Gasvorräte: "Bei mildem Wetter dürfte es reichen"
24. Januar 2022Der Füllstand in deutschen Gasspeichern liegt derzeit unter 42 Prozent und damit ungewöhnlich niedrig. In Gazprom-Speichern in Deutschland ist es noch deutlich weniger. Ein DW-Interview über Energiereserven und Engpässe mit Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern e.V. (INES), dem Branchenverein der Betreiber deutscher Gas- und seit kurzem auch Wasserstoffspeicher mit Sitz in Berlin.
DW: Das internationale Interesse am Füllstand deutscher Erdgasspeicher war wohl noch nie so hoch wie gegenwärtig. Das liegt an der Sorge, dass es bis zum Frühling bei der Wärme- und Stromversorgung des größten EU-Landes zu Engpässen kommen könnte, denn die Reserven sind in diesem Jahr außergewöhnlich niedrig. Wie genau ist die Situation jetzt Ende Januar?
Sebastian Bleschke: Deutschland hat die weltweit viertgrößten Speicherkapazitäten für Erdgas, das ist sicherlich einer der Gründe, warum viele, besonders im EU-Binnenmarkt, jetzt auf die deutschen Speicher schauen. Sie sind momentan zu knapp 42 Prozent gefüllt. So niedrig waren die Füllstände zum jetzigen Zeitpunkt noch nie.
Aber dies ist ja nur ein Durchschnittswert! Können Sie bestätigen, dass der Füllstand in den großen Gazprom-Speichern in Deutschland auf nahezu siebzehn Prozent abgesunken sein soll, während die anderen Speicher noch zu etwa 50 Prozent gefüllt sind?
Die Gazprom-Gruppe betreibt in Deutschland Speicher über zwei Tochtergesellschaften: Astora und Erdgasspeicher Peissen, wobei letzterer ein Joint Venture mit der Firma VNG ist. In den drei von diesen beiden Tochterunternehmen betriebenen Speichern ist der Füllstand tatsächlich so niedrig.
Als Geschäftsführer von INES sind Sie zur Loyalität gegenüber allen Mitgliedsunternehmen verpflichtet, zu ihnen gehören sowohl Astora als auch Erdgasspeicher Peissen, einigen vielleicht besser bekannt unter dem Namen UGS Katharina. Daher die Frage nicht nach den Gründen, sondern nach den möglichen Folgen der entstandenen Situation. Werden die noch vorhandenen Mengen bis zum Ende der Heizperiode reichen?
Wir sollten stets das Gesamtbild vor Augen haben, denn die Mitgliedsstaaten der EU sind dank dem Bau verschiedener Gasleitungen in den vergangenen Jahren sehr gut miteinander vernetzt, und diese Pipeline-Infrastruktur erlaubt ein Zusammenspiel der einzelnen Märkte.
Laut einem Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2015 würde Deutschland zum 1.Februar für eine siebentägige beziehungsweise eine 30-tägige Kältewelle Füllstände von entsprechend 40 und 50 Prozent benötigen. In diesem Gutachten sind auch ein politischer Konflikt und der Ausfall jeglicher Gaslieferungen aus Russland innerhalb eines Monats bewertet worden. Für diesen Fall bräuchten wir einen Füllstand von 60 Prozent. Es ist offensichtlich: Wenn wir jetzt schon bei knapp 42 Prozent stehen und die Ausspeicherungen der letzten Tage sich fortsetzen, werden wir diese sogenannten Zielspeicherfüllstände nicht erreichen können.
Klammern wir mal politische Konflikte aus: Eine 30-tägige Kältewelle ist in Deutschland doch unwahrscheinlich, auch angesichts der fortschreitenden Erderwärmung.
Inwiefern solche Risikoszenarien eintreten können, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen, insbesondere zu politischen Konflikten bin ich nicht der richtige Ansprechpartner. Aber in der Tat: Mit dem Fortschreiten des Winters haben wir doch eher eine Entspannung bei den Temperaturen zu erwarten, aktuell ist das Wetter ja recht mild. Aber eine gewisse Unsicherheit bleibt.
Wird denn Erdgas in den Wintermonaten nur entnommen, oder können an Tagen mit relativ hohen Temperaturen die Speicher auch wieder etwas aufgefüllt werden?
Gerade zum Jahreswechsel, also zwischen dem 29.Dezember und dem 3. oder 4. Januar haben wir Einspeicherungen in den Anlagen gesehen, der Füllstand ist in diesem Zeitraum also leicht gestiegen.
Ist die öffentliche Wahrnehmung möglicherweise zu sehr auf den Füllstand der Speicher fixiert und das Versorgungsproblem daher übertrieben? Kann es nicht sein, dass die Energieunternehmen jetzt lieber verstärkt ihre Reserven anzapfen, um nicht das gegenwärtig sehr teure Gas am Markt zu kaufen, und einfach auf niedrigere Preise in einigen Wochen warten, unter anderem wegen zusätzlicher Mengen an Flüssiggas? Es gibt Meldungen von zahlreichen LNG-Tankern, die in Richtung Europa unterwegs sind.
Natürlich ist der alleinige Blick auf die Speicher nicht ausreichend, denn nicht nur sie gewährleisten die Erdgasversorgung. Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Wir sehen beispielsweise zurzeit eine außergewöhnliche Auslastung der europäischen LNG-Terminals. Allerdings haben die letzten Wochen wieder einmal gezeigt: Speicher spielen eine zentrale Rolle gerade bei der Winterversorgung. Somit sind und bleiben sie ein relevanter Faktor.
Selbst wenn das Wetter im Februar und März mild bleiben sollte: die Füllstände in den deutschen Gasspeichern werden am Ende diesen Winters wohl besonders niedrig sein. Wird die Zeit danach bis zur nächsten Heizsaison rein technisch gesehen reichen, um die Reserven wieder ausreichend aufzufüllen?
Ja, das zeigt auch ein Blick ins letzte Jahr. Wir hatten im Mai, zu einem recht späten Zeitpunkt, einen Füllstand von nur 26 Prozent, was im historischen Vergleich bereits sehr niedrig war. Trotzdem wäre es bei einer Auslastung der technische Kapazitäten möglich gewesen, im Laufe des Septembers noch einen Füllstand von mehr als 90 Prozent zu erreichen. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir selbst bei einem sehr niedrigen Füllstand am Ende dieses Winters die Gasspeicher bis zum nächsten Winter gut befüllen können.
Und wenn wir jetzt noch einmal auf die momentane Situation schauen: Wie stehen die Chancen Deutschlands, diesen Frühling doch noch ohne Versorgungsengpässe beim Gas zu erreichen?
Ich würde das so zusammenfassen: die Langfristverträge, wie wir von allen Seiten hören, werden eingehalten, die Füllstände der Speicher sind zwar historisch tief, was eine gewisse Unsicherheit erzeugt, aber die Temperaturen sind relativ mild, was zur Entspannung beiträgt. Insofern bin ich vorsichtig optimistisch - aber es ist sicherlich noch zu früh, um Entwarnung zu geben.
Das Interview führte Andrey Gurkov.