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Deutschland im Visier der Terroristen

Matthias von Hein19. November 2015

Die BKA-Jahrestagung steht ganz im Zeichen des Terrors von Paris. Die Botschaft: Mit Repression allein lässt sich der extremistische Sumpf nicht austrocknen. Auch Prävention und Deradikalisierung müssen gestärkt werden.

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière und BKA-Präsident Holger Münch (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Terrorismus in Europa hat mit den Attentaten von Paris eine neue Dimension erreicht. Das sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes bei der Eröffnung der BKA-Jahrestagung. Holger Münch (Artikelbild, r.) lieferte auch gleich die Begründung: "Der Einsatz von Selbstmordattentätern mit Sprengstoffgürteln in Kombination mit Schnellfeuerwaffen, wie er in Paris erfolgte, ist für Europa ein Novum."

Erst im vergangenen Jahr trat Münch sein Amt als BKA-Chef an. Das Thema dieser 61. BKA-Jahrestagung legte er schon bald darauf fest: "Internationaler Terrorismus: Wie können Prävention und Repression Schritt halten?" Die Anschläge von Paris haben es mit ungewohnter Aktualität aufgeladen.

Entsprechend mischten sich doppelt so viele Journalisten wie bei vergangenen BKA-Tagungen unter die rund 600 Tagungsgäste aus dem In- und Ausland, auch weil sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (Artikelbild, l.) als Redner im roten Backsteinbau des kurfürstlichen Schlosses in Mainz angesagt hatte.

Bedrohungslage "wirklich ernst"

Als der Innenminister mit einer knappen Stunde Verspätung schließlich auf das Podium trat, bezeichnete er die Bedrohungslage in Deutschland als "ernst, wirklich ernst". Er bezeichnete die Attacken in Paris als Teil einer koordinierten Anschlagsserie der Terrormiliz IS in Europa - und erklärte, vermutlich seien es nicht die letzten gewesen.

Der Innenminister verwies auf 4000 neue Stellen, die von Januar an bei deutschen Sicherheitsbehörden neu geschaffen würden. Aber er betonte zugleich, dass es trotz aller Anstrengungen in einer offenen Gesellschaft keine absolute Sicherheit geben könne. De Maizière will nicht allein mit Härte und Repression gegen den Terror kämpfen, sondern auch mit Aufklärung und Prävention. Er erinnerte daran, dass die meisten Täter schließlich in Europa aufgewachsen und sozialisiert seien, in unsere Schulen, Moscheen und Sportvereine gegangen seien. Wenn das Umfeld, wenn Eltern, Freunde oder Trainer beobachteten, dass sich jemand radikalisiere, sollten sie sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen, forderte der Innenminister. Das sei kein Verrat, sondern Ausdruck von Sorge.

Auch BKA-Chef Münch betonte, die Gefahr eines Anschlags komme "nicht von irgendwo draußen in der Welt - sie wächst mitten unter uns - und das gilt auch nach Paris und trotz der Flüchtlingswelle". Er setzte sich für einen deutlichen Ausbau von Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen ein. Das Personenpotenzial des islamistischen Spektrums müsse reduziert werden. Neben der wachsenden Internationalität und der globalen Vernetzung der Terroristen und ihrer Unterstützer stellt für Münch das "wachsende Personenpotenzial" islamistisch motivierter Täter die zentrale Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Der BKA-Präsident legte Zahlen vor: Der islamistischen Szene rechnet er 43.000 Personen zu. Gegenwärtig geht er von über 400 sogenannten Gefährdern aus. 600 Ermittlungsverfahren wegen islamistischen Terrorismus mit mehr als 900 Beschuldigten seien im Gange.

Deutschland exportiert Terror

Über 760 Menschen seien aus Deutschland in den Irak oder nach Syrien ausgereist, um sich dort dem IS oder anderen Terrorgruppen anzuschließen, so Münch. Dort würden sie schwerste Gewalttaten begehen oder sich auch als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen. Münch bedauerte, das von Deutschen dort angerichtete Leid werde in der Debatte um mögliche Sicherheitsrisiken durch steigende Flüchtlingszahlen zu oft ignoriert. Im Zusammenhang mit den Flüchtlingen unterstrich Münch: "Bislang deutet nichts auf ein gezieltes Einschleusen von Angehörigen terroristischer Organisationen nach Deutschland hin!"

Allerdings warnte der BKA-Chef, vor allem unbegleitete jugendliche Flüchtlinge könnten sich radikalisieren und bedürften eines besonderen Schutzes. Münch sprach von über 60 Versuchen von Islamisten, im Umfeld von Erstaufnahmeeinrichtungen Flüchtlinge anzusprechen.

Terror von rechts

Das BKA rechnet mit mehr Terror von rechts gegen Flüchtlinge. Schon jetzt hätten sich die Angriffe auf Asylunterkünfte im Vergleich zum Vorjahr auf über 700 verfünffacht, erklärte Münch. Der BKA-Chef sorgt sich um die Mobilisierung der rechten Szene durch die Flüchtlingsdebatte. Er sprach in dem Zusammenhang von gezielt gesteuerten Desinformationskampagnen mit dem Ziel, Ängste zu schüren und Gewalt zu legitimieren.

Auch hier plädierte Münch für Aufklärung - und lieferte die Fakten gleich dazu: "Mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen ist kein überproportionaler Anstieg der Kriminalität einhergegangen".

Ursachen des Terrorismus

In weiteren Vorträgen und Podiumsdiskussionen beschäftigen sich die 600 Experten mit den Ursachen von Terrorismus. Da wird zum Beispiel die Rolle der Internetpropaganda für die Radikalisierung untersucht - inklusive der Frage, wie man diese Propaganda unterlaufen kann. Oder es wird danach gefragt, was Menschen in den vermeintlichen Dschihad treibt - Menschen, die vor ihrer Radikalisierung meist nur sehr wenig von ihrer Religion verstanden. Aussteigergeschichten werden präsentiert und Deradikaliserungsprogramme vorgestellt.

Wenn der Terror ein Angriff auf die Freiheit ist und auf dieser BKA-Jahreskonferenz über den Schutz dieser Freiheit diskutiert wird, dann ist der Ort gut gewählt: Im Mainzer Schloss wurde 1792 der erste Jakobinerklub auf deutschem Boden gegründet. Er war die erste demokratische Bewegung Deutschlands.