Deutschland steht ein wenig still
6. November 2014Deutschland am Donnerstagmorgen. In vielen Berichten aus den Bahnhöfen der Republik ist von eher leeren Bahnsteigen und keineswegs überfüllten Zügen die Rede. Viele Pendler, die am Morgen etwa zur Arbeit müssen, haben sich schon umgestellt. Denn die Lokführer streiken. Wieder einmal. Auf die Bahn angewiesene Fahrgäste sind sauer, während die Gewerkschaft der Lokführer GDL auf das Streikrecht verweist und von einer Schlichtung im Moment nichts wissen will.
Die Konzernspitze teilte am Morgen mit, dass der Fern- und Regionalverkehr "ausgedünnt, aber weitgehend stabil" angerollt sei. Die Bahn bedient sich dabei Lokführern, die verbeamtet sind und nicht streiken dürfen. Oder Mitarbeitern, die nicht in der GDL organisiert sind. Trotz dieser Bemühungen gebe es "massive Beeinträchtigungen" für Reisende und Pendler. Für Donnerstag und Freitag seien die Ersatzfahrpläne bereits öffentlich. Am Vormittag kündigte die Konzernspitze an, man werde beim Arbeitsgericht in Frankfurt/Main einen Antrag auf Einstweilige Verfügung stellen und wolle den Streik so stoppen. Das Gericht kündigte inzwischen an, man werde über den Antrag noch am Nachmittag in mündlicher Verhandlung entscheiden.
Die Auswirkungen des Arbeitskampfes sind Agenturberichten und den Angaben der Bahn zufolge regional sehr unterschiedlich. In West- und Norddeutschland stünden über 30 Prozent des üblichen Zugangebotes zur Verfügung. In Süddeutschland verkehrten etwa 40 Prozent der Züge, in Ostdeutschland 15 bis 30 Prozent des üblichen Zugangebots. Für die S-Bahnen in München, Nürnberg, Stuttgart und Rhein-Main werde ein Stundentakt angeboten. In Berlin und Hamburg fahren einige Linien auch alle 20 Minuten.
Der längste Streik überhaupt
Für die Bahn ist es der längste Streik ihrer 20-jährigen Geschichte. Er soll bis Montag früh dauern. Die GDL streitet mit der Bahn über mehr Lohn und kürzere Wochenarbeitszeiten. Ihr geht es aber vor allem auch darum, für das gesamte Zugpersonal verhandeln zu dürfen, nicht mehr nur für die Lokführer. Und an diesem Punkt bewegt sich wenig in den Gesprächen. Denn hier steht die Rolle der kleineren Gewerkschaften in der Debatte um die sogenannte Tarifeinheit zur Disposition.
Weselsky "steht wie ein Baum"
GDL-Chef Claus Weselsky äußerte sich im ARD-Morgenmagazin. Die Lokführer bräuchten in der aktuellen Situation einen Vorsitzenden, "der steht wie ein Baum". Die Mitglieder der Gewerkschaft würden mit ihrem Arbeitskampf ein Grundrecht ausüben. Zu Forderungen nach einer Schlichtung erklärte der GDL-Vorsitzende, bislang habe man mit der Bahnspitze überhaupt noch nicht inhaltlich verhandelt. Da eine Schlichtung zu fordern, sei eine "Frechheit", so Weselsky. Bahn-Sprecher Achim Stauß entgegnete, immer wieder habe es substantielle Angebote der Bahn gegeben. Die GDL lege eine Verweigerungshaltung an den Tag.
Der jüngste Streikaufruf hatte der GDL scharfe Kritik von Seiten der Politik, der Wirtschaft und von Verbänden eingebracht. Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nannte die Gewerkschaft vor diesem Hintergrund "geschichtsvergessen", weil der Streik auch am 9. November noch andauern soll. Die GDL beeinträchtige "massiv die Feier zu 25 Jahren Mauerfall in Berlin" am Sonntag, kritisierte die CSU-Politikerin in der Zeitung "Die Welt". Das hohe Gut des Streikrechts dürfe nicht missbraucht werden, warnte Hasselfeldt.
Unterstützung erfährt die GDL von ihrer Dachgewerkschaft, dem Deutschen Beamtenbund. Doch viel mehr an Solidarität ist zur Zeit nicht zu spüren. Linken-Chef Bernd Riexinger sagte der "Rheinischen Post" zwar, die Lohnforderungen der Lokführer seien richtig. Der Streik allerdings sei "falsch, weil er die Belegschaft spaltet". Die GDL konkurriert mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die bislang auf Streikaufrufe verzichtete. Der Fahrgastverband Pro Bahn schlug angesichts der festgefahrenen Verhandlungen zwischen GDL und Bahn theologischen Beistand vor. Moderator für den Konflikt könnten die frühere Landesbischöfin Margot Käßmann oder der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, sein. Sollte das zu einem Ergebnis führen - viele Bahnreisende würden entgegnen: Gott sei Dank.
ml/pab (dpa, afp)