Deutschlands Politik im Nahen Osten
11. September 2013Wohin die arabischen Revolutionen treiben, ist eine der schwierigsten Fragen der deutschen Außenpolitik. Die Umstürze nahmen einen anderen Verlauf an als zunächst erwartet. Und wenn eines klar ist, dann nur, dass sie die neue Ordnung, um deretwillen sie einst begannen, wenn überhaupt, dann auf langen Umwegen erreichen.
Dennoch hat die Bundesrepublik ihren außenpolitischen Kurs gefunden. Die Bundesregierung, so Andreas Peschke, Sprecher des Auswärtigen Amtes, in einer schriftlichen Stellungnahme auf eine Anfrage der DW, habe die demokratischen Umbrüche in Nordafrika von Anfang an unterstützt. "Sie hat dabei stets deutlich gemacht, dass die Menschenrechte auch in Zeiten großer gesellschaftlicher Umwälzungen respektiert werden müssen. Neue Regierungen müssen allen gesellschaftlichen und religiösen Gruppen Perspektiven und Grundrechte bieten.“
Selbstkritik in Sachen Menschenrechte
Allerdings gaben die Umwälzungen auch Anlass, die deutsche Außenpolitik vor den Umbrüchen noch einmal kritisch zu überdenken. Denn Deutschland hatte ja auch mit den Autokraten in Tunesien und Ägypten auf verschiedenen Feldern – etwa der Sicherheitspolitik, der Flüchtlingspolitik sowie im Handel - zusammengearbeitet. Er glaube zwar nicht, erklärt Hajo Lanz, Leiter im Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, dass die Bundesregierung sich vorwerfen lassen müsste, sie hätte die Regierungen beider Länder gestärkt oder am Leben gehalten. "Aber wir haben im Verein mit der Europäischen Union manche Ziele – etwa Abschottung, Migration, Sicherheit - überbewertet." Die Anliegen der Bevölkerung – Menschenrechte, Transparenz, Partizipation, offene politische Prozesse, Medienfreiheit – hätten demgegenüber zurückgestanden. "Das müssen wir uns ankreiden lassen."
Das sieht auch der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, so. Die Bundesregierung verfolge derzeit fünf politische Ziele, von denen sie sich auch jetzt noch leiten lasse: wirtschaftliche Zusammenarbeit; Migrations- und Flüchtlingspolitik; Bekämpfung des internationalen Terrorismus; der Eintritt für Israel als jüdischen demokratischen Staat in sicheren Grenzen, der mit seinen Nachbarn auf Basis einer Zweistaatenlösung in Frieden leben kann; und schließlich das Engagement für Modernisierung, Demokratisierung, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte.
Von diesen Zielen hätte sich die Bundesregierung bis auf eines auch vor den Umwälzungen bereits leiten lassen: "Das Modernisierungs- und Menschenrechtsinteresse blieb auf der Strecke."
Vom Nutzen des Rechtsstaats
Umso mehr komme es nun darauf an, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit einzufordern, erklärt Polenz. Im Hinblick auf Ägypten solle dies aber im Dialog mit der neuen Regierung geschehen. "Wir sind davon überzeugt, dass diese Werte auch im Interesse der Ägypter sind und sich im Übrigen mit der Demonstrationsforderung nach Würde decken." Dass die Regierung selbst Interesse an rechtstaatlichen Verhältnissen haben müsse, zeige sich etwa am Beispiel des Tourismus: Der komme erst dann wieder in Gang, wenn die Sicherheit im Lande wiederhergestellt sei. "Und das hängt wiederum auch von anderen innenpolitischen Faktoren ab, weil man nicht die Sicherheit einer Friedhofsruhe haben will."
Dementsprechend erwartet die Bundesregierung, dass Ägypten sich zu einer repräsentativen Demokratie im umfassenden Sinne entwickelt. "Unabhängig vom Ausgang des Referendums wird es für die politische Zukunft des Landes von entscheidender Bedeutung sein, dass sich alle gesellschaftlichen und religiösen Gruppen in der neuen Verfassung aufgehoben und respektiert fühlen", erklärt Andreas Peschke.
Der syrische Knoten
Ganz anders ist die Bundesrepublik derzeit in Syrien gefordert. Dort hält die Gewalt an. Eine Intervention sei aber nicht ratsam, analysiert Hajo Lanz von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Angesichts der komplexen internationalen Allianzen sei Zurückhaltung angebracht. Allerdings wäre es klug, die vor einigen Wochen gegründete oppositionelle Allianz möglichst weitgehend zu unterstützen. Dabei müsse man auch über eine Bewaffnung der Allianz nachdenken. "Man muss sich überlegen, inwiefern diese dazu führt, dass dem ständigen, beinahe schon Genozid zu nennenden militärischen Übergriffen des Regimes Einhalt geboten wird."
Die Bundesregierung hat die syrische Nationale Koalition als die legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt. An diese stellt sie aber auch konkrete Erwartungen. Deren Vertretern habe sie deutlich gemacht, dass sich in der Plattform der Koalition alle wiederfinden können müssen, also auch Christen, Kurden und Alaviten, so Peschke. "Wir erwarten auch, dass die Koalition ihren Einfluss geltend macht, damit es nicht zu Gewaltakten gegen Zivilisten oder Menschenrechtsverletzungen kommt."
Neue Signale in Richtung Israel
Auch im israelisch-palästinensischen Konflikt ist die Bundesrepublik gefordert. Mit ihrem Entschluss, nicht gegen den Antrag der Palästinenser auf nicht-staatliche Mitgliedschaft in den UN zu stimmen, hat sie auch in Richtung Israel ein starkes Signal gesetzt. Das habe sie getan, weil die Palästinenser in ihrem Resolutionstext den Vorstellungen des Nahost-Quartetts weitestgehend entsprochen hätten, so Polenz. Vor allem hätten die Palästinenser Israel in den Grenzen von 1967 anerkannt. Insofern sei der Antrag auch eine Chance zur Lösung des Konflikts. Das habe die Bundesregierung auch gewürdigt. "Man kann nicht gegen etwas stimmen, was man in der Sache – selbst wenn auch nicht mit identischem Wortlaut, aber doch in der Substanz – für richtig hält."
Auch Hajo Lanz hält den Antrag für richtig, und zwar auch im Hinblick auf die Erwartungen der arabischen Welt. "Ein Nein wäre ein völlig falsches Signal gewesen. Ein Ja war nicht zu erwarten, weil man damit die israelische Seite zu sehr brüskiert hätte. Aber es geht ja aus deutscher außenpolitischer Sicht darum, Zeichen zu setzen, die auch richtig verstanden werden."
Die Bundesrepublik hat ihre Außenpolitik in Teilen neu justiert. In weiten Teilen folgt sie ihren bisherigen Prinzipien. Andere, wie etwa die Haltung beim Thema Menschenrechte, werden derzeit diskutiert – und vor allem hinterfragt.