Deutsches Außenministerium spart bei humanitärer Hilfe
26. September 2024Im kommenden Jahr will die Bundesregierung nur noch rund eine Milliarde Euro für humanitäre Hilfe in aller Welt ausgeben. Das ist die Hälfte des Geldes, die im laufenden Bundeshaushalt zur Verfügung steht. "Wir mussten sehr schmerzliche Kürzungen hinnehmen", räumt Susanne Baumann ein.
Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt stellte in Berlin eine neue Strategie vor, wie mit geringer werdenden Mitteln einer größer werdenden Zahl von notleidenden Menschen geholfen werden soll. Sie kämpfe in den Haushaltverhandlungen noch weiter, so Baumann, aber die Aussichten, dass es angesichts des Spardrucks noch eine Erhöhung der Gelder geben werde, sei gering.
Hilfe soll effizienter werden
Das Außenministerium will die Hilfe strategisch neu ausrichten und damit effizienter machen. Dazu will man sich stärker auf lokale Organisationen stützen, sich besser mit anderen Geber-Ländern absprechen, Bürokratie abbauen und auf eine Verschlankung der UN-Agenturen drängen, die die Hilfen vor Ort organisieren. Der überwiegende Teil der Hilfsgelder wird über UN-Agenturen wie das Welternährungsprogramm (WFP) oder das Kinderhilfswerk UNICEF ausgezahlt.
Außerdem solle, so Staatssekretärin Baumann, mehr Geld in "vorbeugende humanitäre Hilfe" gehen. Viele Krisen und Katastrophen seien vorhersehbar. Wenn man rechtzeitig vorbaue, könne viel Geld gespart werden, beispielsweise wenn Hilfsgüter vor einer Überflutung oder vor Ausbruch eines Krieges in die betroffenen Regionen geschafft würden.
Verstärkt werden soll auch die humanitäre Diplomatie. Genannt wurden als Beispiel dafür die elf Reisen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Israel seit dem Überfall der Hamas auf das Land am 7. Oktober 2023. Bei den Reisen habe auch der bessere Zugang für Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen und die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung eine Rolle gespielt.
Andere Geber sparen auch
Rund 310 Millionen Menschen sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes auf Hilfe der internationalen Geber angewiesen. Tendenz steigend. Es geht um Hilfen bei Naturkatastrophen, in Kriegslagen und bei Flüchtlingsbewegungen, aber nicht um langfristige Projekte der Entwicklungshilfe. Schwerpunkte der Hilfen aus Deutschland sind zurzeit die Ukraine, Gaza, Sudan, Syrien, Jemen und Myanmar. Die Zahlen gehen hoch, die Mittel nach unten.
Für Staatssekretärin Baumann ein "klassischer Konflikt". Und Deutschland ist mit diesem Problem nicht allein. Auch die großen Geberländer Großbritannien und Frankreich haben gekürzt. "Die Mittel gehen bei uns zurück, auch bei vielen Partnerländern, was die Situation nicht verbessert", beklagt Susanne Baumann.
Größter internationaler Geber sind die USA. Deutschland lag bislang an zweiter Stelle, gefolgt von der Europäischen Union auf Platz drei. Deutschland werde trotz der Halbierung seiner Mittel wohl auf dem zweiten Platz bleiben, schätzt das Auswärtige Amt, denn die anderen Geber kürzen entsprechend. Weltweit haben die Geberstaaten im Jahr 2023 rund 32 Milliarden Euro aufgewendet. Dem stand ein Bedarf von 45 Milliarden Euro gegenüber.
Es sei wichtig mehr Geberländer zu Hilfen zu motivieren, zum Bespiel die reichen Staaten am Persischen Golf. Viele, auch wohlhabende Staaten in der EU hätten die humanitäre Hilfe nicht ganz oben auf ihrer Liste, beklagt die Staatssekretärin. Die Geberstaaten müssten sich wegen der knappen Ressourcen mehr auf ihre Nachbarschaft und auf Konflikte konzentrieren, die Folgen für sie selbst haben könnten. Deshalb ist Europa stark in der Ukraine, in Afrika und im Nahen Osten engagiert. Die USA und Kanada blickten eher auf Lateinamerika.
Wenn man die knapperen Mittel jetzt auf die großen Krisen konzentriere, bestehe die Gefahr, dass anderer Bedarf nicht mehr beachtet werde, kritisiert Verena Knaus vom Kinderhilfswerk UNICEF in Berlin. "Die fünf größten Krisen allein brauchen fünf Milliarden Euro jährlich, aber es gibt viele andere unbeachtete Krisen. In Burkina Faso zum Beispiel sind nur sechs Prozent des Bedarfs an humanitärer Hilfe wirklich gedeckt."
Zustimmung und Kritik
Die Strategie des Auswärtigen Amtes, lokale Hilfsorganisationen besser einzubinden und einfacher zu finanzieren, trifft auf die Zustimmung von Grace Mumo Muema. Sie organisiert humanitäre Hilfsprojekte in Somalia mit Unterstützung aus Deutschland. "Die Stärkung lokaler Strukturen ist entscheidend. Sie verstehen die Zusammenhänge und die Kultur vor Ort viel besser", erklärt sie per Videoanruf aus Nairobi. "Deshalb ist es für die Geber effizienter, diese lokalen Organisationen direkt zu finanzieren."
Der "Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen" (VENRO) kritisiert die Halbierung der Hilfsgelder jedoch scharf. "Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind kein nice-to-have, sondern die wirksamsten Mittel, die Deutschland hat, um globalen Krisen etwas entgegenzusetzen", sagt VENRO-Geschäftsführerin Asa Mansson.
Einige Hilfsorganisationen warnen davor, die humanitäre Hilfe mit Migrationspolitik oder anderen außenpolitischen Zielen zu vermischen. Die Hilfe müsse sich am Bedarf der betroffenen Menschen orientieren, nicht am politischen System, in dem sie lebten. Natürlich werde man sich weiter an humanitäre Grundsätze halten, hieß es dazu von Diplomaten im Außenministerium. Trotzdem halte man auch ein Auge auf die politischen Interessen Deutschlands. Humanitäre Hilfe fände nicht im luftleeren Raum statt. Besonders schwer sei die Hilfe zum Beispiel derzeit in Afghanistan zu organisieren, weil es keine direkten Kontakte mit den Taliban-Machthabern gebe.