Deutschland wirbt um Fachkräfte
28. Juli 2013Jochen Mann hat ein Problem. Der Sachse ist für die Besetzung der Auszubildendenstellen bei der Mittelstandsfirma KBA in Radebeul zuständig. Für die 30 Stellen, die er im kommenden Jahr besetzen muss, mangelt es ihm aber an geeigneten Bewerbern. "Im Schnitt bewerben sich bei uns 60 Leute auf 30 Stellen", sagt er im DW-Gespräch. Im Raum Dresden sei sein Unternehmen noch eine der besseren Adressen und stehe vergleichsweise gut da. "Bei der Anzahl der Bewerbungen mache ich mir auch gar keine Sorgen. Was uns fehlt, sind Leute, die auch geeignet sind."
KBA, ein Druckmaschinenhersteller, sucht vor allem technisch begabte junge Menschen. Acht der 30 Stellen sind für Nachwuchs-Mechatroniker reserviert. Und die müssen vor allem in Physik gut sein. "Da haben wir sehr oft Bewerber, die sich massiv selbst überschätzen", sagt Mann. Trotzdem glaubt er, dass deutsche Jugendliche für die Arbeit als Mechatroniker infrage kommen müssen. "Unsere Strukturen würden es gar nicht zulassen, dass wir ausländische Fachkräfte bei uns integrieren."
Zwar liege Radebeul nahe an der tschechischen Grenze und KBA sei ein internationales Unternehmen, trotzdem versucht der Betrieb, nach Möglichkeit deutsche Auszubildende einzustellen, sagt Jochen Mann. "Man müsste zunächst einmal Rahmenbedingungen für junge Ausländer schaffen. Das fängt ja schon bei geeigneten Unterkünften an".
Agentur für Arbeit erleichtert Einwanderung
Die Bundesagentur für Arbeit ist anderer Meinung. In ihrer neuen Positivliste erleichtert sie in Nicht-Akademischen-Berufen in 19 Branchen die Zuwanderung von Nicht-EU-Fachkräften nach Deutschland. "Das sind ganz unterschiedliche Berufe, vor allem aus dem technischen Bereich, wie Mechatroniker, Elektrotechniker, aber auch Gesundheits- und Krankenpfleger", erläutert Frauke Wille von der Bundesagentur für Arbeit.
Bislang war es nur Fachkräften mit Hochschulabschluss erleichtert worden, im Rahmen des Fachkräftemangels in einzelnen Branchen nach Deutschland zu kommen. Dafür gab es die sogenannte Bluecard. "Die Positivliste, die wir nun veröffentlicht haben, ergänzt diese Zuwanderungsmöglichkeiten."
Nun sollen auch Techniker, Installateure und Altenpfleger aus Drittländern in Deutschland ansässig werden. Zwangsläufig muss sich die Regierung daran halten. "Die Positivliste ist eine Rechtsverordnung im Ausländerrecht", sagt Wille. "Das ist nichts, was wir einfach so herausgegeben haben. Nur Berufe, die auf der Liste stehen, sind die Grundlage für die Zuwanderung von Fachkräften."
Wirtschaftsinstitut ist die Liste zu kurz
Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln lobte die Positivliste, bezeichnete sie aber als zu kurz. "Die Aufstellung in ihrem aktuellen Umfang wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein", heißt es in einer Mitteilung. Und: "Im Juni 2013 waren 93 Berufsgattungen von Engpässen betroffen, 74 von ihnen stehen aber nicht auf der Positivliste." Darunter seien etwa Elektrotechniker, von denen es im Juni 2013 bundesweit nur 94 Arbeitslose auf je 100 gemeldete offene Stellen gab. Erfahrungsgemäß werde aber nur jede zweite Vakanz tatsächlich gemeldet, was einen schwerwiegenden Engpass in diesem Berufsfeld bedeute.
Die Arbeitsagentur wehrt sich: "Im Grunde stehen alle Berufe, die nicht auf der Positivliste stehen, auf einer imaginären Negativliste", sagt Frauke Wille. "In diesen Jobs ist keine berufsbedingte Zuwanderung möglich." Generell achte die Agentur aber darauf, welche Berufe auf der Liste stehen. "Wenn die Dauer der Stellenbesetzung in einem bestimmten Beruf 40 Prozent über dem gesamten Bundesdurchschnitt von 83 Tagen liegt, und weniger als 150 Arbeitslose auf 100 Stellen kommen, dann spricht man von einem Mangel und der Beruf wird in unsere Engpassanalyse aufgenommen." Meistens finde sich solch eine Tätigkeit dann auch in der Positivliste wieder. Die durchschnittliche Vakanzzeit von Stellen ist dabei unterschiedlich. "Bei Medizinern liegt sie bei etwa 173 Tagen", sagt Wille.
Einwanderung ist nur eine Stellschraube von vielen
Um konkret im Ausland nach Arbeitskräften zu suchen, geht Deutschland unterdessen strategisch vor. "Wir haben im asiatischen Raum bestimmte Abkommen geschlossen und suchen dort nach jungen Menschen, die als Gesundheitsfachkräfte nach Deutschland kommen wollen", sagt Wille. Ob solche Bemühungen aber besser fruchten als Abwerbeversuche von Fachkräften innerhalb der EU, müsse die Zeit zeigen.
Dennoch ist es der Expertin wichtig, dass auch in Deutschland selbst nach Lösungen für den Fachkräftemangel gesucht wird. "Die Zuwanderung ist nur eine von mehreren Stellschrauben, an denen man drehen kann", sagt sie. "Auch im Inland haben wir ungenutztes Fachkräftepersonal." Ein klassisches Beispiel dafür sei der Erzieherberuf, in dem Berufsrückkehrerinnen nach der Elternzeit dringend wieder für den Beruf gewonnen werden sollten. "Außerdem müssen wir stärker in Ausbildung investieren und jungen Leuten die Möglichkeit geben, Berufe zu ergreifen, von denen wir wissen, dass es einen Mangel gibt", sagt Wille.
Personaler Jochen Mann sieht das genauso. Er sieht die Verantwortung bei der Bildung. "Der Mangel an geeigneten Bewerbern ist ein vielschichtiges Problem, das schon in der Schule anfängt." Unternehmen und Schulen hätten in den vergangenen Jahren aber viel gelernt. "Vor allem in Sachen Schulpraktika ist die Zusammenarbeit besser geworden." Die Wirtschaft allerdings müsse noch viel stärker in diese Richtung investieren - wenn es da nicht ein Problem gäbe: "Das ist eben alles eine Zeitfrage."
An der Motivation liegt es zumindest nicht. Für die jungen Fachkräfte aber oft am Geld, glaubt Frauke Will von der Arbeitsagentur. Am Ende des Tages sei das mit der ausschlaggebende Punkt: "Es führt kein Weg daran vorbei, darüber zu sprechen, mit der Bezahlung entsprechend nach oben zu gehen."