"Wiederaufbau des Dachs sollte kein Problem sein"
20. April 2019DW: Frankreichs Präsident Macron spricht von fünf Jahren, um Notre-Dame wieder aufzubauen. Glauben Sie, dass diese Zeitspanne realistisch ist?
Thomas Eißing: Wenn es nur um die reine Dachkonstruktionen geht, sind fünf Jahre in meinen Augen eine durchaus realistische Zeitspanne. Für die Wiederherstellung der inneren Struktur und des Mauerwerks, muss ersst eine genaue Schadenserhebung erfolgen.
Der Dachstuhl aus Holz ist komplett abgebrannt. Welche kulturhistorische Bedeutung hatte er für Notre-Dame?
Da stellen Sie eigentlich die alles entscheidende Frage. Die Entwicklung der französischen Gotik ist im 13. Jahrhundert sehr gebunden an den Kathedral-Typus und damit entwickelte sich auch eine besondere Dachform, nämlich das gleichseitig aufgebaute Dachdreieck. Die Dächer wurden steiler, und mussten nun gegen Windkräfte besser ausgesteift werden. Deshalb wurden auch die Konstruktionen aufwendiger.
Die Dachstühle der romanischen Zeit hatten eine deutlich flachere Dachneigung und konnten entsprechend einfacher konstruiert werden. Das Besondere ist, dass mit der Kathedral-Gotik auch die Zimmerleute in Frankreich eine erste Blütezeit erlebt haben, die vorbildlich war für ganz Europa.
Die waren führend in dieser Zeit. Sie haben früh sogenannte Hängewerke gezimmert. Diese Dachkonstruktion über den Seitenschiffen und dem Chor von Notre-Dame aus dem 13. Jahrhundert ist deshalb von großer Bedeutung.
Muss denn der komplette Dachstuhl im Zuge des Wiederaufbaus abgerissen werden - oder kann man darauf wieder aufbauen?
Es scheint vieles eingestürzt zu sein. Dennoch würde ich versuchen, besser erhaltene Teile zu bergen, weil die historischen Verbindungstechniken von Bedeutung sind.
Bei dem Holz des Dachstuhls handelt es sich um Eichenholz und in der Regel verkohlt Eiche in den äußeren Schichten nur und brennt nicht komplett durch. Eigentlich bleiben die Holztragwerke häufig als Gerippe stehen.
Dass dies in Paris nicht der Fall ist, liegt wahrscheinlich am Zusammenspiel mit der Bleideckung des Daches. Blei hat eine so immense Wärme-Speicherkapazität, die den Brand immer wieder angefeuert hat. Diese Kombination aus Holz und Blei war wohl der Grund, dass es zu so einem verheerenden Brand kam.
Das Holz müsste sich auch wieder beschaffen lassen. Frankreich hat noch viele Eichenwälder im eigenen Land und die Mengen sind nicht so exorbitant groß. Das Dach hat eine Spannweite von 13 oder 14 Metern, entsprechend braucht man 13 Meter lange Sparren. Die kann man schon finden.
Sie sind Experte für Holz, aber können Sie etwas zum Zustand der Steine sagen? Kann man die noch benutzen?
Stein, der erhitzt, verliert seine Festigkeit. Da muss jetzt eine Schadenserhebung erfolgen, um zu sehen, welche ausgetauscht werden müssen.
Der Kölner Dom, der im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, hat danach einen Dachstuhl aus Stahl bekommen. Wäre so etwas in Paris auch denkbar? Oder würde das den Charakter der Kirche sozusagen kaputtmachen?
Das Problem ist, dass Stahl noch viel kritischer ist in Brandfällen. Holz an sich ist ja gar nicht so leicht brennbar. Ein großer Balken von 20 auf 20 Zentimeter Eichenholz würde im Brandfall zunächst eine Verkohlungsschicht bilden und ein Mantel aus verkohltem Holz wirkt wie eine Dämmschicht. Holz brennt erst ab einer Temperatur von 200 bis 275 Grad. Die Holzbestandteile werden durch die Hitze zersetzt und gehen in die Gasphase über.
Wenn die Temperatur im Innern des Balkens nicht über 200 - 250 Grad ansteigt, kann das Holz nicht mehr pyrolysieren, das heißt nicht in gasförmigen Zustand übertreten und nicht brennen. Deswegen bleibt von einem Fachwerkhaus nach einem Brand auch das verkohlte Holzgerippe stehen.
Stahl verliert im Brandfall seine Festigkeit und würde zusammenstürzen. Stahl muss daher auch ummantelt oder mit entsprechendem Brandschutz versehen werden.
Würden Sie empfehlen, dass man den Dachstuhl also aus Holz wieder aufbaut?
Ich würde zumindest eine Diskussion darüber anregen. Normalerweise werden vollständige Rekonstruktionen in der Denkmalpflege eher vermieden. Die Authentizität historischer Gebäude ist da von entscheidender Bedeutung. Bei Notre Dames ist die Originalsubstanz des Dachwerks wohl verloren. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir bei der Kathedrale eine sehr exzeptionelle Konstruktion vor uns haben.
Ich halte es daher für angemessen, darüber nachzudenken, das ursprüngliche Dach in Teilen wiederherzustellen, um die Bedeutung für die Bau-und Handwerksgeschichte wieder erlebbar zu machen. Und um zu zeigen, wie das ursprünglich einmal ausgesehen hat. Es gibt immer noch sehr viele Handwerker, die die alten Verbindungstechniken beherrschen und das durchaus hinkriegen würden.
Gibt es überhaupt Experten, die sich auf diesem Gebiet so gut auskennen, dass sie - so wie die Baumeister der gotischen Kathedralen - Notre-Dame angemessen instand setzen können?
Voraussetzung ist, dass es Baupläne gibt, was der Fall ist. Das Dachwerk wurde schon in den 1930er Jahren in Teilen aufgemessen. Es gibt auch ein Modell des Dachstuhls von Henri Deneux aus dieser Zeit. Das heißt, man hat eine recht gute Vorlage, auch von den Knotenpunkten.
Die alten Techniken sind beherrschbar und wenn man entsprechendes Eichenholz bekommt, was in meinen Augen möglich ist, lässt sich der Dachstuhl mit guter Vorplanung tatsächlich rekonstruieren.
Ist so eine Rekonstruktion schwieriger, wenn alte Bausubstanz vorhanden ist und alte und neue Bausubstanz zusammengeführt werden müssen?
Es handelt sich um eine Grundsatzentscheidung: Will man den historischen Dachstuhl rekonstruieren, oder will man einen modernen Dachstuhl aufsetzen, weil er nicht direkt sichtbar ist. Aber häufig werden auch Besuchergruppen durch Dachwerke geführt, als ein Teil des Tourismus Programms.
Die Frage kann man mit Ja oder Nein beantworten. Ich würde vorschlagen, einen Teilabschnitt der historischen Konstruktion zu rekonstruieren und mit einer modernen Konstruktion zu kombinieren. Darüber kann man nachdenken und sollte man diskutieren. Ich bin mir sicher, dass die Denkmalbehörde in Frankreich zu einer angemessenen Entscheidung kommen wird.
Es sollen 800 Millionen Euro Spendengelder zugesagt worden sein für den Wiederaufbau von Notre-Dame. Die Dresdner Frauenkirche hat im Vergleich dazu 182 Millionen Euro gekostet. Kann man die beiden Projekte überhaupt miteinander vergleichen?
Das ist eine interessante Frage, die Sie stellen. Die tatsächliche Höhe der Kosten kann ich nicht beurteilen. Entscheidend ist jetzt, dass zunächst die Schäden festgestellt werden. Wie tragfähig sind die Mauerkronen? Wie stark hat das Feuer die Gewölbe und die Strebepfeiler angegriffen?
Wenn man eine Kirche wie die Frauenkirche von Grund auf neu baut, ist dies deutlich einfacher, weil sie von vornherein die Risiken und Kosten kalkulieren können. In Dresden ist ein Neubau entstanden, wenn auch im Gewande des Alten.
Bei Notre-Dame ist es etwas anders: Die Kirche im Steinbau ist gottseidank erhalten geblieben, mit der noch offenen Frage, wie stark die Schädigungen im Detail sind. Die Schadenserhebung dauert sicherlich ein halbes bis dreiviertel Jahr, bis man genau vermessen und kartiert hat.
Deswegen ist es noch zu früh, über den Stein zu reden, aber über das Dach kann man sagen: Der Wiederaufbau sollte eigentlich kein Problem sein.
Das Gespräch führte Sabine Oelze
Dr.-Ing. Dipl. Holzwirt Thomas Eißing lehrt am Institut für Denkmalpflege der Universität Bamberg. Sein Buch "Kirchendächer in Thüringen und dem südlichen Sachsen-Anhalt" ist ein Standardwerk für die Kirchen Mitteldeutschlands.