Deutsche in Hongkong: "Sie wollen uns brechen"
7. August 2019Julia L., so nennen wir sie zu ihrem Schutz, ist in ihrem Hongkonger Apartment, als sie um 16 Uhr Ortszeit ans Telefon geht. Ihr Arbeitgeber, ein international-agierendes Unternehmen, hat seinen Mitarbeitern erlaubt von zu Hause aus zu arbeiten - wegen des Generalstreiks.
Dass dieser die Stadt und damit auch die Wirtschaft weitgehend lahm legt, sei das Ziel sagt L. "Der Streik soll die Regierung dazu zwingen den Menschen endlich zuzuhören und eine Lösung zu finden für ein Problem, das sie selber zu verantworten haben."
Regierungschefin Lam im Fokus der Demonstranten
Das "Problem" hat inzwischen viele Facetten und doch vor allem ein Gesicht, jenes von Regierungschefin Carrie Lam. Sie hatte ein Gesetz ins Spiel gebracht, das Auslieferungen nach China ermöglichen sollte. Das brachte viele Menschen in Hongkong so auf, dass sie auf die Straße gingen. Auch L. schloss sich den zunächst friedlichen Protesten an.
Die 33-Jährige ist in Deutschland geboren und dort aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in England, bis es sie 2010 nach Hongkong zog. Wegen der guten Karrierechancen, und ihrer Geschichte. Ihre Großeltern stammen aus Ningbo, einer Stadt im Osten Chinas.
Eine Geschichte zwischen China, Hongkong und Europa
Als dort der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg ausbrach, flüchteten diese nach Hongkong. Dort lernten sich ihre Eltern kennen, die wiederum als 20-Jährige zunächst nach Frankreich und dann nach Deutschland emigrierten um Geld zu verdienen. Heute lebt die ganze Familie wieder in Hongkong.
Dass L. die Demonstranten und ihre Forderungen nicht nur unterstützt, sondern sich sogar selbst aktiv an den Protesten beteiligt, ist ein rotes Tuch. "Ich versuche mit meinen Eltern nicht über das Thema zu sprechen", sagt sie. "Ihre Ignoranz macht mich wütend." Und ihre fehlende Empathie für beispielsweise politische Dissidenten, die dem Auslieferungsgesetz zum Opfer fallen könnten oder für Minderheiten die wegen ihrer Religion in China massiv unterdrückt werden.
Stattdessen säßen sie in ihrem klimatisierten Wohnzimmer und zeigten mit dem Finger auf den Fernsehbildschirm, wo die Protestierer gegen Tränengas und Gummigeschosse kämpften. "Meine Eltern denken, dass wir, die Demonstranten, einfach nur gerne Dinge kaputt machen und ansonsten nichts Besseres zu tun haben."
Übergriffe der chinesischen Mafia
Gerade die ältere Generation verstünde die rechtlichen Konsequenzen nicht, die ein Auslieferungsgesetz an China für die Menschen in Hongkong haben könnte. "Wir müssen deswegen jetzt für unsere Freiheit und unsere Rechte einstehen", sagt L. kämpferisch. Ihr Beitrag dazu ist die regelmäßige Teilnahme an Demonstrationen, die in den letzten Wochen weniger Teilnehmer als noch zu Beginn hatten, dafür aber immer brutaler geworden sind.
L. spricht vor allem von den Übergriffen im Hongkonger Stadtteil Yuen Long im Juli in mehreren U-Bahn-Stationen. Dort hatten mutmaßlich Mitglieder der berüchtigten Triaden, der chinesischen Mafia, mit Holzstöcken auf, so sagt es L., "jeden eingeprügelt". Darunter auch Schwangere.
Sie selbst ist nicht dabei gewesen, hat das Geschehen aber live im Fernsehen verfolgt und unzählige Videos gesehen. Diese großen Gruppen in ihren weißen T-Shirts, wie sie in die U-Bahn-Station eingefallen seien - das Alles hätte wie in einem Zombie-Film gewirkt.
Das Beschämendste aber sei die Reaktion der Polizei gewesen. "Die haben unzählige Notrufe bekommen, aber keinen angenommen." Erst zehn Minuten nachdem die weiß-gekleideten Triaden verschwunden waren, seien die Beamten aufgetaucht. Mehrere Dutzend Menschen, darunter auch freiwillige Helfer, sollen verhaftet worden sein. Ihnen könnten Haftstrafen von bis zu zehn Jahren drohen.
Statt Instagram nun über Tinder
Auch wenn sie sich noch immer sicher in Hongkong fühlt, seien viele Menschen vorsichtiger geworden, erzählt L.. Aus Angst davor, dass die Behörden ihre Adresse ausfindig machen könnten, nutzen viele ihrer Freunde kaum noch den sonst sehr beliebten, alternativen Taxi-Service Uber, wenn sie sich zu Demonstration treffen.
Statt Facebook und Instagram würden viele stattdessen Telegram nutzen, einer Alternative zum Messenger oder die Dating-App Tinder. "Es ist so ironisch, aber die Menschen, vor denen ich inzwischen am meisten Angst habe, sind Polizeibeamte. Wir haben komplett das Vertrauen in sie verloren."
Dasselbe gilt für Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam. Dass sie das Auslieferungsgesetz für "tot" erklärt hat, reicht L. und den anderen Demonstranten nicht. Sie wollen, dass sie den Gesetzesvorschlag offiziell zurückzieht und dann zurücktritt. So zwei der Bedingungen für eine Beendigung der Demonstrationen erklärt L. entschlossen. Außerdem sollten die inhaftierten Demonstranten freigelassen und eine unabhängige Kommission eingesetzt werden, die die exzessive Polizeigewalt in Yuen Long untersucht.
Statt diese zu verurteilen, habe beispielsweise Peking nur die Gewalt der Demonstranten angeprangert. "Wenn aber jemand schwarze Farbe auf ein Symbol der chinesischen Regierung kippt, dann gibt es einen Aufschrei."
Moralische Verpflichtung und Stolz
Dass einige ihrer Freunde die Anti-Haltung Pekings gegenüber den Demonstranten einnehmen, nämlich dass sie es seien, die Öl ins Feuer gießen, stört L. nicht so sehr. Viel schlimmer seien die, die weiterhin nur Party-Bilder in den sozialen Netzwerken posteten. "Ich poste auch Party-Bilder, aber ich äußere mich auch zu dem was aktuell passiert."
Menschen würden direkt vor der Tür zusammengeschlagen. "Es ist unsere moralische Verpflichtung, uns dagegen auszusprechen und etwas dagegen zu tun." Auch in den kommenden Tagen will die junge Frau wieder protestieren. Ganz in schwarz und mit viel Stolz. Ein baldiges Ende der Demonstrationen sieht sie nicht. Peking und die Regierung in Hongkong seien offenbar fest entschlossen, sie und alle die anderen Demonstranten zu "brechen". "Je mehr sie uns provozieren, desto provokanter werden wir vorgehen."