Blutgeld und Wiedergutmachung
17. Juli 2015Mai 1945: Das deutsche NS-Regime kapituliert bedingungslos. US-amerikanische, sowjetische und britische Truppen besetzen Deutschland. Millionen Menschen sind heimatlos, Flüchtlingsströme ziehen von Ost nach West. Die Alliierten beginnen, Deutschland politisch und geographisch neu zu ordnen. Auf der Konferenz von Potsdam, die vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Potsdamer Schloss Cecilienhof stattfindet, beraten sie über das weitere Vorgehen. Die USA setzen das Prinzip der Reparationsentnahme auf Zonenbasis durch: Danach soll jede Besatzungsmacht ihre Reparationsansprüche aus der eigenen Zone abdecken. Die Höhe der deutschen Zahlungen wird nicht festgelegt.
In der sowjetisch besetzten Zone werden in einer Boden- und Industriereform die Großgrundbesitzer enteignet und alle größeren Industriebetriebe verstaatlicht. Die Demontage von Industrieanlagen erfolgt im Osten sehr viel intensiver als in den Westzonen. Bis 1953 büßt die DDR rund 30 Prozent ihrer industriellen Kapazitäten ein. "Das hing damit zusammen, dass die Deutschen in der Sowjetunion ungeheure Zerstörungen angerichtet hatten und es dort einer umfangreicheren Kompensation bedurfte", so Manfred Görtemaker, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.
Weitgehender Verzicht auf Reparationszahlungen
Die Westmächte hingegen brauchen die Bundesrepublik als Verbündeten im Kalten Krieg. Wirtschaftlich und politisch soll Deutschland eine Art Bollwerk gegen den Kommunismus werden. Denn nach dem Ende der Potsdamer Konferenz wird vor allem eines deutlich: Die Allianz der Siegermächte ist rasch in erbitterte Konfrontation zwischen Ost und West umgeschlagen.
Im Pariser Reparationsabkommen von 1946 einigen sich die westlichen Siegermächte darauf, wie sie Reparationen unter sich verteilen wollen. Zudem legte man deutsche Wiedergutmachungs-Verpflichtungen fest, um Flüchtlinge und Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu entschädigen. Eine Gesamtsumme der Reparationen nennt der Vertrag allerdings nicht. "Die USA hatten die Erfahrung der Reparationsproblematik nach dem Ersten Weltkrieg vor Augen", so Historiker Görtemaker. Damals war die deutsche Wirtschaft über einen langen Zeitraum hinweg nicht mehr auf die Beine gekommen - am Ende hatte der Aufstieg Hitlers gestanden. "Daher waren die Amerikaner und im begrenzten Maße auch die Briten der Meinung, dass man auf Reparationen weitgehend verzichten müsse, um den Deutschen den wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu ermöglichen."
Um diesen wirtschaftlichen Aufstieg zu erleichtern, gibt US-Außenminister George C. Marshall im Jahr 1947 den Auftrag, einen Plan für die Wiederbelebung Europas auszuarbeiten. Bis 1952 stellen die USA den westeuropäischen Ländern 12,4 Milliarden Dollar zur Verfügung. Gut zehn Prozent davon gehen nach Westdeutschland.
Wiedergutmachungszahlungen an Israel
Mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 verpflichtet sich die Bundesrepublik zur Rückzahlung von Schulden, die sich nicht auf Folgen oder Schäden des Zweiten Weltkrieges beziehen, sondern auf Verbindlichkeiten aus der Vor- und Nachkriegszeit. Der Bundesrepublik gelingt es, die Schulden von ursprünglich 29 auf 14,5 Milliarden D-Mark zu drücken. Die deutsche Delegation erreicht zudem, dass die ehemaligen Kriegsgegner auch deutsche Forderungen an das Ausland anerkennen. Damit ist gewährleistet, dass Kredite in die aufstrebende Bundesrepublik fließen können. Das befördert den wirtschaftlichen Aufschwung, zumal die Kreditgeber ihre Märkte auch für deutsche Waren öffnen. Alle erdenklichen Ansprüche aus der Kriegszeit werden auf einen späteren Friedensvertrag vertagt.
Nur wenige Tage nach dem Londoner Schuldenabkommen verabschiedet der deutsche Bundestag ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel. Das jüdische Gemeinwesen erhält von der Bundesrepublik Warenlieferungen im Wert von drei Milliarden D-Mark - umgerechnet etwa 1,5 Milliarden Euro. Die Jewish Claims Conference bekommt 450 Millionen D-Mark. Zudem zahlt Deutschland bis zum Jahr 2000 rund 83 Milliarden D-Mark an ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Insassen.
Mit dem Londoner Schuldenabkommen und der Wiedergutmachungsvereinbarung mit Israel hatte Kanzler Adenauer vor allem ein politisches Ziel im Auge: Deutschlands Westintegration voranzutreiben und das Land als verlässlichen Schuldner gegenüber dem Ausland zu präsentieren.
"Anstatt eines Friedensvertrags"
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es zunächst keinen Friedensvertrag, in dem Reparationsleistungen geregelt werden können. Deutschland ist geteilt und unter alliierter Verwaltung. Als 1989 die deutsche Wiedervereinigung Wirklichkeit wird, versuchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, zu verhindern, dass die Reparationsfrage aufgeworfen wird. Kohl fürchtet Reparationsforderungen aller 62 Staaten, die mit Deutschland einst im Kriegszustand waren. Im "Zwei-plus-Vier-Vertrag" genanntem Abkommen, das die Einheit und Souveränität Deutschlands herstellt, setzt er sich durch: Reparationen werden darin nicht erwähnt. Um möglichen Reparationsforderungen einzelner Staaten nicht nachkommen zu müssen, wird die Sprachregelung "Anstatt eines Friedensvertrags" getroffen.
Das Thema schien begraben, bis die griechische Regierung 2015 die Reparationsfrage wieder ins Spiel bringt: Knapp 280 Milliarden Euro schulde Deutschland den Griechen, so der griechische Vizefinanzminister Dimitris Mardas. Die Bundesregierung lehnt die Forderungen bis heute ab. "Wenn Griechenland 300 Milliarden fordert, was könnte dann Russland fordern? 100 Billionen?" fragt der Freiburger Historiker Ulrich Herbert. Denn die Sowjetunion war in viel stärkerem Maße von den Plünderungen und Verbrechen des NS-Staates betroffen. Förmliche Zahlungen an Griechenland würden vielfach höhere Ansprüche anderer Opfergruppen auslösen, die am Ende unbezahlbaren wären.