Der ungewöhnliche Prozess von Bo Xilai
26. August 2013Man kennt die Szenen aus chinesischen Gerichtssälen. Auch, weil man sie gesehen hat bei den Prozessen gegen Bo Xilais Ehefrau Gu Kailai im letzten Jahr und gegen seinen ehemaligen engsten Mitarbeiter Wang Lijun, vormals Polizeichef der Millionenmetropole Chongqing: Da sah man zerknirschte Angeklagte. Reumütig bekannten sie die ihnen zur Last gelegten Verbrechen, bedauerten den Schaden für Partei und Staat und hofften auf die Gnade der Richter.
Beim Prozess gegen Bo Xilai fehlten diese Szenen. Der ehemalige Politstar gab sich weder schuldbewusst noch reumütig. Stattdessen verteidigte er sich eloquent und entschlossen. Er nahm die Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör. Er bekannte sich in allen drei Anklagepunkten für nicht schuldig. Und vor allem: Die Welt erfuhr davon. Das Mittlere Volksgericht von Jinan in der ostschinesischen Provinz Shandong protokollierte den Prozessverlauf auf seinem Mikroblog - ein bis dato in der chinesischen Rechtsgeschichte einmaliger Vorgang.
Prozessverlauf im Mikroblog
He Weifang, Professor für Rechtswissenschaften an der Peking-Universität, ist davon überzeugt, dass die Entscheidung für diese Form von Öffentlichkeit nicht vom Gericht in Jinan getroffen wurde. "Diese Entscheidung kam von ganz oben. Ich bin auch der Meinung, der Mikroblog-Text wurde sehr stark kontrolliert. Es gab große Zeitverzögerungen zwischen dem, was im Gericht geschah, und dem, was gepostet wurde", sagte He gegenüber der Deutschen Welle. Auch die in Hongkong erscheinende "South China Morning Post" berichtete unter Berufung auf Quellen aus dem Gericht, es seien gezielt Äußerungen Bo Xilais weggelassen worden: Nämlich solche, die ihn "menschlicher erscheinen ließen oder Parteiführer in Peking in schlechtes Licht rückten". Manche Postings wurden gelöscht, um anschließend in zensierter, also gekürzter Version erneut veröffentlicht zu werden.
Märtyrer der Parteilinken?
Die Vorsicht der chinesischen Führung beim Umgang mit Bo Xilai hat ihren Grund. Immerhin war Bo Mitglied des Politbüros, also einer der 25 höchsten Funktionäre der allein regierenden Partei mit über 80 Millionen Mitgliedern. In den letzten 30 Jahren gab es nur zwei weitere Anklagen gegen Politbüromitglieder: 1998 war der ehemalige Bürgermeister von Peking, Chen Xitong, zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt worden, 2008 der frühere Parteichef von Shanghai, Chen Liangyu, zu 18 Jahren Haft. Dazu kommt: Bo Xilai ist nicht nur Sohn eines von der Partei verehrten Revolutionsveteranen. Er war mit seiner linken Politik populär und genießt Einfluss. Er besitzt noch immer Anhänger innerhalb und außerhalb der Partei. Einige haben sogar vor dem Gerichtsgebäude in Jinan demonstriert.
In China waren Korruptionsfälle auf hoher Ebene immer auch ein Mittel, um politisch unliebsame Gegner aus dem Weg zu räumen. Deshalb hält sich der Verdacht, Bo stehe vor allem deshalb vor Gericht, weil er beim Führungswechsel im letzten Jahr im Machtkampf unterlegen war und nicht wegen Bestechlichkeit und Machtsmissbrauchs. Der Politikwissenschaftler Wu Qiang von der Pekinger Tsinghua Universität hat den Prozess sehr genau verfolgt. Im Interview mit der Deutschen Welle zeigt er sich beeindruckt von der professionellen Prozessführung. "Die Regierung will damit zweierlei erreichen: Erstens soll der Eindruck entstehen, der Prozess sei fair und China ein Rechtstaat. Und zweitens sollen alle Gruppen das Ergebnis akzeptieren - inklusive der Anhänger von Bo Xilai."