Deutsches Kunstwissen für China
16. Dezember 2014"Ich bin in Deutschland, um meinen Blickwinkel auf die zeitgenössische westliche Kunst zu erweitern", sagt Yonh Hua Gao in der Vorstellungsrunde im Auktionshaus Villa Grisebach in Düsseldorf. Gemeinsam mit zehn anderen chinesischen Kunstsammlern besucht sie eine Woche lang Museen, Kuratoren, Künstler und deutsche Sammlerkollegen – zuerst in Berlin und nun im Rheinland. Für sie steht ein straffes Workshop-Programm auf der Tagesordnung. Die zentrale Frage lautet: Wie baut man eine Sammlung mit westlicher Kunst auf?
Die Teilnehmer des Workshops zählen zu einer chinesischen Elite, die über ein großes finanzielles Potential verfügt. Frau Gao vertritt die LE-VI Group in Peking, eine Firma, die mit Diamanten handelt. Nebenbei sammelt das Unternehmen zeitgenössische Kunst und stellt sie in einem eigenen Museum aus.
Nachhilfeunterricht in westlicher Kunstgeschichte
Damit die Teilnehmer mit Hilfe des Westens nachhaltiger und verantwortungsvoller in Kunst investieren, bedarf es Hilfe. Die Düsseldorferin Leonie Spiekermann unterstützt mit ihrer Agentur Art Gate diesen interkulturellen Brückenschlag. Gemeinsam mit dem Chinesen Li Zhao aus Peking organisiert sie Schnellkurse für fernöstliche Sammler in westlicher Kunstgeschichte und allem, was dazu gehört. Durch ihre Besuche in Deutschland haben die chinesischen Sammler die Gelegenheit, ein Bewusstsein für die westliche Kunst zu entwickeln. Statt auf ein schnelles Investment zu schielen, sollen sie sich zu Kennern und Liebhabern zeitgenössischer Werke entwickeln. Zum Kursprogramm zählen deshalb auch Treffen mit deutschen Sammlern und Künstlern in privatem Umfeld. "Joseph Beuys, Anselm Kiefer oder Neo Rauch", das seien die Namen, die in China ein fester Begriff seien, sagt Li Zhao, der Unternehmer und gleichzeitig Professor an der Central Academy of Fine Arts ist. Früher war die Kunstakademie in Peking eine parteikonforme Elite-Schmiede. Heute öffnet sie sich und unterhält sogar eine Abteilung für Experimentelle Kunst.
Kunst als Prestigefaktor
Li Zhao hat die chinesischen Sammler ausgewählt. "Die Firmeninhaber sind konfrontiert mit zwei Phänomenen", sagt er. "Erstens mit der Globalisierung, zweitens mit der Errichtung einer eigenen Unternehmenskultur. Sie sind Manager und sie sammeln Kunst. Und sie fragen sich, wie sie ihr persönliches Hobby und ihr Firmenleben in Verbindung bringen können".
Kunstsinn und wirtschaftlicher Erfolg scheinen sich dabei nicht auszuschließen. Shang Hong, der ebenfalls aus Peking stammt, outet sich als Teil einer kultivierten Schicht, die in Chinas langer Kunstgeschichte tonangebend ist. Sein Großvater war Wu Zuoren, einer der einflussreichsten Künstler der klassischen Moderne. Shang Hong verwaltet seinen Nachlass und ist außerdem Inhaber einer Firma, die handgeschöpftes Papier herstellt. Auch er will in den westlichen Kunstmarkt einsteigen.
Vorbild Wang Jianlin
Im November 2013 hat Wang Jianlin, einer der reichsten Männer Chinas, Picassos Gemälde "Claude et Paloma" für 28 Millionen Dollar bei Christie's in New York ersteigert - den höchsten Preis, den je ein Chinese für ein Werk westlicher Herkunft gezahlt hat. Diese Investition ist ein Beweis dafür, dass die Chinesen Anspruch auf ein eigenes Stück vom westlichen Kunstkuchen beanspruchen. In großem Stil, Kollektionen mit westlicher Kunst aufzubauen, bedeutet in China einen Prestigegewinn. Jedenfalls liegt das Reich der Mitte kurz hinter den USA, wenn es darum geht, viel Geld für Kunst auszugeben. Die aktuelle Marktanalyse der Messe TEFAF meldet, dass in China im vergangenen Jahr 11,5 Milliarden umgesetzt wurden. Angesichts dieser enormen Kaufkraft ist es auch für ein altehrwürdiges Auktionshaus wie die Villa Grisebach von Interesse, seine Kontakte nach China zu intensivieren. Geschäftsführer Daniel von Schacky empfängt die Sammler im Ableger in Düsseldorf und nutzt die Gelegenheit, Werbung für die bevorstehende Auktion zu machen. "Allmählich zeichnet sich bei den Chinesen ein größeres Interesse für den westlichen Kunstmarkt ab", sagt Schacky. Für seine Ausführungen über die Relevanz eindeutiger Provenienzen für den Kunsthandel projiziert er Abbildungen von Gemälden an die Wand. Es sind Werke von Künstlern mit gut klingenden Namen wie Adolf Menzel, Max Beckmann und Anselm Kiefer, die in einer bevorstehenden Auktion unter den Hammer gehen. Die Chinesen machen sich Notizen und fragen nach Preisen und Umsätzen mit zeitgenössischer Kunst.
Informationen aus erster Hand
Auch Zhu Binfeng will alles darüber wissen, was deutsche Sammler kaufen. "Wir in China haben unsere eigenen Gewohnheiten beim Aufbau von Sammlungen. Deshalb interessiert mich, wie die Deutschen sammeln", sagt er. Die richtigen Informationen über Künstler und Wertsteigerungen sind dabei der Schlüssel zum Erfolg. Vor allem wenn man aus einem komplett anderen kulturellen Umfeld kommt. So haben die Chinesen auf ihrer Deutschlandreise erfahren, dass beim Kunstsammeln ein langer Atem zählt, dass es Zeit braucht, Künstler zu entdecken und aufzubauen.
Zhou Fang ist eine erfolgreiche Unternehmerin aus Wuxi, einer historischen Stadt am Jangtse-Delta, nur eine halbe Stunde von Shanghai entfernt. Phoenix Arts Groups heißt ihre Firma. Sie produziert Künstlerbedarf: Leinwände, Keilrahmen, Ölfarben. "Wir zählen weltweit zu den erfolgreichsten Unternehmen auf diesem Gebiet. In Europa ist Deutschland ein wichtiger Markt. Aber wir haben auch Ausstellungsflächen, um die von uns gesammelte zeitgenössische Kunst auch auszustellen", sagt die Unternehmerin. Wuxi gilt als Boomtown mit einer Kaufkraft, die vier Mal höher ist als in anderen Großstädten Chinas. Das Phoenix Art Center hat sich auf Öl-Malerei aus China spezialisiert. Einige der Teilnehmer besitzen bereits einen Fundus von mehr als tausend Werken – noch dominieren allerdings heimische Künstler ihre Sammlungen. Aber wer weiß, vielleicht gehört auch bald einer der weltweit gefragtesten Fotografen der Düsseldorfer Schule dazu. Der nächste Programmpunkt, der auf ihrer Deutschlandreise auf der Tagesordnung steht? Der Besuch des Ateliers von Thomas Ruff.