1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Zug der Hoffnung

Daniel Heinrich22. September 2015

Bayern kann nicht mehr: Andere Bundesländer helfen bei der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge. In der Nacht kam der erste Zug am Flughafen Köln/Bonn an - der neuen Drehscheibe in NRW. Daniel Heinrich war dabei.

https://p.dw.com/p/1GaMM
Federico Gambarini/dpa
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Der Zug kommt spät. Sehr spät. Mit über zweieinhalb Stunden Verspätung rollt er in den Bahnhof des Flughafen Köln/Bonn ein. Normalerweise führt das in Deutschland zu Stress. Bei den Fahrgästen, aber auch bei den Mitarbeitern der Deutschen Bahn.

Von diesen Passagieren aber beschwert sich keiner über die Verspätung: Über fünfhundert Flüchtlinge sind es, die sich aus dem Sonderzug aus Salzburg die Rolltreppen hinauf in das vorbereitete Zeltlager auf dem Flughafengebäude schieben. Zuviel haben die meisten von ihnen in den letzten Wochen und Monaten erlebt. Da spielt ein verspäteter Zug schlichtweg keine Rolle.

Versteckt liegt es da, das kleine Zeltlager. Eingeklemmt zwischen Autobahnauffahrt und Parkhaus. Sultan ist einfach nur glücklich, hier zu sein. Er hat sich alleine auf den Weg gemacht aus seiner Heimatstadt Kundus in Afghanistan. Drei Wochen war er unterwegs.

Der afghanische Flüchtling Sultan steht vor der Notunterkunft (Foto: Daniel Heinrich/DW)
Sultan hofft auf eine gute Zukunft in DeutschlandBild: DW/D. Heinrich

Aufgewecktes Gesicht, rote Trainingsjacke, abgelaufene Turnschuhe. Er könnte ein ganz normaler Teenager sein. Wären da nicht seine Erzählungen. Das, was er über die Strapazen seiner Reise erzählt, hat wenig damit zu tun, was in Jugenderinnerungen vorkommen sollte:

"In Bulgarien und Ungarn wurden wir von der Polizei geschlagen. Wir wurden einfach in den Knast gesteckt", erzählt der 16-Jährige. Wie die Behörden sie dort behandelt hätten, das sei einfach schrecklich gewesen. Auch er ist auf der sogenannten Balkanroute nach Deutschland gekommen, zuerst aber durch den Iran, die Türkei und dann schließlich nach Europa.

Von dem Empfang in Köln ist er begeistert, er bedankt sich mehrfach: Bei den Behörden, der Stadt, den Helfern. In Deutschland hat er große Pläne: "Ich bin hierher gekommen, um zu lernen, um zu studieren". Eine bessere Zukunft erhofft er sich. Sein Lächeln zum Abschied strahlt Zuversicht aus.

Warmer Empfang - Mit Internet und "Halal"-Essen

Überhaupt. Dieses Lächeln auf den Gesichtern. Überall sieht man es. Überall spürt man es. Trotz der langen Reise, trotz der langen Strapazen, trotz des fremden Landes. Man kann die Erleichterung der Menschen fast mit Händen greifen. Dieser Stimmung kann sich auch der Pressesprecher der Stadt Köln, Georg Timmer, nicht entziehen. Vor allem auf die Idee mit den WLAN-Stationen ist er stolz:

Container stehen auf einer Wiese (Foto: Horst Galuschka/dpa)
Malteser, Stadt Köln, UN, Polizei und Hunderte Freiwillige - im Lager vor dem Flughafen arbeiten alle zusammenBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

"Das ist richtig toll angenommen worden. Die Flüchtlinge haben ein unglaubliches Kommunikationsbedürfnis. Sie wollen mit ihren Verwandten, ihren Familien Kontakt aufnehmen". Egal, ob sie in Europa sind oder noch in der Heimat. Verständlich ist das, umso bemerkenswerter die Tatsache, dass die Behörden daran gedacht haben. Und auch sonst ist alles auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge angepasst:

Das Essen ist "Halal", zulässig nach muslimischen Vorschriften. Es gibt Schilder, die auf Englisch, Arabisch und Paschtu den Weg durch das kleine Zeltlager weisen. Sogar einen Gebetsraum gibt es. Der sei, neben den Ladestationen für Smartphones, die beliebteste Anlaufstelle, sagt Georg Timmer.

Jeder Flüchtling bekommt zu essen, zu trinken, auch eine Kleiderkammer ist eingerichtet worden - für diejenigen, die nicht viel mehr als ihre Sachen am Leib dabei haben. Die Behörden haben sich sichtlich vorbereitet: Auf die nächsten Tage, auf die nächsten Wochen. Das Zeltlager vor dem Flughafen gilt als erste Anlaufstelle. Von dort geht es in Bussen in eines der 47 Erstaufnahmelager in Nordrhein-Westfalen.

Glücklich - auch ohne Plan

Auch Sherifa kommt aus dem Lächeln nicht mehr heraus. Die 24-Jährige kommt aus Ghazni, einer Stadt in Zentralafghanistan. Müde wirkt sie, ein wenig scheu, aber glücklich: "Ich bin so froh, hier zu sein". In Afghanistan habe sie es nicht mehr ausgehalten. Die ständigen Strapazen. Die ungleiche Behandlung von Frauen. Sie wollte einfach nur noch weg. Was genau sie vorhat, kann sie nicht beschreiben, "auf jeden Fall wird es etwas Positives sein".

Viele hier denken ähnlich. Egal, ob sie aus Afghanistan, Syrien, dem Irak, oder Pakistan kommen. "Hauptsache erst mal weg", lautet das Motto der meisten. Wie genau sie das neue Leben bestreiten - darüber machen sich die Wenigsten zum jetzigen Zeitpunkt Gedanken.

Die 23-Jährige Delal M. ist eine der mehr als 150 freiwilligen Helfer. Ihr Vater habe als Kurde auch vor dem Assad-Regime fliehen müssen und Zuflucht gefunden, sagt sie. Jetzt wollen sie den Menschen helfen.

Die freiwillige Helferin Delal (Foto: Daniel Heinrich/ DW)
Delal H. ist eine von 150 Freiwilligen, die helfen wollenBild: DW/D. Heinrich

Neben einfachen Übersetzungen versucht sie auch, die Neuankömmlinge auf ihr Leben in Deutschland vorzubereiten - viele von ihnen hätten ziemlich naive Vorstellungen: "Viele malen sich das hier zu rosig aus", sagt die Ingenieur-Studentin aus Bochum: "Ich kenne das aus meinem persönlichen Umfeld. Viele Familien denken, dass es hier Geld regnet. Ich versuche den Leuten zu sagen, dass der Weg hier steinig werden wird."

Vom Deutschland-Fieber sei auch ihre Familie nicht ausgenommen. Und dann muss Delal auch schon weiter. "Zum Bahnhof", sagt sie, obwohl sie schon über 26 Stunden lang wach ist. Da kämen jetzt Verwandte von ihr an. Mit denen müsse sie jetzt gleich zum Bürgeramt. Übersetzen.