Deutscher Bau-Boom in Übersee
3. Februar 2005Wochenlang hatte die Firma ums Überleben gekämpft, hoffte auf eine letzte Chance der Gläubiger – vergeblich. Das drittgrößte deutsche Bauunternehmen Walter-Bau musste am 1. Februar Insolvenz anmelden. Die Banken wollten keine neuen Kredite bewilligen. Zwei Jahre zuvor musste der Bauriese Holzmann den Gang zum Insolvenzgericht antreten. Die Pleiten der größten deutschen Bauunternehmen machen es deutlich: Die Bauindustrie in Deutschland steckt in der schwersten Krise der Nachkriegszeit.
Die Krise begann Mitte der neunziger Jahre
Und diese Krise ist hausgemacht. Nach der Wiedervereinigung wurden Bauprojekte in den neuen Bundesländern hoch subventioniert, neue Bauunternehmen schossen aus dem Boden. Die Branche konnte Spitzenumsätze verbuchen, nahezu die Hälfte des gesamten Brutto Inlandsproduktes (BIP) wurde im Bausektor erwirtschaftet. Doch dann folgte das, was Experten "Bedarfsdeckung" nennen. Die Welle neuer Großprojekte war vorbei. Dazu kam die allgemeine Wirtschaftsflaute. "Die massiven Rückschläge waren zu erwarten", sagt Volker Russig vom IFO-Institut für Wirtschaftsforschung in München über die Situation Mitte der 1990er Jahre.
In Europa erlebt die Baubranche einen Boom
Doch der Blick über die Landesgrenzen zeigt: Während in Deutschland die Krise am Bau herrscht, erlebt die Branche anderswo einen wahren Boom. "Es läuft überall in Europa signifikant besser als in Deutschland", resümiert Volker Russig. Das europäische Zugpferd ist Großbritannien. Nirgendwo sonst sind private Haushalte so "baufreudig" wie auf der Insel und sorgen damit für gewaltige Umsätze. Knapp 200.000 Häuser wurden im Jahr 2004 gebaut. Und angesichts knapper Immobilien seien immer noch 70.000 zusätzlich pro Jahr notwendig, sagen Experten. Der britische Wirtschaftsaufschwung macht es möglich, Strukturreformen wurden hier schon vor Jahren durchgeführt. Jetzt erntet das Land die Früchte.
Die USA erleben kräftigen Bau-Aufschwung
In den USA brach der Baumarkt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ein. Die allgemeine Verunsicherung zog die Wirtschaft nach unten – und das bekam die Bauindustrie deutlich zu spüren. Allen voran waren private Haushalte bei Bau-Investitionen zurückhaltend geworden. Dazu trug auch die zum Teil hohe Verschuldung amerikanischer Haushalte bei. Das hat sich geändert. Das Bauvolumen im Jahr 2003 stieg um 5,1 Prozent, in den ersten zehn Monaten 2004 sogar um neun Prozent. Die zur Zeit niedrigen Zinsen sind die Hauptursache für den größten Bau-Boom seit Jahrzehnten, sagt Steffen Ehninger von der Bundesagentur für Außenwirtschaft (BFAI) in Köln.
Deutsche Baufirmen trumpfen im Ausland
Um der Krise zu Hause zu entkommen, suchen deutsche Baufirmen verstärkt die Beteiligung an Großprojekten im Ausland. Das bringt Geld und Prestige. Die USA, Australien, Südostasien – diese großen Wachstumsregionen sind die neuen Betätigungsfelder.
"Deutsche Bau-Unternehmen im Ausland genießen einen hervorragenden Ruf", sagt Steffen Ehninger, "in Australien schmeißt die deutsche Bauindustrie knapp ein Viertel aller Umsätze." Dort ist vor allem das deutsche Bau-Großunternehmen Bilfinger Berger aktiv.
Und nicht nur dort. In Taiwan ist die Firma – die Nummer zwei in Deutschland – mitbeteiligt am Bau der Taiwan High Speed Rail, einer neuen Hochgeschwindigkeits-Strecke. Für 1,3 Milliarden Euro bauen die Deutschen 80 Kilometer Schiene in schwierigstem Gelände. Für die technische Höchstleistung stach das Unternehmen alle anderen Bewerber aus. Zudem plant Bilfinger neue Projekte in Bangkok, Peking, Shanghai und Sydney.
Zugute kommt dem Unternehmen die lange Präsenz in diesen Ländern. Denn frühzeitig, schon in den 1980er Jahren, hat man die neuen Chancen der Globalisierung im Baugeschäft erkannt. Über Beteiligungsfirmen ist man in vielen Ländern der Welt präsent.
Doch bis die wirtschaftliche Gesamtsituation in Deutschland sich nicht verbessert, hält die Krise zu Hause an. "Es liegt nicht an schlechter Arbeit, sondern am schlechten Klima", fasst Steffen Ehninger zusammen. Eine Branche wartet auf den Aufschwung.