Deutsche Firmen in Taiwan auf Nachwuchssuche
15. Oktober 2013Steven Roan hat die freie Wahl, und er hat sich entschieden: "Ich will für ein deutsches Unternehmen arbeiten." Nach seinem Ingenieurstudium an Taiwans renommiertester Hochschule Taiwan National University hat der 24-jährige, Kurzhaarschnitt, Brille und sportliches Polohemd, beste Perspektiven: "Ich könnte morgen bei einer taiwanischen Firma anfangen." Stattdessen lernt er seit einem halben Jahr Deutsch. Am 8. Oktober ist er ins Deutsche Institut von Taipeh gekommen, um vielleicht seinen zukünftigen Arbeitgeber zu treffen.
Unter dem Porträt von Bundespräsident Gauck sucht sich Roan mit 70 anderen jungen Taiwanern einen Platz. Das Deutsche Institut, Träger ist das Auswärtige Amt, fungiert als "inoffizielle" Botschaft Deutschlands, denn die Bundesregierung hat keine diplomatischen Beziehungen mit Taiwan. Aber das ist den Teilnehmern, fast alle kurz vor oder nach dem Uni-Abschluss, an diesem Tag herzlich egal. Die Veranstaltung unter dem Motto "Triff den Chef" (Meet the CEO) soll ihnen die deutsche Unternehmenskultur näher bringen und sie vor Enttäuschungen bewahren. Denn nicht immer läuft alles glatt, wenn asiatische Angestellte in westlichen Unternehmen anheuern.
Klein, aber eine Wirtschaftsmacht
Mit nur 23 Millionen Einwohnern spielt Taiwan wirtschaftlich mehrere Klassen höher, als es seine Größe vermuten ließe. Das Land ist Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner in Asien, gleich nach Indien. Waren im Wert von fast sechs Milliarden Euro hat Deutschland 2012 auf die Insel exportiert und im Gegenzug für 6,5 Mrd. eingekauft. Neben Elektronik sind Chemie und Maschinenbau wichtige Industriezweige.
Auch wenn Taiwan wirtschaftlich wie politisch zunehmend im Schatten Chinas steht, sind mehr als 200 deutsche Unternehmen in Taiwan vertreten. Die meisten teilen eine Sorge: Qualifiziertes Personal ist schwer zu finden. Laut einer Umfrage des Deutschen Wirtschaftsbüros auf Taiwan bereitet die Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter deutschen Unternehmen die größten Kopfschmerzen. Die Probleme fangen schon damit an, dass Bewerber vernünftig Englisch sprechen sollten. Deutsch sei dagegen kein Muss, versichert Erdal Elver, Präsident von Siemens Taiwan, den Teilnehmern. Als einer von vier Firmenvertretern repräsentiert er auf der Veranstaltung Deutschland.
Deutsche Tradition kommt gut an
Was also ist typisch deutsch? Offenbar zunächst die Tradition. Schon in der Vorstellungsrunde bekommen die Taiwaner Verblüffendes zu hören: Die Firma Bosch besteht seit fast 130 Jahren, Bayer seit 150 Jahren, und Siemens zählt sogar schon mehr als 160 Jahre. So viel Kontinuität ist selten in Taiwan, wo Unternehmen eher in kürzeren Zeithorizonten denken. "Deutsche Firmen wirtschaften meist konservativ", beschreibt es Bernd Barkey, der bei Bosch Taiwan 850 Mitarbeitern vorsteht. "Es geht nicht ums schnelle Geld, und wir haben keine Hire-and-Fire-Mentalität."
Dass bei Bosch als Familienunternehmen auch keine Aktionäre auf Profit drängen, hören die jungen Taiwaner mit großem Interesse. Auch in ihrem Land sind die Wirtschaftswunderzeiten vorbei, Gehälter stagnieren, Berufseinsteiger bekommen meist nicht mal 800 Euro, einheimische Giganten wie der Handyhersteller HTC wanken. Da erscheint deutsche Solidität vielen eher attraktiv als langweilig.
Praktikanten sind selten in Taiwan
Exotisch klingt für Taiwaner der Tipp Nummer Eins, um in deutschen Unternehmen zu landen: Ein Praktikum. "Sie lernen etwas, und andere lernen Sie kennen", so bringt Erdal Elver die Vorteile auf den Punkt. In Taiwan wirbt Siemens mit seinen 610 Mitarbeitern Praktikanten neuerdings über Facebook an. Das Konzept muss sich noch herumsprechen. Taiwans Konzerne haben kaum Verwendung für Praktikanten, und die meisten Absolventen starten ohne praktische Erfahrungen ins Berufsleben.
Bislang haben die Taiwaner vor allem konzentriert zugehört. Keiner will vor der Gruppe als erster hervorstechen. "Wir sollten selbstbewusster auftreten", findet Zhou Xiaoyan. Die Umweltingenieurin hat an der TU Darmstadt promoviert. "Wenn wir Fragen haben, trauen wir uns oft nicht, sie zu stellen. Deutsche machen sich weniger Gedanken, ob es angemessen ist oder nicht, sie fragen einfach drauflos." Auch sei ihr in Deutschland aufgefallen, dass die Menschen direkter seien, mehr Kritik austeilten und auch erwarteten.
Generation Zukunft
Dass sich am Ende doch noch eine richtige Frage-Antwort-Runde entwickelt, freut Stefanie Eschenlohr, die mit dem DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) die Veranstaltung organisiert hat. "Taiwans junge Generation wird oft schlecht geredet, auch im eigenen Land. Aber die sollen sich das nicht einreden lassen. Das sind ganz tolle Leute."
Steven Roan will nach Abschluss der Diskussion noch die Bosch-Vertreter ansprechen. Ihn interessiert das Geschäft mit Netzwerk-Kameras. "Genau mein Fachgebiet", sagt er. Und Bernd Barkey verrät, seine Firma wolle in Taiwan dieses Jahr noch zehn bis 15 Leute einstellen. Der eine oder andere war an diesem Tag vielleicht schon dabei.