Unternehmer in Wartestellung
8. Juli 2013Beim Automobilzulieferer Leoni liegen die Krisenpläne schon in der Schublade. Die Firma aus Nürnberg produziert Kabelsätze in drei ägyptischen Werken. Insgesamt 4500 Menschen arbeiten dort. "Wir beobachten genau, was passiert", heißt es aus der Konzernkommunikation. Seit dem Militärputsch gegen den Präsidenten Mursi (03.07.2013) herrscht auf den Straßen Kairos wieder der Ausnahmezustand. Auf Leoni haben sich die Spannungen jedoch noch nicht übertragen: "Bisher hat es keine Auswirkungen auf die Produktion gegeben", so ein Pressesprecher.
Rainer Herret, Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo, sieht die Situation relativ gelassen. Die deutschen Unternehmen hätten sich seit 2011 bereits an Demonstrationen und gewaltsame Auseinandersetzungen "gewöhnt". Die meisten dieser Firmen haben über Jahre hinweg in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter investiert. "Deswegen versuchen sie, den Personalstamm zu halten", so Herret. An Werksschließung oder Produktionsstopp denke deshalb bisher niemand.
Bikinis statt Wirtschaftspolitik
Insgesamt 700 deutsche Unternehmen sind in Ägypten tätig - vor allem in typisch deutschen Branchen wie der Automobilindustrie. Die meisten davon, wie auch Leoni, verkaufen ihre Waren nicht auf dem ägyptischen Markt, sondern exportieren sie in die ganze Welt. Problematisch sei die unsichere Lage vor allem für Unternehmen, die in Ägypten investieren wollen, so Herret. "Das ist ein ganz klares Investitionshemmnis. Wenn die Unternehmen nicht wissen, in welche Richtung die Wirtschaftspolitik geht, werden sie auch die Finger davon lassen."
Das Bruttoinlandsprodukt des Landes wird dieses Jahr laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nur um zwei Prozent wachsen. Die Inflation hingegen könnte im kommenden Jahr schon 14 Prozent betragen, nachdem die Verbraucherpreise bereits 2012 um rund acht Prozent gestiegen sind. Das Land ist zudem stark verschuldet und auf ausländische Kredite angewiesen. Die Börsen reagierten auf den Putsch mit einem kleinen Feuerwerk - um mehr als sieben Prozent stiegen die Kurse.
Glaubt man Rainer Herret, ist die Wirtschaft während der einjährigen Amtszeit Mursis in einen absoluten Tiefschlaf gefallen: "Es hat sich nichts geöffnet, man hat nichts gegen Korruption unternommen. Die Diskussion hat sich vielmehr darum gedreht, wie man Bikinis an Stränden verbieten und den Konsum von Alkohol regeln könnte." Unternehmer hätten dabei nur den Kopf geschüttelt.
"Ägypten muss sich weiter öffnen"
Der deutsche Unternehmer Hans Dilthey hat derweil ganz andere Probleme - täglich bekommt er Anfragen, ob der schon gebuchte Tauchurlaub jetzt überhaupt noch sicher ist. Seit zwölf Jahren arbeitet Dilthey in Ägypten, hat mittlerweile mehrere Tauchschulen mit insgesamt fast 100 Mitarbeitern. Er versucht, seine Kunden zu beruhigen. Seit dem 09.07.2013 warnt sogar Deutschlands Außenministerium offiziell vor Reisen nach Ägypten. Die Tauch- und Touristengebiete am Roten Meer sind von der Warnung allerdings explizit ausgenommen.
Seit dem arabischen Frühling sind die Urlaubsbuchungen kontinuierlich zurückgegangen. "Die momentanen Bilder von brennenden Autos sind für unsere Branche nicht besonders hilfreich", sagt Dilthey. Weil er mit seinen Tauchschulen auf Stammkunden setzt, konnte er der Tourismuskrise die Stirn bieten - bisher.
Nur die Treibstoffprobleme und massiven Stromausfälle in den letzten Wochen der alten Regierung seien ärgerlich gewesen. Das Geschäft in den Touristenorten habe das aber nicht beeinträchtigt. Von einer neuen Regierung wünscht sich Dilthey endlich Planungssicherheit. "Das Land braucht Investoren, und dafür reichen billiges Land oder günstige Arbeitsplätze nicht allein, dafür braucht es Rechts- und Investitionssicherheit."
AHK-Geschäftsführer Herret kann das nur unterschreiben. Er fordert vor allem einen Abbau der insgesamt über 5000 nicht-tarifären Handelshemmnisse. "Da ist noch sehr viel Protektionismus im Spiel, und das behindert natürlich den Absatz für deutsche Unternehmen."
Die deutschen Exporteure dürften sich aber auch nicht beschweren, denn immerhin sei in den ersten drei Monaten dieses Jahres sogar noch ein Zuwachs erzielt worden. "Das läuft noch ganz gut, aber da ist eben noch viel mehr Potenzial, wenn sich Ägypten mehr öffnen würde", so Herret. Davor müssen die Ägypter aber eine noch viel größere Aufgabe stemmen: Sie müssen bestimmen, wer sie überhaupt regieren soll.