Deutschland: Das AfD-Dilemma der CDU
24. Juli 2023Beim nüchternen Blick auf die Zahlen könnten die Christlich-Demokratische Union (CDU) und ihr Vorsitzender Friedrich Merz zufrieden sein. Im aktuellen Deutschlandtrend liegt man, wie schon seit vielen Monaten, an der Spitze. Gemeinsam mit der bayerischen Schwesterpartei CSU kommen die Unionsparteien auf 28 Prozent.
Mit diesem Ergebnis hätten die Konservativen 2021 die Bundestagwahl gewonnen und wären höchstwahrscheinlich weiter in der Regierung geblieben. So aber sind sie in der Opposition gelandet und tun sich mit dieser Rolle offensichtlich schwer.
Die CDU regierte 52 Jahre in Deutschland
Denn nicht den Bundeskanzler zu stellen oder wie zuletzt 16 Jahre lang mit Angela Merkel die Bundeskanzlerin, ist für die CDU ein eher seltenes Gefühl. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 regierte die Partei in 52 von 74 Jahren. Konrad Adenauer, Helmut Kohl und zuletzt Angela Merkel prägten die deutsche Politik. In ihre Fußstapfen möchte Friedrich Merz gerne treten, der im Januar 2022 zum Vorsitzenden gewählt wurde.
Die nächste Bundestagswahl findet 2025 statt - mit welchem Kanzlerkandidaten der Union ist allerdings noch offen. Müsste diese Frage schon jetzt geklärt werden, stünden die Chancen für Friedrich Merz womöglich schlecht. Der Grund: sein Schlingerkurs im Umgang mit der Alternative für Deutschland (AfD). Die Rechtspopulisten kommen dem Unionslager in Umfragen immer näher. Auf 20 Prozent werden sie momentan taxiert.
Kooperationen mit der AfD auf kommunaler Ebene?
Vor diesem Hintergrund lehnte der CDU-Vorsitzende in einem TV-Interview eine Zusammenarbeit mit der AfD im Deutschen Bundestag oder in Landesparlamenten zwar weiterhin ab, für Städte und Gemeinden aber nicht. "Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört", so Merz, "dann ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann."
Mit diesen Sätzen löste Friedrich Merz quer durch die Parteienlandschaft Widerspruch und Empörung aus. Nur die AfD-Chefin Alice Weidel frohlockte mit ihrem Eintrag im Kurznachrichtendienst Twitter: "Die CDU wird nicht umhinkommen, das unsinnige Kontaktverbot zur AfD aufzuheben." Ihre Partei bleibe bereit für eine Zusammenarbeit.
Hält der Unvereinbarkeitsbeschluss?
Faktisch hat die CDU 2018 auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, mit wem sie auf keinen Fall kooperieren wird: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."
Wie schwer dieser Vorsatz einzuhalten ist, zeigt sich allerdings am Beispiel der politischen Lage in Thüringen. In diesem Bundesland toleriert die CDU seit 2019 eine Minderheitsregierung der Linken, die mit Sozialdemokraten (SPD) und Grünen koalieren. Ohne die Zustimmung der Christdemokraten könnte Thüringen beispielsweise keinen Etat beschließen.
Die Reaktion der CDU auf Mord an Walter Lübcke
Im selben Jahr wurde in Hessen der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem inzwischen verurteilten Rechtextremisten ermordet. Unter dem Eindruck dieser Tat bekräftigte der Bundesvorstand der Partei den Unvereinbarkeitsbeschluss. "Jeder, der in der CDU für eine Annäherung oder gar Zusammenarbeit mit der AfD plädiert, muss wissen, dass er sich einer Partei annähert, die rechtsextremes Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus in ihren Reihen bewusst duldet." Die CDU lehne jegliche Koalitionen oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD ab.
Als Friedrich Merz Anfang 2022 für den CDU-Vorsitz kandidierte, grenzte er sich kategorisch von den Rechtspopulisten ab: "Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben." Und im Februar 2023 entschied sich der Bundesvorstand für ein Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen: "Die CDU ist nicht rechtsradikal, und wir nähern uns auch nicht der AfD an", sagte der zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr amtierende Partei-Chef.
Wie prinzipientreu ist Friedrich Merz?
Doch nach seinen jüngsten Äußerungen wachsen die Zweifel daran, wie ernst Merz es tatsächlich mit seiner Abgrenzung zur politischen Konkurrenz am äußersten rechten Rand meint. Auch zwei hochrangige Unionspolitiker, die im Oktober 2023 als Ministerpräsidenten wiedergewählt werden wollen, meldeten sich zu Wort.
Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) schrieb auf Twitter, die AfD sei "demokratiefeindlich, rechtsextrem und spaltet unsere Gesellschaft". Das sei mit den Werten seiner Partei nicht vereinbar. Und der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) verwies im TV-Sender ZDF darauf, dass die AfD ein "rechtsextremistischer Prüffall" für den Verfassungsschutz sei und ihre Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) als "gesichert rechtsextrem" eingestuft worden sei.
Verständnis für Parteichef
Rhein, dem im Unterschied zu Söder bislang keine Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur für das Unionslager nachgesagt werden, äußerte aber auch Verständnis für Friedrich Merz. Er habe ihn nicht so verstanden, dass er eine tatsächliche Zusammenarbeit mit der AfD auf lokaler Ebene befürworte. Eher habe Merz wohl ausdrücken wollen, dass im Fall der Wahl etwa eines AfD-Bürgermeisters auf kommunalpolitischer Ebene nicht "ausgeschlossen werden kann, dass man mit solchen Menschen auch spricht".
Zwei solcher Fälle gibt es inzwischen: Ende Juni wurde in Thüringen erstmals ein AfD-Landrat gewählt und Anfang Juli in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister. Beide Ereignisse lösten erneut Debatten darüber aus, warum die Rechtspopulisten immer erfolgreicher werden, und was die anderen Parteien dagegen tun könnten.
"Die Beschlusslage der CDU gilt"
CDU-Chef Friedrich Merz hatte sich zunächst dafür entschieden, zwischen Bundes- und Landesebene einerseits und der kommunalen Ebene andererseits zu unterscheiden. Kurz nach seinen umstrittenen Sätzen zur TV-Primetime am Sonntag relativierte er sich dann selbst.
"Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt", erklärte Merz. "Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben."