Deutschland fürchtet Brexit-Blues
28. März 2017Es wird ernst: Die britische Regierung will am Mittwoch in Brüssel den offiziellen Antrag auf Austritt aus der EU einreichen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) rechnet wegen des Brexits mit einem deutlichen Einbruch in den Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien. "Der Brexit wird den Geschäften deutscher Unternehmen mit dem Vereinigten Königreich erheblich schaden", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Schon in den kommenden Monaten sei mit weiteren Rückgängen bei Handel und Investitionen zu rechnen.
40 Prozent der deutschen Unternehmen mit Engagement im Vereinigten Königreich erwarten laut einer DIHK-Umfrage in den kommenden Monaten eine Verschlechterung der Geschäfte - auch wenn die Lage bislang noch als "halbwegs solide" eingestuft werde. Neun Prozent der beteiligten Unternehmen planen demnach die Rückverlagerung von Investitionen aus Großbritannien, mehrheitlich nach Deutschland, aber auch in andere Staaten innerhalb und außerhalb der EU.
Rückverlagerung der Investitionen
Mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU warnte Schweitzer in der "FAZ" vor "zu vielen Zugeständnissen", um den EU-Binnenmarkt insgesamt nicht zu gefährden. Zugleich sollten aber "Hindernisse im Warenverkehr und zusätzliche Bürokratie möglichst gering ausfallen".
Ein verständlicher Wunsch. Denn beim Scheitern der Verhandlungen droht ein Austritt ohne wenn und aber - ein sogenannter "harter" Brexit. In einem solchen Fall befürchtet das Bundesfinanzministerium Verwerfungen an den Finanzmärkten. Sollten sich die Europäische Union und Großbritannien nicht rechtzeitig auf einen Austrittsvertrag einigen, könnte "die Finanzmarktstabilität gefährdet werden", heißt es dem "Handelsblatt" zufolge in einer Analyse des Ministeriums, in der "spezifische Probleme" des britischen EU-Austritts analysiert werden.
Umfangreicher Verhandlungskatalog
Auf 34 Seiten haben die Beamten des Bundesfinanzministeriums zusammengetragen, welche Finanzfragen die EU und Großbritannien klären müssen und was passiert, wenn man sich nicht rechtzeitig einigt. Dabei drängt Zeit: Denn der entsprechende Paragraph des EU-Vertrages regelt genau, dass die Verhandlungen für eine einvernehmliche Trennung lediglich zwei Jahre dauern dürfen. Das ist wenig, wenn man die Fülle der Problemfelder betrachtet.
Auf 60 Milliarden Euro könnten sich nach Berechnungen der EU alleine die Schulden belaufen, die London im Falle eines Austritts der Gemeinschaft zurückzahlen müsste. Diese Summe ergibt sich unter anderem aus den Zusagen der Briten für den laufenden EU-Haushalt sowie aus Pensionsverpflichtungen für EU-Mitarbeiter.
Knackpunkt Finanzsektor
Ganz oben auf der Liste mit den wichtigsten Knackpunkten bei den Verhandlungen steht für London sicherlich auch die Zukunft der Finanzbranche, die alleine einen Anteil von zwölf Prozent an der gesamten britischen Wirtschaftsleistung hat.
Quasi ganz nebenbei muss die britische Regierung auch noch die gewaltige Aufgabe lösen, fast jeden Aspekt des Wirtschafts- und Alltagslebens neu regeln zu müssen. Laut "Handelsblatt" geht die Forschungsabteilung des britischen Unterhauses davon aus, dass bis zu 19.000 EU-Regeln und Auflagen ins britische Gesetzbuch importiert werden müssen - und zwar parallel zu den Verhandlungen mit der EU.
Mögliche Fristverlängerung
Diese Verhandlungen hat der zuständige EU-Unterhändler Michel Barnier auf 18 Monate terminiert. Der Rest der Zeit bis zum Austritt am 29. März 2019 werde benötigt, um das neue Abkommen zu ratifizieren. Doch es gibt noch eine Hintertür: Eine Verlängerung ist jederzeit möglich, wenn "der Europäische Rat im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedsstaat einstimmig beschließt, diese Frist zu verlängern", heißt es im Artikel 50, Absatz 3 im EU-Vertrag. Theoretisch könnten die Verhandlungen also bis zum Sankt Nimmerleinstag dauern.
Aus ökonomischer Sicht ist dies sicherlich nicht wünschenswert, hat doch der bisher nur bevorstehende Brexit bereits Spuren in der Exportbilanz deutscher Unternehmen hinterlassen. Nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) traf es im zweiten Halbjahr 2016 besonders hart die Pharmabranche mit einem Rückgang der Ausfuhren nach Großbritannien von rund 19 Prozent, die Autoindustrie (minus 14 Prozent) und die Chemiebranche (minus elf Prozent). Insgesamt verringerten sich die Exporte "Made in Germany" auf die Insel gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 7,2 Prozent. Das britische Pfund hatte nämlich nach dem Brexit-Votum deutlich an Wert verloren, so eine mögliche Erklärung. Damit verteuerten sich die Exporte aus dem Euroraum, was die Nachfrage dämpfte.