Deutschland als Statist
23. Februar 2019Ob Nicolás Maduro weiß, dass er auch in Deutschland noch einige treue Unterstützer hat? Auf die Linke kann sich der venezolanische Präsident, dem die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in diesen Tagen gezielte Tötungen vorgeworfen hat, jedenfalls nach wie vor verlassen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion Jan Korte kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung scharf, Juan Guaidó als Interimspräsidenten anzuerkennen. Der "völlig standpunktfreie" Bundesaußenminister Heiko Maas habe sich auf die Seite "des Faschisten Bolsonaro und des Mauerbauers Trump" geschlagen, so Korte. Dies sei eine "irre Logik", nicht mit gleicher Schärfe gegen autoritäre Regierungen wie in Ägypten oder die Türkei vorzugehen. "Da stimmt der Kompass ganz offensichtlich nicht."
"Touché" möchte man beim Vergleich mit Ägypten und der Türkei sagen, trotzdem sehr harter Tobak, den Jürgen Hardt so nicht stehen lassen will. Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Auswärtiges kontert, dies sei ein absurder Vorwurf. "Die einzig demokratisch legitime Gewalt in Venezuela ist das Parlament, es ist demokratisch gewählt worden vor drei Jahren. Die Selbsternennung von Juan Guaidó zum Interimspräsidenten steht im Einklang mit der Verfassung von Venezuela." Guaidó sei der legitime Präsident für die Übergangszeit bis zur Präsidentenwahl. "Auf welcher Seite soll Deutschland denn sonst stehen, wenn nicht auf der Seite der venezolanischen Verfassung und Demokratie?", fragt Hardt.
Aufrüstung der Worte seit Ende Januar
Noch einmal der Reihe nach: Ende Januar kündigte Deutschland an, Venezuelas Oppositionsführer Guaidó als neuen Interimspräsidenten anzuerkennen, sollte Präsident Maduro nicht binnen einer Woche Neuwahlen ausrufen. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert teilte mit, es brauche "freie und glaubwürdige Wahlen". Maduro sei nicht der demokratisch gewählte Präsident Venezuelas, sagt Bundesaußenminister Maas. Die Situation in dem südamerikanischen Land sei unerträglich. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit würden von Maduro "mit Füßen getreten".
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour betont, Maduro habe das sozialistische System des 2013 verstorbenen Hugo Chávez in eine Kleptokratie verwandelt. "Deshalb ist es nicht links, wenn man Maduro unterstützt."
Der venezolanischen Machthaber zeigte sich von den mahnenden Worten aus Berlin unbeeindruckt: Maduro ließ das deutsche Neuwahl-Ultimatum - erwartungsgemäß - verstreichen.
Während die Europäische Union sich nicht auf eine gemeinsame Linie zu Venezuela einigen kann (Italien schert als einziger von 28 Mitgliedsstaaten aus und blockiert ein Statement), erklärt Kanzlerin Angela Merkel Anfang Februar bei ihrem Staatsbesuch in Japan, Guaidó sei "der legitime Interimspräsident aus deutscher Sicht" und damit jetzt der Ansprechpartner für Deutschland: "Die Person, mit der wir darüber reden und von der wir erwarten, dass sie einen Wahlprozess möglichst schnell initiiert".
Das sollen nicht nur leere Worte sein. So griff Außenminister Maas zum Hörer und telefonierte mit Guaidó, um dem selbst ernannten Präsidenten Deutschlands Unterstützung zu versichern. Deutschland würde auch humanitäre Hilfe leisten, sobald die politischen Rahmenbedingungen in Venezuela dies zuließen.
Völkerrechtliche Fragen bleiben unbeantwortet
Doch ist diese Anerkennung Guaidós wirklich durch das Völkerrecht gedeckt? Die Linke bezweifelt dies und beauftragte den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, ein Gutachten zu erstellen. Dies kommt zu dem Schluss, dass die internationale Anerkennung von Guaidó tatsächlich völkerrechtliche Fragen aufwerfe. Es gebe "starke Gründe für die Annahme", dass dies eine Einmischung in innere Angelegenheiten sei, heißt es in der siebenseitigen Expertise. Die Frage sei "durchaus berechtigt", ob es nicht als unzulässige Intervention zu bewerten sei.
Der Bundesaußenminister setzt trotzdem auf Guaidó. Humanitäre Hilfe werde es nur mit dem Interimspräsidenten geben, so Maas. Der Druck auf Maduro müsse hochgehalten werden, möglicherweise sei dabei "irgendwann der Zeitpunkt für zusätzliche Sanktionen gekommen." Für den Fall von Wirtschaftssanktionen sei es aber "außerordentlich wichtig", dass die Zivilbevölkerung darunter nicht "noch mehr leidet als sie ohnehin schon leidet".
Deutschlands Regierung ist überzeugt, das Richtige zu tun
Von den derzeitigen Venezuela-Sanktionen der Europäischen Union sind 18 Vertraute von Nicolás Maduro betroffen. Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen sowie die Untergrabung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen. Für sie gelten EU-Einreiseverbote und Vermögenssperren. Zudem ist der Export von Waffen und Ausrüstung nach Venezuela verboten, die zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft eingesetzt werden können.
In den vergangenen Wochen hat Deutschland den Druck auf Venezuela schrittweise erhöht, ließ aber zuvor Maduro lange gewähren. "Wir haben in der Vergangenheit immer wieder die Oppositionsbewegung gegen Maduro beobachtet, aber es gab schlichtweg keine einheitliche Opposition, welche die Kraft gehabt hätte, einen verfassungsmäßig legitimen Prozess zu ermöglichen", sagt CDU-Außenexperte Hardt. Viele der Oppositionellen seien ja auch in die Gefängnisse gewandert. Mit Guaidó sei diesmal alles anders. "Jetzt steht das Parlament mehrheitlich hinter dem gewählten Parlamentspräsidenten."
Bei der Güterabwägung muss sich Deutschland entscheiden
Außer Deutschland unterstützen mittlerweile mehr als 50 Staaten Juan Guaidó. Sie alle hoffen, dass die Situation nicht eskaliert und es zu einem friedlichen Wandel kommt. "Es ist eine Güterabwägung", findet Sabine Kurtenbach, Direktorin des GIGA-Institutes für Lateinamerika-Studien in Hamburg. "Ist das Nichteinmischungsprinzip, das für Lateinamerika schon sehr lange gilt, wichtiger als der Schutz der Bevölkerung, gerade im Kontext einer humanitären Krise?" Deutschland gibt also das Prinzip, sich nicht einzumischen, auf - und beruft sich auf die humanitäre Situation.
Dass diese Einmischung Deutschlands so spät erfolgt ist, hat für Kurtenbach gute Gründe: "Wir haben seit dem 10. Januar eine neue Situation, auf die sich auch die Opposition beruft, genauer den Artikel 233 in der Verfassung. Vorher gab es für Deutschland wenig Handhabe, außer natürlich die Wahlen 2018 zu kritisieren, die weder frei noch fair waren." Der Artikel 233 schreibt vor, dass der Vorsitzende der venezolanischen Nationalversammlung vorübergehend das Amt des Staatschefs übernimmt, wenn es keinen rechtmäßigen Präsidenten gibt. Die Argumentation Guaidós und auch Deutschlands: Maduro habe die Präsidentschaftswahl im Mai 2018 manipuliert. Deshalb sei seine zweite Amtszeit mit Beginn am 10. Januar 2019 ungültig.
Deutschlands Einfluss nur gering
Wie so oft auf internationaler Bühne versucht Deutschland auf diplomatischem Weg den Konflikt in Venezuela zu lösen, ist zum Beispiel in der Internationalen Kontaktgruppe für Venezuela aktiv, die einen friedlichen Übergang erreichen will. "Deutschland muss sich schon jetzt auch dafür einsetzen, dass keine Gewalt angewendet wird, von wem auch immer", fordert Sabine Kurtenbach.
Es müsse einen nationalen Dialog geben, übrigens nicht zwingend mit Maduro, der sich selbst ins Abseits gestellt habe, "aber die Chavisten vertreten schon noch beträchtliche Teile der Bevölkerung und die muss man dann mit einbeziehen. Es darf nicht sein, dass sich der Teil der Opposition durchsetzt, der zurück in die 1980er Jahre will.", warnt die Lateinamerika-Expertin vor einer Rückkehr zum Neoliberalismus. Dann sei die nächste Instabilität sofort programmiert.
Doch wie es in dem südamerikanischen Land letztlich weitergeht, hängt vor allem von Venezuela selbst ab. Danach von den Großmächten, denn die Interessen der USA auf der einen und von Russland und China auf der anderen Seite machen die Krise zu einem geopolitischen Konflikt. Die Europäische Union und Deutschland sind bei der venezolanischen Tragödie nur Statisten in der hinteren Reihe. "Deutschland hat in Venezuela nur geringe Einflussmöglichkeiten", so Kurtenbach, "man darf diesen Einfluss nicht überschätzen."