Deutsch studieren in Erbil
21. Januar 2013Erbil, Hauptstadt von Irak-Kurdistan. Der Ort boomt, ein Hotel nach dem anderen schießt aus dem Boden. So auch das Rotana, eine Fünf-Sterne-Edelherberge unweit des Flughafens. Mitte April treffen sich im Ballsaal illustre Gäste, Minister und ihre Referenten sind gekommen, aus Deutschland der Generalkonsul und Vertreter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Sie feiern die erste Deutschabteilung im kurdischsprachigen Raum.
27 Studenten haben sich bereits an der Universität eingeschrieben, eine davon ist Awezan Khnoshnaw Majmuldin. Eine kleine, fleißige Frau, die sich nach fünf Monaten Sprachstudium erstaunlich gut ausdrücken kann. Awezan hat sich ein ungewöhnliches Ziel gesetzt: Sie will Deutschlehrerin in Köln werden, obwohl sie noch nie in Deutschland war und von der Domstadt nur Fotos kennt.
Warum gerade Köln, weiß sie selber nicht genau, aber eines weiß die junge Kurdin dafür umso besser: Sie liebt deutsche Literatur und Philosophie, hat Nietzsche, Kant, Marx, Goethe und Schiller in kurdischer Übersetzung gelesen. Ihr großer Wunsch ist es, die Klassiker auch im Original lesen zu können. Deswegen studiert Awezan seit Herbst 2011 Deutsch als Fremdsprache an der Hochschule von Erbil.
Zeitgemäß und praxisorientiert
Gefördert wird das Projekt vom DAAD, in Kooperation mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig, der größten Abteilung für Deutsch als Fremdsprache in der Bundesrepublik. Isabell Mering, die Lektorin des DAAD in Erbil, ist zufrieden mit dem Verlauf des ersten Semesters. "Das Niveau unserer Studenten hat sich sehr stark verbessert", sagt sie. "Am Anfang wussten viele nicht, wozu das Studium eigentlich gut ist. Aber ich habe nach Abschluss des ersten Buches gemerkt, dass die Motivation steigt."
Dabei ist der Studiengang in Erbil in seiner Praxisorientierung tatsächlich etwas ganz Besonderes. In vielen alt eingesessenen Germanistikabteilungen in der arabischen Welt - an der Cairo University in Ägypten etwa - ist das anders. Dort werden immer noch deutsche Curricula aus den sechziger und siebziger Jahren reproduziert, mit dem Ergebnis, dass die Absolventen am Ende zum Beispiel mittelhochdeutsche Literatur lesen können, aber auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben.
"Wenn es gut läuft, werden sie noch Reiseführer und zeigen den Leuten die Pyramiden", sagt Christian Hülshörster, Gruppenleiter Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten beim DAAD. "Wenn es schlecht läuft, fahren sie Taxi. Das kann nicht sinnvoll sein."
Seit 2005 hat der DAAD deshalb damit angefangen, in Kooperation mit einigen deutschen Hochschulen neue Konzepte zu entwickeln, wie die Germanistikabteilungen im Ausland künftig um der wirtschaftlichen Entwicklung willen berufsorientierter werden können.
Ausbildung für den Arbeitsmarkt
"Das wichtigste ist, dass man weiß, für welchen Arbeitsmarkt die Studierenden ausbildet werden", sagt Christian Fandrych, Professor am Herder-Institut, der das Curriculum für die Deutschabteilung in Erbil mit entwickelt hat. Man müsse mit den Arbeitgebern sprechen und Berufsfelder identifizieren. "Die Herausforderung ist, einen sehr intensiven Deutschunterricht zu geben, aber auch schon sehr früh, im zweiten und im dritten Jahr, berufspraktische Elemente zu vermitteln", sagt Fandrych.
Drei Berufsfelder gelten als besonders zukunftsfähig: Deutsch als Fremdsprache, Übersetzung sowie interkulturelle Kommunikation. Die Deutschabteilung in Erbil steht exemplarisch für diese innovative Herangehensweise, die ersten Semester sind geprägt von intensivem Sprachstudium, im Anschluss daran wird viel Wert auf Methodik, Didaktik, Sprachwissenschaft und auch Landeskunde gelegt, um den Studenten deutsche Kultur und "deutsches Denken" näher zu bringen. Letztlich wird in Erbil eben tatsächlich Deutsch als Fremdsprache gelehrt und keine klassische Germanistik.
Aber werden tatsächlich alle Studenten am Ende des Studiums so gut Deutsch sprechen, dass sie beruflich etwas damit anfangen können? Leise Zweifel sind angebracht, denn die Studenten der Deutschabteilung sind statistisch betrachtet nicht die mit den besten Abiturnoten. Schulische Überflieger in Irak-Kurdistan wählen meistens Fächer wie Medizin oder Ingenieurwissenschaften, die nächstbesten entscheiden sich, wenn sie Sprachen studieren wollen, eher für Englisch oder Französisch. Erst dann kommt Deutsch.
"Englisch ist ein Muss, Deutsch ist ein Plus"
Einen Tag nach der offiziellen Einweihung der Deutschabteilung im Rotana-Hotel findet der zweite Festakt auf dem Campus der Universität statt. Die feierliche Gemeinde trifft sich im Freien, ein großes Zelt schützt vor der Sonne. Alle Studenten sind anwesend, etwa die Hälfte davon Frauen. Obwohl Kurdistan eine konservative Gesellschaft ist, ist keine von ihnen verschleiert.
Jeder und jede sagt einen Satz auf Deutsch. Die fleißige Awezan zitiert Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Goethe-Instituts: "Englisch ist ein Muss, Deutsch ist ein Plus." Aber längst nicht alle sprechen so gut wie Awezan, Deutsch ist immer noch eine schwere Sprache. Isabell Mering schätzt, dass nur ein Drittel der Studenten am Ende in der Lage sein werden, ihre Sprachkenntnisse wirklich einzusetzen. Und der Traum von Awezan, in Köln zu unterrichten, dürfte kaum in Erfüllung gehen.
Shwan Abdullah ist da realistischer. Er möchte in Kurdistan bleiben. "Ich liebe die deutsche Kultur", sagt er, "ich liebe die deutsche Sprache, ich glaube, die deutsche Sprache ist eine Weltsprache. Ich möchte lieber später als Lehrer und als Übersetzer arbeiten."
Traumland mit dunkler Seite
Wobei sein Traumland ausgerechnet im Laufe seines Studiums für Shwan Abdullah unerwartete Schrammen bekommen könnte. Denn seine Lektorin Isabell Mering legt viel Wert darauf, dass die Studenten auch die dunkle Seite der deutschen Geschichte kennen lernen - Stichwort Holocaust. Das ist im Nahen Osten nicht immer einfach, auch in Erbil trifft man schnell auf Taxifahrer, die ihre Sympathie für Adolf Hitler bekunden.
"Aber ich habe in Jordanien die Erfahrung gemacht, dass man die Studenten zum Nachdenken bringen kann", sagt sie. "Manche ändern dann ihre Meinung." Ihr Kollege Christian Hülshörster aus der DAAD-Zentrale sagt, es gehe nie darum, ein plump positives Deutschlandbild zu vermitteln. "Wenn wir Mediatoren wollen, die zwischen den Kulturen vermitteln können, muss man auch die problematischen Seiten der Geschichte beleuchten."
Was also bringt so ein Studiengang? Der große Jobmotor wird es nicht werden. Aber er hat Symbolwert. Er zeigt die Verbundenheit der irakischen Kurden mit der deutschen Kultur. Und er zeigt, dass Muslime durchaus westliche Literatur und Kunst wertschätzen. Letztlich ist es auch ein politisches Signal: Die Kurden sehen in Deutschland einen wichtigen Partner, nicht nur in der Hochschulpolitik.
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