Deutsche Krisendiplomatie
6. Januar 2020Die Bundesregierung will zusammen mit ihren EU-Partnern eine Deeskalation im US-Iran-Konflikt erreichen. Kanzlerin Angela Merkel werde sich am Samstag auf Einladung des russischen Präsidenten mit Wladimir Putin im Kreml treffen, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert. Bei dem Treffen wolle die Kanzlerin über die "derzeit aufgebrochenen Konfliktherde im Nahen und Mittleren Osten" sprechen.
"Russland ist ein wichtiger Akteur auf der Weltbühne. Und als permanentes Mitglied des UN-Sicherheitsrats auch unverzichtbar, wenn es darum geht, politische Konflikte zu lösen", sagte Seibert. Insofern sei es naheliegend, dass sich die Kanzlerin mit Präsident Putin unterhalte. Mit dem irakischen Regierungschef Abdel Mahdi hat sie bereits telefoniert, ebenso mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Außenminister Heiko Maas, der mit nach Moskau reisen wird, plane zudem zeitnah ein Telefonat mit seinem iranischen Kollegen, sagte ein Außenamtssprecher. Die Europäer hätten Gesprächskanäle in beide Richtungen, fügte er mit Blick auf Washington und Teheran dazu. In den Gesprächen soll es neben dem Iran auch um die Eskalation in Libyen gehen.
Merkel hatte sich bereits am Sonntag sowohl mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als auch dem britischen Premierminister Boris Johnson beraten. Danach hatte das Trio in einer gemeinsamen Erklärung sowohl die USA, vor allem aber Iran zur Deeskalation aufgefordert.
Sowohl das deutsche Außen- als auch das Verteidigungsministerium reagierten zurückhaltend auf Forderungen, die Bundeswehrsoldaten aus dem Irak abzuziehen. Das irakische Parlament hatte nach dem US-Militärschlag gegen General Ghassem Soleimani eine Resolution verabschiedet, den den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Land fordert. Davon wäre auch die deutsche Ausbildungsmission mit 120 Soldaten betroffen.
Man sei mit der irakischen Regierung in Gesprächen, die Mission im Anti-IS-Kampf sei noch nicht abgeschlossen, so Seibert. "Wir müssen und werden auch jede Entscheidung, die die irakische Regierung mit Blick auf die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte im eigenen Land trifft, akzeptieren", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Entsprechend bereitet sich die Bundeswehr auf einen möglichen, raschen Rückzug aus dem Irak vor. "Wir prüfen derzeit alle Möglichkeiten, um wenn nötig die deutschen Soldaten reaktionsschnell zurückholen zu können", sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Er betonte aber, zunächst solle die weitere Entwicklung beobachtet werden.
"Wir warten die Entscheidung der irakischen Regierung ab", sagte der Sprecher. Er verwies darauf, dass das Votum des irakischen Parlaments, wonach alle ausländischen Truppen den Irak verlassen sollten, keinen bindenden Charakter habe. Derzeit werde auf diplomatischen Kanälen sondiert, wie es nun weitergehen solle. Zugleich werde "die Sicherheitslage sehr genau beobachtet".
Auch das Auswärtige Amt verwies auf laufende Konsultationen in dieser Angelegenheit. "Wir suchen jetzt das Gespräch mit der irakischen Regierung", sagte ein Sprecher. Er machte aber deutlich, dass die Bundesregierung einen Abzug der ausländischen Truppen aus dem Irak für falsch hielte. Die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) sei "bei weitem nicht besiegt, der IS stellt weiter eine ernste Bedrohung dar". Ein Abzug berge die Gefahr einer erneuten Destabilisierung des Landes. Ähnlich äußerte sich Merkels Sprecher.
Die Bundeswehr hat wegen der angespannten Lage im Irak bereits ihren geplanten Kontingentwechsel in dem Land vorerst ausgesetzt. Die derzeit dort stationierten gut 130 deutschen Soldaten bleiben zwar vorerst vor Ort, dürfen aber ihre Stützpunkte nicht verlassen. Die meisten der Bundeswehrsoldaten befinden sich im nordirakischen Kurdengebiet.
Die Grünen-Politiker Tobias Lindner und Omid Nouripour halten den Bundeswehr-Einsatz für nicht mehr rechtskonform. "Völkerrechtliche Grundlage eines solchen Einsatzes ist die Einladung des Gastgeberlandes", erklärten die beiden Abgeordneten. "Wenn ausländische Streitkräfte, also auch die Bundeswehr im Irak nicht mehr willkommen sind, müssen die Soldatinnen und Soldaten schnellstmöglich abgezogen werden."
Die Bundesregierung äußerte sich ebenso wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisch zu der Ankündigung des Iran, weitere Bestandteile des Atomabkommen nicht mehr einzuhalten. Regierungssprecher Seibert sprach "von einem weiteren falschen Schritt in die falsche Richtung". Das werfe schwerwiegende Fragen nach der Zukunft des Abkommens auf. Der Sprecher des Außenministeriums betont aber, dass dies nicht automatisch das Ende des internationalen Atomabkommens mit dem Iran sei. Außenminister Maas habe Borrell vorgeschlagen, das EU-Außenministertreffen vorzuziehen.
Dieses Krisentreffen soll nun am Freitag in Brüssel stattfinden. Die EU will nach den Worten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Gesprächskanäle in den Nahen Osten nutzen, um in dem Konflikt zu deeskalieren.
In Brüssel berieten die Botschafter der 29 NATO-Länder über die Lage im Irak. Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte anschließend, alle NATO-Staaten stünden hinter den USA. "Wir verurteilen gemeinsam Irans Unterstützung für eine Vielzahl verschiedener Terrorgruppen", sagte Stoltenberg. Die Mitglieder der Allianz hätten zu Zurückhaltung und Deeskalation aufgerufen.
"Ein neuer Konflikt wäre in niemandes Interesse", warnte Stoltenberg. "Der Iran muss die Gewalt und Provokationen stoppen." Alle Staaten des Bündnisses seien besorgt wegen der jüngsten "destabilisierenden Aktivitäten" des Irans in der Region. Stoltenberg nannte in diesem Zusammenhang Raketentests, Unterstützung für Terrorgruppen und den Angriff auf ein saudisches Ölfeld im September.
Die NATO bildet seit Anfang 2017 im Irak Sicherheitskräfte aus. Irakische Soldaten werden dabei insbesondere in der Entschärfung von Sprengsätzen, der Instandhaltung und medizinischer Versorgung geschult. Zudem berät die NATO das irakische Verteidigungsministerium und andere Sicherheitsbehörden.
Der Einsatz umfasste zuletzt rund 500 Soldaten, die meisten aus Kanada. Wegen der jüngsten Spannungen hatte die NATO die Ausbildung irakischer Soldaten am Wochenende bereits ausgesetzt.
stu/sti (rtr, afp, dpa)