Deutsche Autoindustrie: Der Mythos bröckelt
30. November 2019Nachdem bereits der VW-Konzern und BMW einen drastischen personellen Aderlass angekündigt hatten, zog Daimler nun in den vergangenen Tagen nach. In der Ankündigung des Stuttgarter Premiumherstellers, seinen Stellenabbau voranzutreiben, sehen Experten allerdings nur den Auftakt für eine lange Durststrecke des wachtsumsverwöhnten Industriezweiges.
So rechnet der Verkehrswissenschaftler Ferdinand Dudenhöffer nach den angekündigten Stellenkürzungen bei mehreren Automobilkonzernen mit weiteren massiven Jobverlusten in der Auto-Branche. Dem Radiosender ffn sagte der Duisburger Professor, allein in Niedersachsen dürften bis 2030 bis zu 40.000 Stellen gestrichen werden. Insgesamt ergibt sich aus seinen Berechnungen demnach der Verlust von bis zu 125.000 Arbeitsplätzen in der deutschen Automobilwirtschaft.
Niedersachsen im Fokus
Von dem Strukturwandel in der Branche wäre Niedersachsen mit einem Anteil von 30 bis 35 Prozent besonders stark betroffen, sagte Dudenhöffer. Die Automobilindustrie ist dort die wichtigste Industriebranche. Rund 250.000 Beschäftigte sind direkt oder indirekt von der Kraftfahrzeugherstellung abhängig. Damit ist die Automobilindustrie der größte industrielle Arbeitgeber. Neben Platzhirsch VW sind auch MAN und der Zulieferer Continental betroffen.
Als Gründe für den Arbeitsplatzabbau nannte Dudenhöfer vor allem die aktuelle US-Zollpolitik gegenüber China sowie den weltweiten Umstieg auf Elektromobilität. Für die Herstellung von Elektroautos sind weniger Bauteile und damit auch weniger Beschäftigte notwendig als für Autos mit fossilem Verbrennungsmotor.Auch ein Getriebe wird nicht mehr benötigt.
"Verschlankung des Unternehmens"
Das Sparprogramm beim Autobauer Daimler wird in den kommenden drei Jahren weltweit mehr als 10.000 Arbeitsplätze kosten. Um wie geplant 1,4 Milliarden Euro beim Personal einzusparen, will der Stuttgarter Konzern in der Verwaltung vor allem freiwerdende Stellen nicht nachbesetzen, die Altersteilzeit ausweiten und Mitarbeitern Abfindungen anbieten.
Entsprechende Eckpunkte zur "Verschlankung des Unternehmens", wie Daimler es selbst formulierte, haben Konzernführung und Gesamtbetriebsrat ausgehandelt. Details sind noch rar, klar ist aber zumindest: Am Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2029 wird nicht gerüttelt. Vorstandschef Ola Källenius hatte die Sparpläne Mitte November schon einmal grob skizziert, als er Investoren in London seine Strategie für die kommenden Jahre erläuterte.
Aus Sicht des Konzerns ist das Personal - gut 178.000 Menschen allein in Deutschland - schon ganz grundsätzlich zu teuer, was die Wettbewerbsfähigkeit schmälert. Zugleich muss Daimler das nötige Geld zusammenbekommen für Investitionen in Zukunftsthemen wie die Elektromobilität oder das autonome Fahren - und das zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die weltweite Autokonjunktur lahmt, es gab Produktions- und Absatzprobleme, zudem musste der Konzern zuletzt Milliardensummen vor allem für seine Diesel-Altlasten zurücklegen. Auch die Einhaltung der strenger werdenden Vorgaben der EU für den Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) der Neufahrzeuge kostet viel Geld.
Zulieferer unter Druck
Und wenn bei den Autobauern die Bilanz nicht stimmt, hat das auch Auswirkungen auf die Zulieferer. So streicht Bosch etwa 500 Stellen. Bei Continental werden weltweit sogar rund 20.000 Jobs gestrichen. Das Unternehmen reagiert mit dem Umbau nach eigenen Angaben auf den Rückgang der Automobilproduktion und die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt. Ein weiterer Grund sei der Technologiewandel im Antriebsbereich, der durch verschärfte Abgasgesetze beschleunigt werde. Mit dem Umbau will Conti seine jährlichen Kosten um 500 Millionen Euro senken, berichtet der MDR.
cgn/rb (afp, dpa, mdr, niedersachsen.de)