohne London macht den Deutschen Angst. 40 Prozent der Befragten gaben an, sie fürchteten nach einem Brexit eine schlechtere wirtschaftliche Lage. Nicht von ungefähr: Die deutsche Wirtschafts- und Bankenszene warnt seit Monaten vor Konjunktur-Risiken nach einem Brexit. Die meisten jedenfalls, andere sehen nach einem Brexit einen möglichen Standortvorteil für den Finanzplatz Frankfurt.
Kanzlerin Merkel wünscht sich einen Verbleib der Briten im EU-Verband, das sagte sie am Donnerstag in Berlin. Sie weiß, dass ihr mit einem Brexit ein wichtiger Verbündeter bei Fragen des EU-Binnenmarktes verloren ginge. Deutsche und Briten, so Merkel, hätten hier doch "stets eng und gut zusammengearbeitet".
So sehen es auch die Deutschen: Nur drei Prozent glauben, dass die EU ohne Großbritannien besser dastände. Das Ergebnis spiegelt die weit verbreitete Meinung, dass eine Verständigung zwischen Berlin und London ein wichtiger Gegenpol zu den südlichen EU-Staaten sein kann, die aus Sicht mancher Nord-Europäer zu leichtfertig Schulden machen.
Wenig Vertrauen in die Türkei
Der Streit um den Satiriker Jan Böhmermann und das harsche mediale Auftreten führender türkischer Politiker bei anderen Themen wie der Visa-Frage oder der Armenien-Resolution haben bei den Deutschen offenbar Wirkung gezeigt. 91 Prozent - 12 Prozent mehr als im April - misstrauen der Türkei unter Präsident Erdogan.
Entsprechend plädieren auch 89 Prozent der Befragten für eine harte Haltung bei den Verhandlungen der EU mit der Türkei über die Abschaffung der Visumpflicht.
Ursprünglich sollte die Visa-Freiheit schon ab dem 1. Juli gelten. Kanzlerin Merkel setzte das allerdings vor gut zwei Wochen aus, nachdem ein Gespräch mit Präsident Erdogan kaum Fortschritte gebracht hatte. Noch immer hat die türkische Regierung etwa ihre Antiterror-Gesetze nicht an die EU-Standards angepasst. Die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung stützt Merkels Vorgehen - ist aber auch ein Hinweis darauf, wie wenig kompromissbereit die Bürger in diesen Fragen eingestellt sind.
Drei von vier Deutschen befürworten Armenien-Resolution
Im Zusammenhang mit der Haltung zur Türkei kann wohl auch die Frage gesehen werden, ob es richtig war, dass der Bundestag nach langem parlamentarischem Vorlauf eine Armenien-Resolution verabschiedet hat. Die Einstufung der Massaker an den Armeniern durch das Osmanische Reich vor 101 Jahren als "Völkermord" findet eine breite Zustimmung (74 Prozent).
Dabei ist der Mehrheit (57 Prozent) der rund 1000 repräsentativ ausgewählten Befragten bewusst, dass damit die Gefahr einhergeht, dass Ankara das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei aufgekündigen könnte. Diese Gefahr dürfte der deutschen Kanzlerin mehr Sorgen bereiten, da das Abkommen ein grundlegender Bestandteil ihrer Flüchtlingspolitik ist.
Knapp die Hälfte der Befragten kann übrigens nicht nachvollziehen, wieso sich die deutsche Politik nach mehr als 100 Jahren überhaupt noch mit dem Thema Armenien beschäftigt.
Koalitionsparteien weiterhin auf Tiefststand
"Infratest dimap" hat auch wieder die "Sonntagsfrage" gestellt: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre? Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Merkel sollte sich die Werte wohl genau ansehen - schon mit Blick auf die Bundestagswahl 2017.
Die Unionsparteien CDU/CSU rutschen nämlich auf den niedrigsten Wert seit Oktober 2011 ab (32 Prozent). Ihr Koalitionspartner SPD bleibt mit 21 Prozent im Umfragekeller. Zusammen würde das wohl gerade noch so für eine Mehrheit im Parlament reichen.
Bedrängt wird die CDU in der Mitte nicht nur von FDP (6 Prozent) und den Grünen (13 Prozent), sondern auch von der AfD, die - wie im Vormonat auch - 15 Prozent der Befragten wählen würden.
Die AfD bringt die deutsche Parteienlandschaft weiter durcheinander. Zuletzt stiegen die Werte für die AfD von Umfrage zu Umfrage. Sie scheinen sich nun, das messen auch andere Umfrageinstitute, auf einem hohen Niveau - für eine erst drei alte Jahre Partei - zu stabilisieren.
Das dürfte die politische Konkurrenz nicht beruhigen. Zudem wohl manche auf ein Minus für die AfD gehofft hatten. Schließlich schlitterte kurz vor den beiden Befragungstagen (30. Mai und 1. Juni) der AfD-Politiker Alexander Gauland in eine Medien-Affäre und geriet mit seinen Äußerungen über den populären Fußball-Nationalspieler Jerome Boateng unter Rassismus-Verdacht. Die AfD-Anhänger scheint das nicht irritiert zu haben.