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Deutsches Fußball-Know-how in Usbekistan

Felix Lill
14. Januar 2019

Während Usbekistans Nationalelf beim Asien Cup überrascht, wird daheim in der Hauptstadt Taschkent die nächste Generation Fußballer mit deutschen Konzepten und Tugenden ausgebildet. Ein Besuch bei den "kleinen Wölfen".

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Usbekistan Jugend-Fußball Leistungszentrum in Tashkent
Bild: JFL

"Wie man zum Wölfchen wird?", Dilshod Kariev hebt seine Stimme und blickt in den Besprechungsraum mit Prospekten auf dem Tisch und Mannschaftsfotos an der Wand. Die Frage war hypothetischer Natur, Kariev antwortet nämlich sofort selbst: "Ein Wölfchen ist 15 Minuten vorher da. Ein Wölfchen trägt immer seine Uniform. Ein Wölfchen ist zuverlässig. Ein Wölfchen legt sein Handy eine Stunde vor dem Schlafengehen zur Seite. Ein Wölfchen macht seine Hausaufgaben." Und wer will so etwas sein, ein Wölfchen? Auch diese Frage lässt sich für den 41-jährigen Fußballtrainer Kariev klar beantworten: jeder junge Fußballer in Usbekistan. Denn nur wer heute Wölfchen sei, könne eines Tages zum Leitwolf werden.

Das ist hier, in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, das große Ziel: so gut zu werden wie die besten Fußballer, die es gibt. Usbekistan ist bisher keine große Fußball-Nation. Doch die "Weißen Wölfe", wie die Nationalelf genannt wird, ist aktuell beim Asien Cup erfolgreich gestartet und hat sich vorzeitigen für das Achtelfinale qualifiziert. Es ist etwas ins Rollen gekommen. Und auf der etwas in die Jahre gekommenen, einst sowjetischen Sportanlage kommen die Vorbilder nicht mehr aus Russland, sondern aus dem Land von Karievs großem Idol Lothar Matthäus, den man zu seinen großen Zeiten schließlich Leitwolf nannte. "Wir befolgen hier das deutsche Modell", erklärt Kariev, ansonsten ein lockerer Typ, plötzlich mit bestimmtem Blick. Unmissverständlich ist hier schon der Name der Einrichtung: Über dem Eingang zum zweistöckigen Verwaltungsgebäude prangt in dicken Lettern auf Deutsch: "Jugend-Fußball Leistungszentrum in Taschkent." Hier soll die Zukunft des usbekischen Fußballs ihren Anfang nehmen.

Deutschland steht für "Zucht und Ordnung"

Vor knapp zwei Jahren öffnete die Fußballschule ihre Tore, 150 Kinder zwischen fünf und 16 Jahren trainieren hier jeden Tag. Kariev, der hauptberuflich ein Reiseunternehmen führt, schlendert über die Sportanlage, über der hier die deutsche Abkürzung JFL thront, dort eine Wolfssilhouette zu sehen ist. Auf zwei Plätzen laufen sich Mannschaften warm. "Ich miete die Felder hier und bezahle die Ausrüstung und die Trainer aus meiner Tasche. Bald wollen wir ein vollwertiges Internat eröffnen, wir warten noch auf das neue Gelände, das wir dann nutzen wollen", sagt Kariev und fordert: "Usbekistan braucht endlich mal ein gutes Nachwuchssystem." Pro Kind kostet die Mitgliedschaft umgerechnet 30 Euro im Monat. Dafür soll es "die beste Ausbildung im ganzen Land" geben.

Usbekistan Jugend-Fußball Leistungszentrum in Tashkent | Dilshod Kariev
Jugendtrainer Dilshod KarievBild: DW/F. Lill

Was Dilshod Kariev so sicher macht? Er habe sich die großen Fußballnationen selbst angesehen. In Barcelona erwarb er eine Jugendtrainerlizenz, reiste von dort aus unter anderem nach Deutschland, England und Belgien. Sein Urteil lautet, dass man von Deutschland lernen müsse. "Der DFB hat in den 1990er Jahren sein Ausbildungskonzept zentralisiert. Dort ist wirklich alles durchdacht. So bekommt jedes Kind taktisch und technisch das gleiche mitgegeben." Außerdem herrsche in der Kabine und auf dem Platz Zucht und Ordnung. "Wenn in Deutschland ein Jugendtrainer 'Aufgepasst!' ruft, dann passen alle auf. In Spanien tanzen immer ein paar Kinder aus der Reihe." Deutschland schaffe die Balance aus sauberer Technik und strenger Disziplin.

Großes Vorbild Schlotheim

Die Blaupause für das, was die Kinder in Taschkent nun trainieren, hat sich Kariev allerdings nicht etwa vom VfL Wolfsburg oder einem anderen Bundesligaverein besorgt, sondern aus der thüringischen Provinz. Dem Usbeken imponierte ein Fußballinternat in der Kleinstadt Schlotheim, weil man dort Schule, Sport und charakterliche Bildung als jeweils gleich wichtige Teile ansehe, zudem aus einem begrenzten Einzugsgebiet ein gutes fußballerisches Niveau schaffe. "Genauso wollen wir in Taschkent auch werden!", sagt der Trainer begeistert, auch wenn seine Heimatstadt rund drei Millionen Einwohner zählt. "Zweimal pro Jahr kommen Trainer aus Schlotheim nach Taschkent und kontrollieren uns, ob wir deren Konzept richtig befolgen." Kariev sieht rüber zu einem Platz, wo Zwölfjährige Koordinationsübungen machen. "Wölfe hängen sich rein!", weist dort der Trainer einen Jungen zurecht, der den Hütchenparcours nur trabend statt sprintend durchläuft. Der Junge nickt, scheint Besserung zu geloben.

Schlafender Riese kurz vor dem Erwachen

Seit längerem will Usbekistan zumindest in Asien eine Fußballmacht werden. In den Jugendbereich investiert das Land schon einige Jahre, verzeichnete zuletzt auch zaghafte Erfolge. Die nationalen Auswahlen der U-17 und U20 qualifizierten sich in diesem Jahrzehnt je zweimal für Weltmeisterschaften, bei der U23-Asienmeisterschaft im vergangenen Jahr in China holte Usbekistan sogar den Titel. "Asiens schlafender Riese" wird das bevölkerungsstärkste Land Zentralasiens seitdem auf der Website der FIFA genannt, wenngleich es in der Rangliste des Weltverbands von allen Ländern bisher nur für Platz 95 reicht. Usbekistan muss noch aufwachen.

AFC U23 Championship China 2018 - Halbfinale Usbekistan vs Südkorea
Beim Jubeln schon Weltklasse: Usbekistans U23 gewann 2018 die AsienmeisterschaftBild: Getty Images/Power Sport Images

Bei der aktuell in den Vereinigten Arabischen Emiraten laufenden Asienmeisterschaft legten die Usbeken am Mittwoch immerhin zum Auftakt einen 2:1-Sieg gegen Oman hin. Für das vorzeitige Weiterkommen reichte der zweite Sieg im zweiten Gruppenspiel gegen den Nachbarn Turkmenistan (4:0) . "Wir werden schon immer besser", sagt Kariev. "Aber wir werden auch noch ein paar Jahre brauchen, bis wir wirklich konkurrenzfähig sind." Die A-Nationalmannschaft spiele bisher noch etwas zu verschnörkelt, ihr fehle Zielstrebigkeit.

Wölfe treten nicht im Zirkus auf

Dinge, die man im deutschen Biotop von Taschkent natürlich von der Pike auf lerne. "Ein Wölfchen hört immer auf seinen Trainer", lautet eine weitere Grundregel, die jeder Nachwuchsspieler auswendig zu lernen hat. Und der Trainer lehre, dass sich der Ball dann am schnellsten über den Platz bewegt, wenn er direkt gepasst wird. Die Spieler Wölfchen zu nennen, sagt Kariev mit einem Schmunzeln, hat ihm zugegebenermaßen keiner der Berater aus Schlotheim vorgeschlagen. Das sei Karievs eigene Idee gewesen. "Wölfe sind doch Rudeltiere, denen ist die Mannschaft wichtig. Und weil die Jungs noch in der Ausbildung sind, heißen sie Wölfchen."

Könnte den Heranwachsenden in ihrem auch mal schwierigen Alter so ein Name unangenehm sein? Nein, nicht wenn einem der Erfolg Recht gebe. "Wenn jemand fragt, gebe ich den Jungs noch einen Grund, warum sie Wölfchen sind: Der Wolf ist das einzige Tier, das nicht im Zirkus auftritt." Hier in Taschkent werde nämlich nicht für die Galerie gespielt, sondern für das Ergebnis. Klingt auch nach deutschem Einfluss, sogar aus der Zeit des Leitwolfs.