Deutschland und China: Beziehung unter Stress
28. April 2021Manchmal kommen langjährige Partnerschaften an einen traurigen Punkt: Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist aufgebraucht; die jeweiligen Zukunftsvisionen klaffen immer weiter auseinander. Man kann nicht mehr wirklich miteinander; aber voneinander los kommt man auch nicht.
Berlin und Peking scheinen sich zügig auf diesen Punkt zuzubewegen. Zu den sechsten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen brechen die Konflikte zwischen beiden Seiten immer stärker auf. Das jüngste Beispiel: Vergangenen Freitag (23.4.) verabschiedete der Bundestag das "Zweite Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme". Das Gesetz mit dem sperrigen Namen zielt auf den chinesischen Mobilfunkausrüster Huawei. Dem wird die profitträchtige Beteiligung am Ausbau des 5G-Netzes in Deutschland zwar nicht pauschal verwehrt, aber es werden hohe Hürden aufgerichtet. Zuvor hatte Pekings Botschafter in Berlin, Wu Ken, offen damit gedroht, Peking werde einem Ausschluss von Huawei "nicht tatenlos zuschauen".
Ob die massive Verfolgung der uigurischen Minderheit in Xinjiang, die massive Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, der aggressive Auftritt Pekings im südchinesischen Meer oder die Drohungen gegenüber Taiwan: Der Konfliktstoff mit China wächst.
Zugleich florieren die Wirtschaftsbeziehungen. 2019 war China zum vierten Mal in Folge der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Deutsche Automobilhersteller verkaufen in China mehr Fahrzeuge als auf ihrem Heimatmarkt.
Vom Partner zum Rivalen
Seit zehn Jahren gibt es deutsch-chinesische Regierungskonsultationen, aus der Taufe gehoben von Kanzlerin Angela Merkel. Dieser hochrangige Regierungsdialog wird nur mit besonders engen Partnern geführt. 2014 wurden die deutsch-chinesischen Beziehungen sogar zu einer "umfassenden strategischen Partnerschaft" aufgewertet. Mittlerweile hat sich in Berlin und anderen westlichen Hauptstädten die Stimmung jedoch deutlich gedreht.
Die EU-Kommission hat China im März 2019 als "systemischen Rivalen" identifiziert. Weil China dem westlichen Modell von Demokratie und Marktwirtschaft sein autoritäres und staatskapitalistisches Regierungsmodell nicht nur entgegenstellt: Die demonstrierte Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Erfolg und autoritärer Herrschaft machen es auch zum Exportartikel an Despoten in aller Welt.
Man darf also bezweifeln ob bei dem – Corona-bedingt lediglich digitalen - Treffen am Mittwoch (28.4.) wieder so eine klangvolle gemeinsame Erklärung beschlossen wird wie bei den letzten Regierungskonsultationen 2018. Da war das gemeinsame Papier noch überschrieben mit dem Titel "Verantwortungsvolle Partner für eine bessere Welt". Darin bekannten sich Deutschland und China unter anderem zum "Primat der regelbasierten internationalen Ordnung", zu den von beiden Seiten unterzeichneten Menschenrechtsübereinkünften und zur Unterstützung der Vereinten Nationen und ihrer Ziele. Diese Ziele waren sicher auch gedacht als Botschaft in Richtung Washington, wo der damalige Präsident Donald Trump keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für die internationale Ordnung und ihre Institutionen machte.
Im Hintergrund: Washington
So wie damals steht auch jetzt Washington im Hintergrund. Diesmal unter den Vorzeichen der wachsenden Großmachtrivalität zwischen den USA und China. Lange galten wirtschaftliche Verflechtung und weltweite Arbeitsteilung als Garanten für den Frieden. Im neuen geoökonomischen Denken werden sie zum Risiko: Abhängigkeiten könnten ausgenutzt werden. Deshalb hat der Begriff "Decoupling" Konjunktur: Abkopplung.
Deutschlands Wirtschaft aber ist international extrem vernetzt. Außenminister Heiko Maas sah sich auch deshalb genötigt, nach einem Gespräch mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi letzte Woche zu erklären, trotz aller Herausforderungen sei eine "Abkopplung" von China und Deutschland der falsche Weg.
Telefoniert haben im Vorfeld der Regierungskonsultationen Anfang April auch Bundeskanzlerin Merkel und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Darin forderte Xi laut der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, die EU und China sollten "Störungen eliminieren". Die Beziehungen stünden vor "verschiedenen Herausforderungen". China hoffe, dass Europa "seine strategische Autonomie erzielt", sagte Xi Jinping laut Xinhua weiter – wohl im Blick auf die USA.
Von deutscher Seite hieß es nach dem Gespräch, dass Merkel "die Bedeutung des Dialogs hinsichtlich der gesamten Bandbreite der Beziehungen" betont habe - "einschließlich solcher Themen, bei denen Meinungsverschiedenheiten bestehen". Dazu gehören prominent die Menschenrechte.
Sanktions-Pingpong
Die EU hatte im März erstmals seit 1989 Sanktionen gegen China verhängt - wegen der Menschenrechtsverletzungen in der von muslimischen Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang. China belegte im Gegenzug Wissenschaftler und Abgeordnete des EU-Parlaments mit Sanktionen. Allerdings muss genau dieses EU-Parlament noch dem Investitionsschutzabkommen zustimmen, das die EU und China Ende letzten Jahres unterzeichnet haben - nach siebenjährigen Verhandlungen. Aus Berliner Sicht war dieses Abkommen ein wesentlicher Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die chinesischen Sanktionen machen es umso zweifelhafter, dass die EU-Parlamentarier es passieren lassen.
In Pekings Umgang mit den Uiguren steckt weiterer Zündstoff: Die USA haben einen Boykott der olympischen Winterspiele 2022 in Peking ins Gespräch gebracht. Bislang hält sich die Bundesregierung bedeckt. "Es gilt die Autonomie des Sports", sagte Anfang April eine Sprecherin des zuständigen Innenministeriums. Zudem wird Mitte Mai der Bundestag darüber beraten, ob der Umgang mit den Uiguren als "Genozid" bezeichnet werden soll.
Fortschritte wurden dagegen bei der Zusammenarbeit im Klima- und Umweltschutz erzielt. Am Dienstag unterzeichneten Bundesumweltministerin Svenja Schulze und ihr chinesischer Kollege Huang Runqui ein entsprechendes Abkommen. Bei einem ausführlichen Gespräch habe zudem die Frage im Mittelpunkt gestanden, wie die chinesische Regierung ihr Ziel erreichen kann, vor 2060 CO2-neutral zu werden, erklärte Schulze.
Es zeigt sich: Die Beziehungen sind kompliziert. Und das spiegelt sich bei den Regierungskonsultationen wider. In einigen Politikfeldern wie etwa beim Klimaschutz ist China ein zentraler Kooperationspartner. An andere Stelle ist Peking ein Verhandlungspartner, mit dem Interessen ausgeglichen werden können. China ist aber auch wirtschaftlicher Wettbewerber und bei Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz ehrgeiziger Konkurrent. Und es ist ein systemischer Rivale, der zudem im Großmachtkonflikt mit dem transatlantischen Verbündeten steht.
Meistern lässt sich so eine schwierige Beziehung nur schwer allein, sondern am besten im europäischen Konzert.