Der Wirtschaftsfachmann: Horst Köhler
19. Mai 2004Horst Köhler gibt gerne zu, dass ihm die Einbindung in die politische Klasse der Bundesrepublik fehlt. Netzwerke nennt man das heute, von Seilschaften sprach man früher. Wer seinen Weg aus der Jugendorganisation der Partei über Mandate in der Kommunal- und Landespolitik bis hin in den Bundestag gegangen ist, der kennt die wichtigen Rituale des politischen Tagesgeschäfts, der weiß, auf welche Knöpfe man drücken muss. Horst Köhler ist so gesehen ein Seiteneinsteiger. Doch was ihm an Netzwerk- oder Seilschaftenbindung fehlt, hat er an internationaler Erfahrung voraus. Direkt nach seiner Nominierung, noch in Washington, meinte er: "Das hat mich einerseits etwas bescheidener gemacht, aber andererseits auch etwas offener. Wenn Sie so wollen, sogar neugieriger - um zuzuhören und dann zu überlegen: Was kann es Gutes bedeuten, Konkretes bedeuten für das eigene Land."
Bemerkenswerte Karriere
Horst Köhler hat eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Seiner aus Bessarabien - das liegt im heutigen Moldawien - stammende Familie wurde im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes in das besetze Polen umgesiedelt. Dort in dem kleinen Ort Skierbieszow ist Horst Köhler 1943 geboren. Vor den anrückenden russischen Truppen floh die Familie in die Nähe von Leipzig und von dort 1953 nach Ludwigsburg bei Stuttgart. Dort machte Köhler Abitur, studierte nach dem Wehrdienst in Tübingen Wirtschaftswissenschaften, promovierte und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Wirtschaftsforschung. 1976 wechselte er in die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums und folgte 1981 einem Ruf des damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Gerhard Stoltenberg, und wurde Referent in der Kieler Staatskanzlei.
Als Gerhard Stoltenberg im Jahr darauf als Bundesfinanzminister nach Bonn wechselte, nahm er Horst Köhler mit - zunächst als Büroleiter, später als Chef seiner Grundsatzabteilung. Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel machte Köhler 1990 zum Staatssekretär. Ex-Bundeskanzler Kohl diente Köhler als so genannter Sherpa, das heißt er war zuständig für die Vorbereitung der Weltwirtschaftsgipfel. 1993 kam der Wechsel in die Wirtschaft. Horst Köhler wurde Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes - der Zusammenschluss der öffentlichen Sparkassen. Dann 1998: die Übernahme des Vorsitzes der Osteuropabank und zwei Jahre später der Sprung an die Spitze des Weltwährungsfonds.
Kein bequemer Präsident
Warum ist der erfolgreiche Finanzmanager dem Ruf an die Spitze der Republik gefolgt? Horst Köhlers Antwort ist knapp und heutzutage ungewöhnlich deutlich. Er liebe Deutschland. Punktum. Diesem Land - so Köhler - habe er unendlich viel zu verdanken. Deshalb sei es nicht mehr als recht und billig, wenn er jetzt etwas davon zurückgebe. Dazu gehört bei ihm die Entschlossenheit, die deutschen Landsleute daran zu erinnert, dass weitere Reformen wie die von der Regierung angestoßene "Agenda 2010" mit ihren sozialen Einschnitten nötig sind: "Ich wiederhole noch einmal, dass die Agenda 2010 eine wichtige, richtige Signalentscheidung war. Die Agenda 2010 reicht aber noch nicht. Sie muss weitergehen, sie muss tiefer gehen."
Dem in Polen geborenen Bessarabiendeutschen, aufgewachsen in Sachsen und Schwaben, mit Karriere in Bonn, internationalen Erfahrungen aus London und Washington, macht so schnell keiner etwas vor. Er kann bestimmend sein, auch ungeduldig, wenn Mitarbeiter oder Partner nicht ganz so schnell schalten, wie er das selber tut. Er will nach seinen eigenen Worten kein bequemer Bundespräsident sein, sondern schon den Finger auf die Wunden des Gemeinwesens legen. Doch er ist auch einer, der andere Meinungen anhört, sie prüft und darüber diskutiert. Und er meint, dass jetzt seine Zeit gekommen sei: "Die Zeit, wie wir sie jetzt haben am Anfang des 21. Jahrhunderts - mit der Situation, der Befindlichkeit der Deutschen, mit der weltwirtschaftlichen Situation -, da habe ich das Gefühl, ich könnte sogar ganz gut in diesen Abschnitt der deutschen Geschichte passen." Einst hat Horst Köhler den Staatsdienst verlassen, um mehr Zeit für seine Familie - seine Ehefrau Eva, seine inzwischen erwachsenen beiden Kinder - zu haben. Jetzt kehrt er zurück, um das formell höchste Amt zu übernehmen, das die Deutschen zu vergeben haben: das Amt des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland.