Nach Angriff des Iran: EU erwartet von Israel Deeskalation
15. April 2024Die EU-Außenministerinnen und -minister treffen sich am Dienstagnachmittag zu einer virtuellen Sondersitzung. Auf der Tagesordnung steht nur ein Punkt: Die Konsequenzen des breit angelegten, direkten iranischen Angriffs auf Israel. "Unser hauptsächliches Anliegen ist es zu deeskalieren. Wir konzentrieren uns innerhalb der EU und in Kontakten mit unseren externen Partnern darauf sicherzustellen, dass es keine weitere Eskalation gibt", kündigte Peter Stano, der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell an. Eine weitere Eskalation, also ein Vergeltungsschlag Israels, würde "an den Rand einer neuen, nicht vorhergesehenen Situation im Mittleren Osten führen", meinte Peter Stano in Brüssel.
"Defensiver Sieg"
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock spricht wie US-Präsident Joe Biden davon, dass Israel mit der erfolgreichen Abwehr von nahezu 300 Drohnen und Raketen aus Iran im Prinzip schon einen Sieg davon getragen habe. "Diesen defensiven Sieg gilt es jetzt diplomatisch abzusichern", meinte die deutsche Ministerin. Weitere Vergeltung sei eigentlich nicht nötig, legte Annalena Baerbock am Rande einer Konferenz in Paris am Montag nahe. "Das Recht auf Selbstverteidigung bedeutet die Abwehr eines Angriffes. Vergeltung ist keine Kategorie im Völkerrecht", sagte Baerbock. Das habe sie vergangene Woche bereits ihrem iranischen Kollegen vorgehalten, offenbar ohne große Wirkung. Iran rechtfertigt seinen massiven Schlag gegen Israel mit dem Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus am 1. April. Dieser Angriff, bei dem zwei Anführer der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden, wird Israel zugerechnet. Die Regierung in Jerusalem hat sich dazu nicht geäußert.
Vorwürfe, die EU würde nur einseitig das Vorgehen des Iran scharf verurteilen, wies der EU-Sprecher Peter Stano zurück. "Wir haben am 2. April den Angriff auf die iranische Botschaft klipp und klar verurteilt", teilte Peter Stano mit.
Mehr Sanktionen?
Die EU-Außenminister werden am Dienstag verschiedene Optionen beraten, darunter die Verschärfung von Sanktionen oder die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation. Dass es dazu kommt, sieht Ettore Greco eher nicht. Ettore Greco ist der stellvertretende Direktor des italienischen Instituts für Außenpolitik, einer Denkfabrik in Rom. Umfangreiche Sanktionen gegen das iranische Mullah-Regime gebe es ja bereits.
"Einige Staaten könnten mehr Maßnahmen anwenden wollen. Ich erwarte das nicht. Das Sanktionspaket ist bereits so groß. Es könnte einige Ergänzungen geben. Aber das ist nicht entscheidend, solange die Situation so ist wie im Moment, also ohne weitere Wie-du-mir-so-ich-dir Aktionen", meinte Ettore Greco im Gespräch mit der Deutschen Welle. Gegen den Iran haben die EU und die G7-Staaten diverse Sanktionen im Handelsbereich verhängt, um die Produktion von Atomwaffen, Drohnen und Hochtechnologie zu unterbinden. Außerdem sind wegen diverser Menschenrechtsverletzungen und des Todes von Masha Amini Sanktionen gegen Personen und Institutionen im Iran in Kraft. Die 20 Jahre alte Masha Amini war 2022 in Polizeigewahrsam gestorben, nachdem sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Kopftuch-Gebot festgenommen worden war. Ihr Tod hatte landesweit Proteste im Iran ausgelöst.
G7 will auch deeskalieren
Von Mittwoch an werden sich auch die Außenminister der sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten (G7) unter italienischem Vorsitz mit der Lage im Nahen und Mittleren Osten beschäftigen. Der britische Außenminister David Cameron, dessen Land zur G7, aber nicht zur Europäischen Union gehört, hat Israel aufgefordert, "smart und hart" auf den Angriff aus dem Iran zu reagieren, den Konflikt aber nicht weiter zu eskalieren. David Cameron sagte im britischen Rundfunk, es sei wichtig, den Israelis klar zu machen, dass der Iran mit seiner "rücksichtslosen und gefährlichen Aktion" gescheitert sei. Auch die Unterstützung des Iran für die Terrorgruppe Hamas, die nach wie vor im Gaza-Streifen kämpft, sei ein Fehlschlag, meinte der britische Außenminister. Großbritannien und die USA, der wichtigste G7-Staat, würden weiter an der Seite Israels stehen, sollte die Abwehr weiterer Militärschläge des Iran nötig sein. US-Präsident Joe Biden hatte nach einer Videokonferenz der G7-Regierungschefs und -chefinnen klar gemacht, dass sein Land sich aber nicht an einem Vergeltungsschlag Israels gegen den Iran beteiligen werde. Zur Gruppe der Sieben gehören neben den USA und Großbritannien auch Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Kanada.
Wirkt politischer Druck?
Direkte Druckmittel auf beide Seiten - Iran und Israel - haben weder die Europäische Union noch die G7, meint der Nahhost-Experte Julien Barnes-Dacey vom "Europäischen Rat für Außenbeziehungen" (ECFR), einer Denkfabrik in Brüssel. Es könnte sein, dass Israel die guten Ratschläge zur Deeskalation in den Wind schlage. "Die Art wie der iranische Angriff abgewehrt werden konnte, könnte Israels zu der Annahme führen, dass die Iraner schwach sind, ohne den Willen und die Kapazitäten für ein tieferes Engagement. Jetzt könnte der Moment für Israel da sein, einen lange erhofften schweren Schlag gegen Iran und seine regionalen Hilfskräfte zu führen", mutmaßt Julien Barnes-Dacey. Es sei deshalb angezeigt, dass Europäer eng und engagiert mit den Amerikanern zusammenarbeiten, um eine fortgesetzte Eskalation zu verhindern. "Zuerst muss man die Israelis unter Druck setzen, keine Vergeltung zu üben, und dann müssen die Bemühungen um einen Waffenstillstand in Gaza weitergehen", rät der Nahost-Experte. Denn der Krieg zwischen Hamas und Israel fache das Feuer des Nahost-Konflikts weiter an.
Offiziell hält die Europäische Union daran fest, irgendwie und irgendwann den Vertrag mit dem Iran zum Stopp seines Atomwaffenprogramms wiederzubeleben. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Der Iran verstößt erklärtermaßen gegen die Bestimmungen des Vertrages. Die USA sind weiterhin nicht an den Verhandlungstisch zurückgekehrt, nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump die Vereinbarung aufgekündigt hatte.