"Deutscher Hip-Hop groovt"
15. Februar 2006Als Amerika zu Beginn der 1980er Jahre schon munter rappte, surfte Deutschland noch auf der "Neuen Deutschen Welle". Erst mit der Kommerzialisierung der amerikanischen Rapmusik wurde Hip-Hop zum Exportschlager der USA. Und gelangte schließlich auch nach Deutschland.
"Was in Deutschland von Anfang an dominierte", erinnert sich Murat Güngör, Autor und deutscher Rapper, "das war der Breakdance. Er hat Leute aus ganz verschiedenen Klassen erreicht." Die wüsten Bewegungen des Breakdance waren für die deutschen Kids revolutionär. "So etwas kannte man nicht aus den Tanzschulen", erklärt Murat Güngör.
Breaken, Sprayen und Rappen
Daneben fand die Hip-Hop-Kultur auch via Kino-Leinwand immer mehr Anhänger in der deutschen Jugend. Der Doku-Film "Wild Style" beispielsweise animierte immer mehr junge Deutsche zum Breaken, Sprayen und Rappen. Die deutschen Hip-Hopper fingen an, so genannte Jam-Sessions zu veranstalten. Das waren Partys in Jugendzentren oder Bürgerhäusern, von denen man nur per Mundpropaganda erfuhr. In einer Zeit ohne MTV und Viva waren die Jams wichtige Kommunikationsnetzwerke für die Rapper des Landes.
Musikalische Vorreiter der deutschen Hip-Hop-Szene war vor allem die Band "Advanced Chemistry". Mit ihren sozialkritischen Texten wollten die Heidelberger Rapper auf die Situation an den Rändern der Gesellschaft und auf die Probleme der deutschen Migranten aufmerksam machen. "Gleichzeitig aber waren die Mitglieder auch sehr kreativ im Umgang mit der Sprache", betont Murat Güngör.
Deutsch statt Englisch
Da Sprache beim Rappen im Mittelpunkt steht, ist sie ein ganz besonderer Aspekt in der Hip-Hop-Szene Deutschlands. Anfangs wurde auch in Deutschland nur auf Englisch gerappt. Rap war einfach amerikanisch, auch hier in Deutschland. Deutsch zu singen war verpönt: "Das galt als total uncool", erinnert sich Murat. "Viele haben gedacht: 'Das klingt doch nicht!'"
Diese pro-englische Haltung gab zuerst ein Mitglied von "Advanced Chemistry" namens Torch auf. Auf einer Jam-Party begann er, seine englischen Songtexte mit improvisierten deutschen Textstücken zu ergänzen. "Die Leute sind ausgeflippt: 'Das groovt, das ist der Wahnsinn!'", sagt Murat Güngör. Später haben "Advanced Chemistry" ihre Platte "Fremd im eigenen Land", die erst auf Englisch veröffentlicht wurde, auch auf Deutsch unters Volk gebracht. "Irgendwann hat es Klick gemacht bei den Rappern", meint Murat Güngör. "Sie wussten, dass die Leute viel mehr abgehen, wenn sie den Text verstehen!"
Spaltung der Hip-Hop-Community
Nach und nach etablierte sich Rap in der deutschen Gesellschaft. In den 1990er Jahren erlebte die deutsche Hip-Hop-Szene dann ihren eigentlichen Aufstieg. Immer mehr Rapper tauchten aus dem Untergrund auf. Doch mit ihnen kam es auch zur Spaltung der Hip-Hop-Community.
Auf der einen Seite waren die Mitbegründer des deutschen Hip-Hops. Murat Güngör nennt sie die "Fraktion der Dogmatiker". Sie bestanden auf eher politische Inhalte ihrer Songs und wollten sich abgrenzen von den neuen Deutschrappern, denen sie vorwarfen, Hip-Hop nicht ernst zu nehmen.
Auf der anderen Seite waren die Neulinge. Zu ihnen gehörte die Stuttgarter Band "Die Fantastischen Vier". Ihr Lied "Die da?!" kam 1992 als erste Deutschrap-Single überhaupt in die Top Ten der Charts. Die "Fanta Vier" haben die deutsche Rapmusik in den Augen vieler Kritiker erst hoffähig gemacht und ihr kommerziell zum Durchbruch verholfen.
Neue deutsche Reimkultur
Doch genau deshalb sorgten sie in weiten Teilen der Rapszene für Aufruhr und Ablehnung. Sie rappten mit ihren deutschen Texten, mit witziger und ironischer Sprache über banale, belanglose Dinge. Außerdem wurden sie von dem kommerziellen Plattenlabel Sony/Columbia verlegt: ein Tabu unter den Hip-Hoppern der Zeit. Trotz dieser Kritik konnte sich der Hip-Hop à la "Die Fantastischen Vier" in Deutschland etablieren. Zu dieser "Neuen Schule" gehörten auch Gruppen wie "Fettes Brot" oder "Der Tobi und das Bo".
Den Erfolg des deutschen Raps erklärt Murat Güngör auch mit einer Entwicklung, die mit dem Fall der deutschen Mauer begonnen hatte: das Bedürfnis nach nationalen deutschen Kulturprodukten. In Kunst, Film, Literatur - und eben auch Musik. "Das war dann eben die 'Neue deutsche Reimkultur'", erklärt er.
Aggro Rap
Im Kontrast zu dieser eher lockeren Form des deutschen Hip Hops der 1990er Jahre steht ein Trend, der sich aktuell in der deutschen Rap-Szene etabliert: Immer mehr Bands, meist bei dem Label "Aggro Berlin" ansässig, lassen mit einem extrem harten Stil aufhorchen. Rapper wie Sido oder Bushido kommen mit oft schonungslosen und Gewalt verherrlichenden Texten bei deutschen Hip-Hop-Fans gut an. Allerdings nicht bei der Bundesprüfstelle: Inzwischen wurden mehrere Songs wegen ihrer jugendgefährdenden Inhalte auf den Index gesetzt.