Der polnische Großvater von Angela Merkel
28. März 2013Der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel fliegen die Herzen der Polen zu. Der Grund: Ihr Großvater Ludwig Kaźmierczak war Pole und soll 1918 als polnischer Soldat gegen die Deutschen gekämpft haben. So steht es in einer neuen Biografie über die Kanzlerin. Zur Zeit des Ersten Weltkriegs war Polen geteilt und als Staat nicht existent. Merkels Großvater setzte sich für die Wiederherstellung eines polnischen Staates ein.
Die Polen interessieren sich sehr für die Herkunft von Politikern. Doch nicht immer werden Entdeckungen so positiv aufgenommen wie bei Angela Merkel. Vor acht Jahren fanden polnische Medien heraus, dass der Großvater von Premierminister Donald Tusk in der Wehrmacht diente. Obwohl es sich um eine Zwangseinziehung handelte, brachte die Nachricht Tusk negative Schlagzeilen. Tusk verlor den Kampf um das Amt des Staatspräsidenten gegen seinen Konkurrenten Lech Kaczyński. In Deutschland hingegen ist der Umgang mit der Herkunft von Politikern entspannter. Öffentlich erkundigte sich die Kanzlerin beim jetzigen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, wie man den Namen ihres Opas richtig ausspreche.
Verstaubte Familiengeschichte
Merkels Großvater stammte aus Posen. Polnische Medien fanden jetzt sogar einen entfernten Cousin der Bundeskanzlerin: den Pensionär Zygmunt Rychlicki. Er wusste, dass es ferne Verwandte in Deutschland gibt. Aber dass darunter die deutsche Bundeskanzlerin ist, ahnte er nicht. Erst Mitte März, als die Medien über die polnischen Wurzeln von Merkel berichteten, hörte er den Namen "Kasner" und setzte die Puzzle-Stücke zusammen. Inzwischen fand er auch einen Brief von Merkels Vater wieder und einige Familienfotos, auf denen Ludwig Kaźmierczak, Merkels Opa, zu sehen ist.
Diese Aufnahmen sorgen in Polen für Aufsehen. Denn sie zeigen den Großvater der Kanzlerin in einer eleganten hellen Uniform. Für polnische Historiker ist damit klar, dass Kaźmierczak ein Soldat der polnischen Armee war, die im Ersten Weltkrieg an der Seite von Frankreich gegen Deutschland kämpfte. Das Foto soll im Frühjahr 1919 in Posen gemacht worden sein, kurz, nachdem Polen seine Unabhängigkeit als Staat zurückbekommen hatte. Ludwig Kaźmierczak kam damals gerade aus Nordfrankreich zurück, wo er in der Champagne gegen deutsche Truppen kämpfte. Er nahm seine deutschstämmige Verlobte Margarethe nach Posen mit. Später wanderten beide nach Berlin aus und änderten den polnischen Nachnamen "Kaźmierczak" in "Kasner", den Mädchennamen von Angela Merkel.
Der Duft der Mohnbrötchen
Cousin Rychlicki erinnert sich auch heute noch gut an den Großvater der Kanzlerin. Denn auch nach der Auswanderung blieb Familie Kasner mit dem polnischen Zweig der Familie in Verbindung. So besuchte er in den 1930er Jahren mit seiner deutschen Frau die Familie in Posen und auch umgekehrt gab es Gegenbesuche in Berlin. Trotz der Namensänderung, sagt Rychlicki, habe sich der Großvater von Merkel immer zu seiner polnischen Herkunft bekannt.
Eine sehr lebendige Erinnerung verbindet Rychlicki mit dem Jahr 1943. Zu dieser Zeit starb die Mutter und Ludwig kam zur Beerdigung nach Posen. Zygmunt Rychlicki war damals ein Kind. "Ich erinnere mich, dass Ludwig Kasner nicht in einer deutschen Uniform, sondern in ziviler Kleidung kam. Es war Krieg, aber er hat sich wie einer von uns verhalten". Rychlicki erzählt, dass der Gast zuerst in eine Bäckerei gegangen sei und für alle Mohnbrötchen kaufte. "Für uns Polen waren solche Waren damals unerreichbar", sagt Rychlicki. Ludwig Kasner war aber Deutscher und konnte sie kaufen. Noch heute kann sich Rychlicki an den wunderbaren Duft der Mohnbrötchen erinnern.
Unbekannte Verwandte
Später gab es noch Briefkontakt mit Horst Kasner, dem Sohn von Ludwig und Vater von Angela Merkel. "Er schrieb uns aus Templin und erzählte auch von seinen Kindern", erzählt Zygmunt Rychlicki. Unter anderem von seiner Tochter Angela, die Physik studierte. Aber erst nach den Medienberichten begriff Rychlicki, dass es sich um "diese" Angela handelt, die heute als mächtigste Frau der Welt gilt.
Egal wie locker die familiären Zusammenhänge heute sind, Zygmunt Rychlicki und seine Frau Denise fühlen sich von der unerwarteten Verwandtschaft mit der Kanzlerin geehrt. Dennoch haben sie nicht vor, sie zu kontaktieren, denn schließlich habe sie viele wichtige Dinge zu tun. Sollten aber Merkel oder ihr Bruder das Ehepaar Rychlicki irgendwann besuchen wollen, wären die Gäste herzlich willkommen.