Deutsche Journalistin Tolu bleibt in Haft
12. Oktober 2017Mesale Tolu hat zum Auftakt ihres Prozesses in der Türkei die gegen sie erhobenen Terrorvorwürfe klar zurückgewiesen. "Ich fordere meine Freilassung und meinen Freispruch", sagte die aus Ulm stammende Übersetzerin und Journalistin. "Ich habe keine der genannten Straftaten begangen und habe keine Verbindung zu illegalen Organisationen." Ihr und weiteren 17 Angeklagten wird Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation vorgeworfen. Der Der 32-jährigen Deutschen drohen nach Angaben ihrer Anwältin Kader Tonc bis zu 20 Jahre Haft.
Tolu kritisierte zu Prozessbeginn, dass sie seit mehr als fünf Monaten ohne Urteil in U-Haft gehalten werde. Auch ihr Ehemann sei in Untersuchungshaft. "Deswegen lebt mein Sohn, der eigentlich in den Kindergarten gehen müsste, seit fünf Monaten mit mir im Gefängnis", sagte sie. "Aus diesem Grund ist die Untersuchungshaft nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und für meinen Sohn zur Bestrafung geworden." Der zweijährige Sohn Tolus lebt mit der Mutter im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy. Wegen des Verfahrens wurde er am Montag vorläufig bei Freunden der Familie untergebracht.
Das Gericht lehnte den Antrag von Tolus Anwälten ab, ihre Mandantin bis zu einem Urteil auf freien Fuß zu setzen. Das Gericht beschloss am Ende des ersten Verhandlungstages die Freilassung von acht Angeklagten. Sechs weitere Angeklagte müssen nach dem Beschluss wegen "dringenden Tatverdachts" und "Fluchtgefahr" in U-Haft bleiben, darunter Tolu. Zudem sei die Beweisaufnahme noch nicht vollständig abgeschlossen.
Die acht Beschuldigten, deren Freilassung verfügt wurde, dürfen bis zu einem Urteil das Land nicht verlassen und müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden. Weitere vier der insgesamt 18 Angeklagten waren bereits vor Prozessbeginn unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden.
Mehrere Verteidiger kritisierten es als rechtswidrig, dass der Vorsitzende Richter in dem Prozess derselbe Richter ist, der schon im Ermittlungsverfahren die Untersuchungshaft verhängt hatte. Die Anwältin Ezgi Güngördü aus Tolus Verteidigerteam hatte vor der Entscheidung über die U-Haft beteuert: "Es steht fest, dass keine Fluchtgefahr bei meiner Mandantin besteht." Auch gebe es keine Verdunkelungsgefahr.
Den Angeklagten wird unter anderem die Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) vorgeworfen, die in der Türkei als Terrororganisation gilt und in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Die Anklage gegen Tolu stützt sich auf deren Teilnahme an vier Veranstaltungen und auf den Fund von einer Zeitschrift, die die Staatsanwaltschaft als Propagandamaterial wertet. Tolu war demnach auf MLKP-Demonstrationen und Begräbnissen von Aktivisten.
Tolu sagte, die Veranstaltungen seien weder verboten noch von der Polizei aufgelöst worden. Bei dem angeblichen Propagandamaterial habe es sich um eine legale Zeitschrift gehandelt, die "in jeder Buchhandlung" verkauft werde.
Tolu arbeitet als Journalistin und Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur ETHA, die in der Türkei nicht verboten ist. Sie machte in der Gerichtsanhörung deutlich, dass sie politische Motive hinter dem Verfahren vermutet. "Ich bin wegen meiner Übersetzungen für die ETHA ins Visier der Polizei geraten", sagte sie laut Verteidigung in dem Verfahren.
Die Bundesregierung fordert die Freilassung Tolus und von zehn weiteren Deutschen, die derzeit in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind. Dazu gehören neben Tolu der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner.
Tolus Vater Ali Riza Tolu sagte, er sei "enttäuscht" von der Bundesregierung und habe sich mehr Einsatz für seine Tochter erhofft. Seine Tochter sei eine politische "Geisel". Er wertete den Prozess gegen seine Tochter als Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken. "Die wollen die Presse verhaften, nicht meine Tochter. Sie ist eine Journalistin, keine Mörderin."
Deutschland tue alles, um Tolu "den Rücken zu stärken", sagte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) via "Bild". "Wir fordern ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Vor allem muss es jetzt schnell gehen, damit Mesale Tolu möglichst bald frei kommt." Nach Angaben des Auswärtigen Amts beobachtet auch eine Mitarbeiterin des deutschen Generalkonsulats in Istanbul Tolus Prozess. Deutsche Diplomaten stünden "auf allen Ebenen in ständigem Kontakt mit den Anwälten und natürlich mit der türkischen Regierung, um Verbesserungen zu erreichen", sagte eine Sprecherin in Berlin.
Linke-Fraktionsvize Heike Hänsel - die den Prozess als einzige Bundestags-Abgeordnete beobachtet - sagte, dass Tolu in Haft bleiben müsse, sei ein "reiner Willkürakt" und eine "Machtdemonstration auch gegen Deutschland". Tolu und andere Verhaftete seien "nichts anderes als Geiseln" des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Hänsel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich persönlich für die Freilassung deutscher Gefangener in der Türkei einzusetzen. "Da muss jetzt mehr Druck nachgelegt werden", sagte sie. "Die Kanzlerin muss das zur Chefsache machen."
Grünen-Chef Cem Özdemir forderte ein Einlenken der Türkei. "Eine Normalisierung des Verhältnisses zur Türkei kann es nicht geben, ohne dass die deutschen Geiseln in Freiheit kommen", sagte Özdemir der "Schwäbischen Zeitung". "Erdogan versteht nur die harte Sprache des Geldes und die müssen wir offenbar sprechen, um Mesale Tolu und den anderen zu helfen."
Die Verhandlung wird am 18. Dezember in Istanbul fortgesetzt. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, sagte, die Entscheidung, Tolus Haft zu verlängern, zeige erneut, dass von einer unabhängigen Justiz in der Türkei keine Rede sein könne. "Mesale Tolu muss frei gelassen werden."
stu/ww (afp, dpa, rtr)