Deutschland und Israel: eine besondere Beziehung
14. Mai 2021"Diese Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Israel hat das Recht, sich im Rahmen der Selbstverteidigung gegen diese Angriffe zu wehren." Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, prangert angesichts des massiven Raketenbeschusses auf Israel das Vorgehen der radikal-islamischen Hamas an. Seibert spricht dabei im Namen der Bundeskanzlerin. Aus den Worten ihres Sprechers, so ist es journalistische Gepflogenheit, spricht die Kanzlerin.
Deutschland ist über 4000 Kilometer von Israel entfernt. Aber in diesen Tagen ist die Entfernung relativ. Die Eskalation im Konflikt erschüttert viele Menschen in Deutschland. Nun schwappt der Konflikt auf deutsche Straßen über. Israelische Fahnen brennen, bei Israelis in Deutschland und deutschen Juden wächst die Unsicherheit, die Angst.
Auch dazu äußert sich Sprecher Seibert: "Wer mit seinem Protest vor eine Synagoge zieht, wer Übergriffe gegen eine Synagoge macht, wer jüdische Symbole beschädigt, der zeigt damit schon, dass es ihm nicht um Kritik an einem Staat oder der Politik an einer Regierung geht, sondern um Aggression und Hass gegen eine Religion und gegen die, die ihr angehören. Und dem stellen wir uns mit aller Kraft unseres demokratischen Rechtsstaates entgegen."
Besonderes Verhältnis
Das Thema ist sensibel. Denn das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist von besonderer Art. Es wird immer geprägt bleiben von der Schoah, dem Massenmord von Nazi-Deutschland an sechs Millionen Juden. Und doch hat sich das Verhältnis seit 1965, dem Jahr der Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern, beeindruckend entwickelt.
Für die frühzeitige Aussöhnung steht vor allem David Ben-Gurion (1886-1973). Früh stritt der legendäre erste Ministerpräsident Israels für die Sichtweise auf das "andere Deutschland". Ben-Gurion und der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) trafen sich zeitlebens nur zweimal - 1960 und 1966. Und doch wirkten beide Staatsmänner fast wie ferne Freunde.
Die ersten offiziellen Gespräche zwischen der Bundesrepublik und Israel begannen schon 1952. Zunächst ging es um ein Wiedergutmachungsabkommen, dann gab es geheime Kontakte für deutsche Waffenlieferungen an Israel.
Als das im Spannungsgebiet Nahost 1964 bekannt wurde, war die Aufregung groß. Und doch war es der letzte Anstoß für die Aufnahme der vollen diplomatischen Beziehungen 1965. Ein Schritt, der nicht wenigen Menschen im jungen jüdischen Staat schwer fiel. Die Ankunft des ersten deutschen Botschafters wurde noch von Krawallen begleitet.
Merkel: Ein Wunder
Das Verhältnis und die Solidarität wurden durch gemeinsame Gedenktage und Besuche deutscher Regierungsvertreter gestärkt. Helmut Kohl reiste in seinen 16 Jahren als Bundeskanzler nur zwei Mal nach Israel. Anders Angela Merkel: Bislang besuchte sie Israel sieben Mal. Bei ihrem jüngsten Besuch im Oktober 2018 bekam sie - nach politischen Gesprächen und einem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem - in Jerusalem die Ehrenwürde der Universität Haifa verliehen.
Der geplante Abstecher der Kanzlerin in die nordisraelische Hafenstadt wurde aus Zeitgründen gestrichen. Und doch hielt sie eine sehr grundsätzliche und durchaus persönliche Rede, die heute wieder so aktuell klingt. "Das Vertrauen, das ich hier erfahre, gleicht ja einem Wunder", so die Kanzlerin. Und: "Dass uns heute freundschaftliche Bande verbinden, ist ein unschätzbares Geschenk; und es ist ein unwahrscheinliches Geschenk vor dem Hintergrund unserer Geschichte", sagte Merkel unter anderem und ging auch auf den Antisemitismus in Deutschland ein.
Aber seit Jahren - nicht erst wegen der Corona-Pandemie - werden ihre Reisen seltener. Das könnte auch an Benjamin Netanjahus rechts-nationalistischem Regierungskurs liegen. Im Jahr 2017 wurden bilaterale Regierungskonsultationen in Jerusalem sogar abgesagt. Im Oktober 2018, im 70. Jahr der Staatsgründung Israels, wurden sie dann nachgeholt.
Die Kanzlerin und ihre Regierungen betonen stets und in aller Deutlichkeit das Existenzrecht Israels. Parallel zur israelischen Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten sprechen sie sich aber immer wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern aus und nennen diese auch bei ihren Appellen an die palästinensische Seite. Das deutsche und europäische Festhalten an diesem Konzept hatte es politisch schwer in Zeiten, in denen US-Präsident Donald Trump den globalen Blick auf das Heilige Land prägte. Jeder neue israelische Siedlungsbau wird von Mahnungen aus Deutschland begleitet, die gespannte Lage im Land nicht weiter zu belasten.
Die deutsche Verpflichtung
In Israel genießt Merkel trotz der Meinungsunterschiede in der Palästinenserfrage hohe Wertschätzung. 2008 sprach sie als erste ausländische Regierungschefin überhaupt im israelischen Parlament, der Knesset: Auf Deutsch, in der Sprache der Täter.
In dieser historischen Knesset-Rede 2008, wirkte die Bundeskanzlerin sichtlich berührt, als sie die Worte sprach: "Gerade an dieser Stelle sage ich ausdrücklich: Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Stille Vermittlung
Merkels Worte werden bis heute immer wieder zitiert, wurden in Deutschland aber auch kritisiert. Denn deutsche Soldaten im Nahen Osten, und sei es nur als UN-Blauhelme auf den Golanhöhen, will man sich hierzulande nicht vorstellen. Und politisch mag wohl niemand bis zum letzten durchbuchstabieren, was diese Verantwortung gegenüber Israel alles beinhalten könnte.
Deutschland zählt selten zu jenen, die offen im Nahen Osten Vermittlungsversuche anstoßen. Das mag an der weltpolitischen Bedeutung des Konflikts und an der deutschen Geschichte liegen. Aber mehrfach setzten sich deutsche Diplomaten oder Geheimdienstvertreter für israelische Anliegen in Nachbarländern Israels ein und verhandelten beispielsweise über Schicksalsklärung vermisster israelischer Soldaten. Die deutsche Seite gilt allgemein als gesuchter Vermittler.
Die Beziehungen zu Israel sind für deutsche Politiker immer ein höchst sensibles Terrain. Als besonders gut galten sie unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer. 2001 hielt er sich zu politischen Gesprächen in Tel Aviv auf, als ein palästinensischer Anschlag vor einer Diskothek am Strand der Stadt 21 Tote forderte, meist junge Leute. Stunden danach versuchte Fischer zwischen der israelischen Seite und Palästinenser-Chef Jassir Arafat zu vermitteln. Hingegen erlebte 2016 der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel diplomatische Spannungen. Regierungschef Netanjahu sagte damals kurzfristig ein Treffen ab, als Gabriel schon in Israel landete - weil der deutsche Außenminister sich auch mit Vertretern von regierungskritischen - laut Netanjahu antisemitischen - Organisationen treffen wollte.
Wachsende vielfältige Beziehungen
Bei allen politischen Spannungen: Deutschland ist Israels wichtigster Handelspartner in Europa. Verteidigungspolitisch wächst die Zusammenarbeit; so trainierten 2020 erstmals israelische und deutsche Kampfpiloten gemeinsam in Deutschland. Und vor Ausbruch der Corona-Pandemie verzeichnete Israel Rekordzahlen bei Touristen auch aus Deutschland. Zu einer Erfolgsgeschichte entwickelten sich auch gegenseitige Besuche von Schulklassen.
Und jetzt, in der neuen Krise? Zusehends mehr Politiker betonen, wie Außenminister Heiko Maas, das Selbstverteidigungsrecht Israels.
Fast alle politischen Lager empören sich über die Schändung der israelischen Fahne in Deutschland, beschwören ihre solidarische Entschiedenheit. Aber eins fällt doch stets auf. Offene Solidarität mit Israel in Krisenzeiten zeigen nicht viele Menschen in Deutschland. Als Anfang 1991 - in einer der schwierigsten Momente des Landes - irakische Raketen Jerusalem und Israel erreichten und Tod und Zerstörung brachten, standen an einem kalten Januarabend kaum zwei Dutzend Menschen als Zeichen der Verbundenheit vor der israelischen Botschaft in Bonn.
Merkel und der Botschafter
Merkels bislang letzte Rede in Israel, am 4. Oktober 2018 bei der Entgegennahme des Haifaer Ehrendoktors, schloss in Jerusalem mit einem Versprechen und einer Versicherung. Sie "verspreche, eines Tages auch nach Haifa zu kommen", sagte sie. Und: Sie werde die Botschaft, die mit einer solchen Ehrung einhergehe, "auch nach Deutschland weitertragen. Der Botschafter des Staates Israel in Deutschland wird genau beobachten, wie wir uns verhalten", lautet der letzte Satz dieser Rede. Er bleibt.