Deutsche Weihnachtsgeschichte
23. Dezember 2017Die deutsche Festkultur, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelte, brachte ein Symbol hervor, ohne das das Fest inzwischen nicht mehr denkbar ist: den festlich geschmückten Weihnachtsbaum. "Um den Weihnachtsbaum als zentrales gestalterisches Element kommen wir, solange es die Menschheit gibt, nicht herum", vermutet der Historiker und Archäologe Peter Knierriem. Mehr noch - er prognostiziert, dass sich die Baumkultur auch in Regionen etablieren wird, die mit Weihnachten traditionell nichts zu tun haben.
Knierriem arbeitet hauptberuflich als Leiter des Museums Schloss Rochlitz in Sachsen und beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren ausführlich mit der weihnachtlichen Festkultur. Fundstücke seiner umfangreichen Sammlung präsentierte er im Osterzgebirgsmuseum Schloss Lauenstein, rund 40 Kilometer südlich von Dresden.
Deutsche schmücken Bäume seit dem Mittelalter
Es sei eine junge Tradition, wie die Deutschen heute Weihnachten feiern, sagt der Historiker im Gespräch mit der DW. Der geschmückte Weihnachtsbaum, heute aus keinem deutschen Wohnzimmer mehr wegzudenken, tauche erst im frühen 15. Jahrhundert auf. Damals seien es die Handwerkszünfte gewesen, die einen Baum mit essbaren Dingen behangen hätten. "Bei Umzügen wurden diese Bäume mit viel Lärm und Getöse durch die Straßen getragen."
Vor 200 Jahren dann, während der Biedermeierzeit, wurde es üblich, ein Holzgestell, das einem Baum nachempfunden war, mit Buchsbaumzweigen zu schmücken. "Hinter all diesen Bräuchen steht der Wunsch, mit immer grünen Zweigen, der kalten, lebensfeindlichen Jahreszeit zu trotzen und der Hoffnung auf neues Leben Ausdruck zu verleihen", so Knierriem.
Siegesfeier unterm Weihnachtsbaum
In die Weihnachtsstuben kam der beleuchtete Baum erst im 19. Jahrhundert. Sein Siegeszug begann 1870 mit dem Deutsch-Französischen Krieg, weiß der Historiker. "Damals feierte König Wilhelm, der spätere Kaiser, in Versailles unter dem Weihnachtsbaum den Sieg über Frankreich. Wenn der König das macht, muss es was Gutes sein, sagte sich das Volk und eiferte ihm nach." Danach wurde der Weihnachtsbaum immer mehr zum Mittelpunkt der familiären Weihnachtsfeier. Nach den Wohnzimmern des Bürgertums eroberte er auch die Stuben einfacher Schichten.
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, machte er auch vor den Christbäumen nicht halt: Sie wurden patriotisch geschmückt, so Peter Knierriem: "Da ist das gesamte Waffenarsenal des Ersten Weltkriegs als Baumschmuck in Form von Glasanhängern zu finden: Flugzeuge, Granaten, Seeminen oder Schlachtschiffe."
Tradition des Schenkens entwickelte sich im 20. Jahrhundert
Die Tradition des Schenkens allerdings kam später. Sie habe zunächst sehr bescheiden begonnen, erzählt Tanja Roos, promovierte Historikerin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte: "Zwischen 1900 und dem Zweiten Weltkrieg (1939) waren die Geschenke für Kinder eher klein: selbstgestrickte Puppen und einfache Kartenspiele, Bälle, Bücher, Holzspielzeug. Angestoßen durch die Militarisierung gab es rund um den Ersten Weltkrieg bereits Kriegsspielzeug für Kinder wie Zinnsoldaten oder Spielzeuggewehre."
Für ihr Buch "Alle Jahre wieder? Weihnachtliche Konsumstrukturen im Wandel" (Tectum Verlag) hat Tanja Roos die akribisch geführten Haushaltsbücher einer Kölner Familie analysiert, die einen Zeitraum von 60 Jahren umfassen.
"Von den Beträgen her hielt sich der Wert der Geschenke sehr in Grenzen", erzählt sie im DW-Interview. "Die großen Posten waren notwendige Artikel wie Kleidung oder auch Ausgefallenes wie die noch seltenen Südfrüchte."
Umdeutung in der NS-Zeit: "Jultanne" statt Christbaum
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten schlich sich die Politik dann auch in die traditionelle Weihnachtskultur ein. Das Fest wurde für ideologische Zwecke missbraucht. "Es ging den Machthabern darum, den christlichen Gedanken aus der Festkultur herauszulösen, denn deren Ideologie ließ sich nicht mit dem Christentum in Einklang bringen", so Historiker Peter Knierriem.
So versuchten die Nationalsozialisten etwa, germanische Bräuche wiederzubeleben. Aus dem Christfest sollte das "Julfest" werden, dass in Nordeuropa zur Wintersonnenwende gefeiert wurde. Den Christbaum nannten sie dementsprechend "Jultanne". Die christlichen Symbole Kreuz und Weihnachtsstern wurden durch das Hakenkreuz und das germanische Sonnenrad ersetzt.
Weihnachten im Krieg
"Die ersten Kriegsweihnachten waren ein Element, mit dem die Propaganda gut umgehen konnte", erläutert der Historiker aus Sachsen. "Sie appellierte an das Zusammengehörigkeitsgefühl im Volk." 1943 sei die Produktion von Christbaumschmuck allerdings eingestellt worden, fährt er fort. "Kriegsweihnacht ist immer noch ein propagandistisches Element, aber der normale Bürger hat längst seine eigene Meinung, wenn er zum Fest mit einem einzelnen Tannenzweig im Bombenkeller sitzt."
"Tristesse habe in den letzen Kriegsweihnachten auch unter dem Baum geherrscht, sagt Historikerin Tanja Roos. Die meisten Dinge des täglichen Gebrauchs seien gar nicht oder nur schwer zu organisieren gewesen. "Ersatzlebensmittel" wie Malzkaffee und Kunsthonig hätten zum Überleben beigetragen. In dieser Zeit des Verzichts und des Überlebenskampfes seien Geschenke Nebensache gewesen.
Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende können sich die meisten Deutschen eine Zeit des Mangels gar nicht mehr vorstellen. Im 21. Jahrhundert ist Weihnachten vor allem ein Konsumfest geworden. Doch es gibt sie noch, die besinnlichen Momente: vor allem dann, wenn sich die Familie vorm geschmückten Tannenbaum versammelt und Weihnachtslieder singt.