Deutschland braucht mehr Tempo für Klimaziele
24. Februar 2016Auf der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossen fast 200 Länder mehr Anstrengungen für den Klimaschutz. So soll die Erderwärmung auf unter zwei Grad, möglichst auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Ausstoß von Treibhausgasen drastisch gesenkt werden, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in der Bilanz auf Null.
Im Auftrag von Greenpeace rechnete das deutsche NewClimate Institute in einer Kurzstudie aus welche Maßnahmen für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels von Deutschland erforderlich wären.
Energieversorgung ab 2035 ohne CO2-Emissionen
Für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels müssten nach Ansicht der Wissenschaftler die CO2-Emissionen aus der Energieerzeugung weltweit bis 2035 auf Null sinken. "Nur so kann die Temperaturerhöhung weit unter zwei Grad in Richtung 1,5 Grad Celsius begrenzt werden, ohne das Risiko einzugehen, künftig im großen Stil CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen zu müssen", heißt es im Report.
Die Industrieländer wie Deutschland sollten hier voranschreiten und die Reduktion bereits früher umsetzen. "Dies ergibt sich aus der historischen Verantwortung der Industrieländer für den Klimawandel und ermöglicht Entwicklungsmöglichkeiten für stark wachsende Schwellen- und Entwicklungsländer", so die Autoren.
Schneller Energieumbau für 1,5-Grad-Ziel erforderlich
"Die erneuerbaren Energien spielen die Schlüsselrolle in einer konsequenten Umsetzung der Pariser Klimaziele in Deutschland. Ihr Ausbau muss beschleunigt werden", sagt Studienautor Prof. Niklas Höhne bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels müsse der Anteil erneuerbarer Energien für die Stromerzeugung bereits vor 2030 bei 100 Prozent liegen und für Gebäudewärme, Industrie und Verkehr vor 2035 bei 100 Prozent.
Zugleich müsse der geplante Ausstieg aus der Braun- und Steinkohle zur Stromerzeugung in Deutschland erheblich beschleunigt werden. "Der Ausstieg müsste bis etwa 2025 erfolgen, andere fossile Energieträger für die Stromerzeugung wie Gas müssten bis 2030 ebenso ersetzt werden", lautet das Fazit der Studie.
Effiziente Gebäude und effizienter Verkehr
Parallel zum Umstieg auf erneuerbare Energien sieht die Studie aber auch bei der Steigerung der Energieeffizienz erheblichen Handlungsbedarf, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. So müsse der Autoverkehr um etwa ein Prozent pro Jahr abnehmen und auf öffentlichen Verkehr und Fahrräder verlagert werden. Auch reichten die bisher gesetzten Ziele für mehr Elektromobilität nicht aus, bis 2035 sei eine vollständige Elektrifizierung erforderlich.
Ebenfalls gibt es im Gebäudebereich nach Ansicht der Autoren noch sehr viel zu tun. Zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels müsste die energetische Sanierung fünf Mal schneller gehen als bisher und Neubauten strenge Effizienzstandards erfüllen. "Bis spätestens 2035 müsste so der Gebäudesektor vollständig renoviert sein, um keine Emissionen mehr zu erzeugen", lautet das Resümee.
Bestandsaufnahme für Diskussion
"Das Klimaabkommen von Paris ist für Politik und Gesellschaft eine gewaltige Herausforderung, das erfordert mehr Ehrlichkeit und entschlossenes Handeln der Bundesregierung", betont Andree Böhling, Energieexperte von Greenpeace. "Die Studie ist eine Bestandsaufnahme. Wir wollen jetzt eine offene Diskussion wie die Klimaziele erreicht werden können und was getan werden muss", so Böhling gegenüber der Deutschen Welle.
Dass die Verwirklichung des 1,5-Grad-Ziels erheblich stärkere Anstrengungen erfordert, sehen auch andere Energieexperten so. "Die Mehrheit der Szenarien aus dem IPCC zeigt, dass schon das Zwei-Grad-Ziel nur mit negativen Emissionen zu erreichen ist, wenn man unterstellt, dass sich das politische Handeln nicht abrupt in Richtung 100 Prozent Klimaschutz dreht", sagt IPCC-Autor Prof. Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts. "Bei einem 1,5-Grad Ziel würde das in der Tat noch erheblich stärkere Anstrengungen bedeuten."
"Um die Klimaziele zu erreichen, darf die Energiewende nicht abgewürgt werden", kommentiert Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die Studie. "Der Kohleausstieg muss zeitnah eingeleitet werden und das Energiesparen muss in den Vordergrund rücken."
Joachim Nitsch, der bereits mehre Studien für die Bundesregierung verfasste, belegt in einer Studie, dass Deutschland schon seine bisher gesetzten Klimaziele mit den eingeleiteten Maßnahmen nicht erreichen wird. "Deutschland wird bis 2020 die Treibhausgase nur um 32% gegenüber 1990 mindern und sein Reduktionsziel von 40 Prozent deutlich verfehlen", lautet sein Fazit. Für die Umsetzung der Pariser Klimaziele müssten nach seiner Berechnung die erneuerbaren Energien dreimal so schnell ausgebaut werden, wie geplant.
Regierung plant neuen Klimaschutzplan nach Paris
Derzeit beginnt im Bundesumweltministerium die Arbeit an einem neuen Klimaschutzplan. Er soll festlegen wie der Pariser Vertrag umgesetzt wird. Im Sommer möchte die Regierung ihn verabschieden.
Den Fachleuten im Ministerium ist bewusst, dass nach Paris viel mehr getan werden muss. "Wir brauchen einen Aufwuchspfad bei den Erneuerbaren, der deutlich über dem liegt, was derzeit geplant ist", sagt Staatssekretär Jochen Flasbarth, der Deutschland in Paris bei den Klimaverhandlungen vertrat. "Jetzt geraten wir in eine Situation mit Sorge und müssen aufpassen, dass wir hier keine Schieflage bekommen", so Flasbarth gegenüber der Deutschen Welle.
Für die Grünen im Bundestag ist die Schieflage bereits offensichtlich: "Die Greenpeace-Studie ist ein Warnsignal", sagt der Abgeordnete Oliver Krischer. "Auf internationaler Bühne Klassenprimus sein wollen, aber national die erneuerbaren Energien und den Klimaschutz ausbremsen, das passt nicht zusammen. Hier muss die Regierung die Energiewende wirklich ernst nehmen und handeln."