Sorge wegen Katalonien
9. Oktober 2017Die deutsche Wirtschaft zeigt sich beunruhigt über die Spannungen um die spanische Region Katalonien. Möglicherweise schon am Dienstag könnte die Unabhängigkeit der Region von Spanien ausgerufen werden. Führende spanische Banken haben bereits die Reißleine gezogen. So kündigte die Bank Sabadell am Donnerstag an, ihren Standort aus Katalonien heraus zu verlegen. Auch die Caixabank wird nach Medienberichten in Zukunft ihren Sitz nicht mehr in Katalonien haben, sondern von Valencia aus operieren.
"Die Situation in Spanien stimmt die deutschen Unternehmen besorgt", sagte der neue Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Holger Bingmann, der Nachrichtenagentur Reuters. Die politische Instabilität nach der Unabhängigkeitsabstimmung in Katalonien gefährde die Wirtschaft und habe Folgen für Investitionen. Auch die deutsche Wirtschaft bleibe von den Unsicherheiten nicht unberührt. Katalonien sei eine der wirtschaftsstärksten Regionen Spaniens und spiele wegen seiner Lage am Mittelmeer und durch die Nähe zur französischen Grenze eine große Rolle im grenznahen Warenhandel Spaniens.
Ins gleiche Horn stieß der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. "Die politische Instabilität gefährdet unmittelbar die wirtschaftliche Entwicklung", sagte er. Spanien habe sich gerade von einer tiefen Wirtschafts- und Strukturkrise erholt. "Die im Raum stehende Ungewissheit, ob Katalonien weiter zu Spanien und damit auch zur Europäischen Union gehören wird, verunsichert deutsche Unternehmen". Auf die jüngste Eskalation würden die Unternehmen verstärkt mit Investitionszurückhaltung reagieren. Bei einer Abspaltung droht große Rechtsunsicherheit.
Keine Seite verärgern
"Wenn Unternehmen befürchten, dass sie dauerhaft in eine unklare rechtliche Lage kommen, werden viele diesen Standort verlassen", zitiert "Spiegel Online" den Ökonomen Eckart Woertz, Forschungskoordinator des Thinktanks Barcelona Centre for International Affairs. "Das kann ganz schnell gehen. An gleicher Stelle zitiert wird Albrecht Peters, der Präsident des in Barcelona ansässigen Kreises der deutschsprachigen Führungskräfte. Peters sagt: "Die Wirtschaft leidet schon jetzt unter erheblicher Rechtsunsicherheit. Seit dem Referendum bewegen wir uns auf unbekanntem Terrain."
Ein Sprecher von Siemens sagte zur drohenden Unabhängigkeit, diese Entwicklung sei für sein Unternehmen "noch weiter weg als der Brexit, und selbst da wissen wir nichts genaues". Vor Ort hielten sich die Unternehmen bedeckt, wie ein Sprecher der deutschen staatlichen Investitionsgesellschaft Germany Trade & Invest der Nachrichtenagentur AFP sagte: "Egal was sie machen, es wird die eine oder die andere Seite verärgern."
SEAT hält sich zurück
Die VW-Tochter SEAT hat ihren Hauptsitz in Martorell (Barcelona) und beschäftigt über 14.500 Mitarbeiter in ihren drei Produktionsstätten in Barcelona, El Prat de Llobregat und Martorell (alle drei in Provinz Barcelona). Sie produziert jährlich in Martorell über 449.000 Wagen der Marken SEAT und Audi (Q3) und exportiert gut 80 Prozent ihrer Fahrzeuge in mehr als 80 Länder. Die Firma ist nach eigenen Aussagen eines der wichtigsten Industrieunternehmen sowohl in Katalonien als auch in Spanien.
SEAT teilte auf DW-Anfrage mit, die Firma sei in Barcelona, Katalonien und Spanien tief verwurzelt, gleichzeitig ein international ausgerichtetes Unternehmen mit einer globalen Vision. Wörtlich hieß es: "Wie für viele andere Unternehmen ist ein stabil politisches Umfeld erforderlich, um weiterhin in Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Zuwachs zu investieren. SEAT beobachtet aufmerksam, wie sich die Lage entwickelt. Über mögliche Änderungen geben wir keinen Kommentar ab."
Wirtschaftlich wichtigste Region für Deutschland
Katalonien ist in Spanien die wirtschaftlich wichtigste Region für Deutschland. Knapp 1000 deutsche Firmen haben laut Regionalregierung eine Niederlassung in der nordspanischen Region. Insgesamt gibt es laut Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) etwa 1600 deutsche Unternehmen in ganz Spanien. Die umsatzstärksten Firmen mit einer Niederlassung in Katalonien sind die Volkswagen-Tochter Seat, die Chemiekonzerne Bayer und BASF sowie die Supermarktkette Lidl. Mehr als 400 katalanische Betriebe sind in Deutschland vertreten, vom Sekterzeuger Freixenet bis zum Tourismuskonzern Grupo Hotusa.
Deutsche Unternehmen haben Milliarden in Katalonien investiert. Allein 2013 waren es fast 900 Millionen Euro, die vor allem auf den Pharmasektor entfielen. 2014 kamen gut 200 Millionen Euro hinzu. 2015 waren es mehr als eine halbe Milliarden Euro, wovon fast ein Drittel auf den Lebensmitteleinzelhandel und mehr als 16 Prozent auf die Chemieindustrie entfielen.
Außenhandel floriert
Deutschland exportierte 2015 Waren im Wert von etwa 14 Milliarden Euro nach Katalonien, das entspricht fast 40 Prozent aller Exporte nach Spanien. Besonders gefragt waren Fahrzeuge.
Umgekehrt gehen rund zwölf Prozent der katalanischen Exporte nach Deutschland, was einem Warenwert von mehr als 7,5 Milliarden Euro entspricht. Nur Frankreich nimmt noch mehr Waren ab. Die Region liefert vor allem Fahrzeuge (39 Prozent), Geräte und Elektromaterial (6,5) sowie Kunststoffprodukte (6,3) nach Deutschland. Rund 2700 katalanische Unternehmen exportieren regelmäßig in die Bundesrepublik.
Folgen einer möglichen Unabhängigkeit für die deutschen Firmen
Durch die Abspaltung von Spanien würde Katalonien wahrscheinlich aus der Europäischen Union ausscheiden. Damit verlöre die Region den Zugang zum europäischen Binnenmarkt, der viele Vorteile für Unternehmen hat, etwa Zollfreiheit und Freizügigkeit innerhalb der EU. Dadurch drohen den Firmen zusätzliche bürokratische Hürden und Kosten. Wie stark es die Firmen treffen würde, kommt aber auf die zukünftigen Beziehungen eines katalanischen Staats zur EU an, die heute niemand vorhersehen kann.
Am Dienstag hatten katalanische Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen, der das Leben in der Region weitgehend lahmlegte. Trotzdem sind keine größeren Produktionsausfälle bei deutschen Unternehmen bekannt. Bei Seat etwa streikte nur eine Minderheit der rund 14.500 Mitarbeiter, wie eine Sprecherin mitteilte. Nur in einer Produktionslinie musste Seat die Arbeit für einige Stunden wegen fehlenden Nachschubs unterbrechen. Eine Sprecherin von BASF sagte, dass es nicht zu Produktionsausfällen gekommen sei.