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Desaster für Enthüllungsplattform Wikileaks

2. September 2011

Eitelkeit, Selbstüberschätzung und Nachlässigkeit – das sind die Zutaten für den Daten-GAU bei Wikileaks. Das Ende der Wistleblower bedeutet das aber noch lange nicht. Vielleicht aber den Beginn einer neuen Cyber-Ethik.

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Bild: DW

Was nie hätte passieren dürfen, ist eingetreten: Der denkbar größte Datenunfall. Völlig unredigiert vagabundiert eine knappe Viertelmillion amerikanischer Botschaftsdepeschen im Internet. Geheimdienste und Unterdrückungsapparate von Diktaturen reiben sich die Hände. Menschenrechtsaktivisten, Informanten, Gesprächspartner amerikanischer Botschaftsangehöriger müssen um ihre Sicherheit fürchten. Der nach Aussage seines Gründers Julian Assange "erste Geheimdienst des Volkes" steht vor einem Scherbenhaufen. Weil das wesentliche Kapital der Enthüllungsplattform verspielt ist: Das Vertrauen auf Vertraulichkeit - und verantwortungsvollen Umgang. Zwar hat Wikileaks seinen eigenen Zuträger zu schützen versucht. Und bislang hatte Wikileaks bei der Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen in Zusammenarbeit mit bekannten Medien Sorgfalt und Vorsicht walten lassen.

Wichtigtuer und Egomanen

Porträt von Matthias von Hein (Foto: dw)
Deutsche Welle Redakteur Matthias von HeinBild: DW

Aber dann haben Eifersüchteleien zwischen dem Egomanen Julian Assange und dem Wichtigtuer David Leigh vom britischen "Guardian" und das Zerwürfnis des Wikileaks-Gründers mit seinem früheren Stellvertreter Daniel Domscheit-Berg im Ergebnis zum Daten-GAU geführt. Die Streitigkeiten zwischen den Männern haben auch die Frage aufgeworfen, wie verlässlich Leaking-Plattformen überhaupt sein können. Zwar kann technisch die Anonymität von Whistleblowern garantiert werden. Aber offensichtlich kann der verantwortliche Umgang mit dem Material nicht sicher gestellt werden. Denn etwa zum Schwärzen von Klarnamen muss es von Menschen angefasst werden – mit all ihren Stärken, aber auch Schwächen.

Datenfülle gebiert Datendiebe

Wer aber nach der Wikileaks-Panne bereits das Ende der Whistleblower verkündet, liegt falsch. Zum einen, weil es im Internet Zeitalter immer schwieriger wird, Daten geheim zu halten. Wie "geheim" können Daten bleiben, wenn in Regierungsnetzen 800.000 Menschen Zugang dazu haben – wie es bei den amerikanischen Botschaftsdepeschen der Fall war. Insider können mit USB-Sticks riesige Datenbestände unauffällig aus Sicherheitsbereichen herausschleusen. Vor allem aber sind Datennetze anfällig für Hacker-Angriffe. Einbrüche in Datenbanken sind nicht nur das täglich Brot von Geheimdiensten und Wirtschaftsspionen. Inzwischen ist das Veröffentlichen von gehackten Daten schon zu einer Art Volkssport von Gruppen wie Anonymous oder Lulzsec geworden. Zudem gibt es für die Leaking-Plattformen immer noch die klassische Alternative: Die Kontaktaufnahme mit einem vertrauenswürdigen Journalisten, der bereits an dem Thema arbeitet. Fest steht: Die grenzenlose Transparenz, die der Cyberheld Assange mit Wikileaks einführen wollte, ist überzogen. Staaten müssen ganz selbstverständlich Informationen vertraulich behandeln. Aber für die Sicherung vertraulicher Informationen sind die Institutionen selbst zuständig – egal, ob es sich um Regierungsgeheimnisse, Betriebsgeheimnisse oder Kreditkartendaten handelt.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Friederike Schulz