"Spiel auf Zeit" im Völkermord-Prozess?
15. Oktober 2017Die Spannung ist erst einmal verpufft: Der für diese Woche angesetzte Gerichtstermin in den USA hat nicht statt gefunden, die Verhandlung wurde auf den 25. Januar 2018 vertagt. US-Anwalt Kenneth McCallion, der die Volksgruppen Herero und Nama in dem Fall vertritt, hatte das Bundesgericht in New York um weitere drei Monate Zeit gebeten. Als Grund gab er an, dass der deutschen Bundesregierung die Klage seiner Mandanten bisher nicht förmlich zugestellt werden konnte. "Die Getriebe der Regierung scheinen sich etwas langsamer zu drehen als wir gehofft hatten", sagte McCallion bei der Anhörung und sprach von Ironie, dass Deutschland zu dem Fall zwar Stellung bezogen, offiziell aber immer noch keinen Vertreter für das Verfahren bestimmt habe.
"Lösung durch Verhandlungen"
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt hatte die Klage schon im Juli mit der Begründung zurückgewiesen, dass sie den völkerrechtlichen Grundsatz der staatlichen Immunität verletze. Jürgen Zimmerer, Afrikanist an der Universität Hamburg, der sich seit Jahren mit der Thematik befasst, sagt: Die Klage sei vom Justizresort überhaupt nicht an das Auswärtige Amt weitergeleitet worden. Er formuliert klare Kritik an der deutschen Regierung: "Deutschland fährt eine zweigleisige Strategie", so Zimmerer. Das US-Gericht werde von der Bundesrepublik nicht anerkannt, deshalb seien deutsche Vertreter dort nicht erschienen. Man stelle sich auf den Standpunkt, nicht geladen gewesen zu sein. "Gleichzeitig hofft man auf eine Lösung mit der namibischen Regierung, damit es keinen moralischen Druck mehr gibt. Der bleibt aber bestehen". Man könne klar sagen, dass Deutschland jetzt auf Zeit spiele, um die Auseinandersetzung mit der Klage ins Leere laufen zu lassen. "Das ist ein Skandal", so Zimmerer.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es auf Anfrage der DW, die Bundesregierung führe mit der namibischen Regierung Gespräche über eine Aufarbeitung der gemeinsamen Kolonialvergangenheit. Diese verliefen im gegenseitigen Vertrauen und konstruktiv. Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung im Dialog um den Völkermord an den Herero und Nama, Ruprecht Polenz, sieht nach wie vor keine Dringlichkeit, deutsche Vertreter zum US-Gericht zu schicken. Deutschland wolle eine Lösung finden - aber nicht per Gericht, sondern durch Verhandlungen, so Polenz. Die Völkermord-Konvention von 1948 könne nicht rückwirkend angewendet werden. "Das steht nicht in der Konvention drin". Auch habe es damals kein Völkergewohnheitsrecht gegeben, über das jetzt Schadensersatz eingefordert werden könne. Die Bundesrepublik Deutschland, sagt Polenz, arbeite an der Lösung einer politisch-moralischen Frage mit der namibischen Regierung. "Wir sind da auf einem guten Weg".
Opfervertreter wollen beteiligt werden
Seit 2015 spricht die Bundesregierung mit Blick auf die vor über 100 Jahren begangenen Massaker an den Nama und Herero in der ehemaligen deutschen Kolonie von Völkermord. Seitdem verhandeln Namibia und Deutschland über die Aufarbeitung. Das frühere Deutsch-Südwestafrika stand mehr als 30 Jahre unter deutscher Kolonialherrschaft, die im Ersten Weltkrieg 1915 endete. Deutsche Soldaten sollen Anfang des 20. Jahrhunderts mehr als 80.000 Herero und Nama brutal ermordet haben. Die Verbrechen gelten als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts. Direkte Verhandlungen mit den Herero und Nama lehnen aber beide Regierungen ab. Das ist ein wunder Punkt für die Vertreter von Opfern der Gräueltaten, die auch Anfang des Jahres die Klage vor dem US-Gericht angestrebt hatten. Sie wollen auf diese Weise direkte Verhandlungen mit der deutschen Regierung erzwingen. Außerdem fordern sie Entschädigungen. Von bis zu 50 Milliarden Euro ist die Rede. Die namibische Regierung fordert um die 25 Milliarden. Rund 50 Teilnehmer aus Namibia, Botswana und Südafrika waren im New Yorker Gerichtssaal anwesend, um den Prozessbeginn dort aus nächster Nähe zu verfolgen.
Die Namibierin Esther Muinjangue verfolgte die Ereignisse von Berlin aus. Dort kämpft sie zusammen mit dem Verein 'Berlin Postkolonial' und anderen Partnern für Wiedergutmachung durch Deutschland. "Wir sind nicht enttäuscht, aber wir hätten erwartet, dass Deutschland mutig genug ist, vor Gericht zu erscheinen", kommentierte sie den vertagten Prozessbeginn in einem DW-Interview. "Wir haben 100 Jahre gewartet, da kommt es auf die nächsten fünf nicht an", sagt Muinjangue. Sie wolle weitermachen, bis die Gerechtigkeit siege.
"Spiel auf Zeit"
Auf den Vorwurf, Opfervertreter seien an den direkten Gesprächen zwischen Namibia und der Bundesrepublik bislang nicht beteiligt, sagt der Sonderbeauftragte Polenz: Die namibische Regierung habe auch Herero-Vertreter zu Rat gezogen, Repräsentanten beider Volksgruppen seien an der inhaltlichen Vorbereitung beteiligt. "Es ist ja nicht unsere Entscheidung, wie die namibische Regierung ihre Delegation zusammensetzt". Auch spreche die deutsche Regierung nicht von Reparationen, sondern von einem "Pakt für die besonders betroffenen Gebiete", so Polenz. "Wir schlagen praktische Schritte vor, um die Wunden zu heilen". Dazu zähle etwa die geplante Deutsch-Namibische Zukunftsstiftung. Neben Entwicklungshilfe wolle sich die Bundesrepublik künftig in Namibia auch bei der beruflichen Bildung, bei der Stromversorgung oder der Landreform engagieren.
Afrikanist Jürgen Zimmerer dagegen kritisiert grundsätzlich: Es werde an den Opfervertretern vorbei verhandelt, die Bundesrepublik spreche zwar inzwischen von Völkermord, aber "es gibt keine parlamentarische Anerkennung und es wurde keine Entschuldigung ausgesprochen".
Im Falle des vertagten Prozesses in New York habe nun das US-Außenministerium in der Hand, Vertreter der Bundesrepublik vorzuladen, so Zimmerer. "Doch die Trump-Regierung ist nicht gerade bekannt dafür, offen für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Rassismus und Kolonialismus zu sein".